30 | ZAHNMEDIZIN stabilität zu haben [Lin et al., 2014; Zhuang et al., 2018]. Der Verzicht auf die Bildung eines Mukoperiostlappens erschwert jedoch gleichzeitig die lokale Beurteilbarkeit der knöchernen Situation. Inwieweit ein invasiverer Zugang bei der Sofortimplantation gewählt werden sollte, ist im Einzelfall zu diskutieren. Neben den lokalen Faktoren ist entscheidend, ob und welche augmentativen Maßnahmen simultan bei der Implantatinsertion geplant sind. Des Weiteren ist die Primärstabilität ein entscheidender Faktor für die Osseointegration des Implantats [Meredith, 1998]. Ist durch lokale Pathologien oder anatomische Gegebenheiten nicht ausreichend Restknochen nach der Zahnextraktion vorhanden, um das Implantat in der korrekten 3-DAusrichtung primärstabil inserieren zu können, sollte von einer Sofortimplantation abgesehen werden [Hammerle et al., 2004; Chrcanovic et al., 2017; Cosyn et al., 2019; Tonetti et al., 2019]. In einer Metaanalyse konnte die Implantatposition als eigenständiger Risikofaktor für die Entstehung von vestibulären Rezessionen bestätigt werden [Hammerle et al., 2012]. In der Oberkieferfront wird eine palatinale Implantatposition angestrebt [Kan et al., 2018]. Lokale Faktoren bei der Sofortimplantation Bei der Sofortimplantation sind die lokalen Faktoren von entscheidender Bedeutung für die Therapieplanung und die Abschätzung des Therapieerfolgs [Buser et al., 2017]. In einem Konsensuspapier der ITI aus 2014 wird bei Nichterfüllung der erwähnten lokalen Kriterien sogar von einer Sofortimplantation abgeraten [Morton et al., 2014]. Patientinnen oder Patienten mit einem dünnen Gingivaphänotyp beziehungsweise dünner vestibulärer Knochenlamelle zeigen deutlichere Resorptionsphänomene nach der Zahnextraktion. Die Gefahr für vestibuläre Rezessionen ist bei dieser Ausgangssituation deutlich erhöht [Chen und Buser, 2009; Tan et al., 2012; Chen et al., 2004]. Dies gilt auch bei einer sehr dünnen Knochenlamelle (< 1 mm) oder knöchernen Defekten im Bereich der vestibulären Knochenlamelle. Knochendefekte im Bereich der vestibulären Lamelle sind daher in vielen klinischen Studien Ausschlusskriterien [Cosyn et al., 2019]. Die Vorhersagbarkeit des Therapieerfolgs ist in diesen Fällen deutlich kritischer und muss bei der Therapieplanung berücksichtigt werden. Das erklärt, warum bei gleichzeitig qualitativen und quantitativen weich- und hartgeweblichen Defiziten eine Sofortimplantation insbesondere in der Frontzahnregion aufgrund des hohen ästhetischen Risikos von vielen Autoren abgelehnt wird [Buser et al., 2017]. Durch eine gleichzeitige hart- und/ oder weichgewebliche Augmentationsmaßnahme bei der Implantatinsertion kann versucht werden, dem entgegenzuwirken [Lin et al., 2014; Cosyn et al., 2019]. Eine retrospektive Analyse zeigte, dass sich durch simultane hart- und weichgewebliche Augmentation auch bei bestehenden Rezessionen suffiziente Langzeiterfolge bei der Sofortimplantation erzielen lassen [Noelken et al., 2018]. Eine Aussage zur Wahl der Augmentationstechnik beziehungsweise zum Material kann aktuell aufgrund der reduzierten und inhomogenen Datenlage nicht getroffenwerden. Daraus ergeben sich folgende Empfehlungen: zm114 Nr. 04, 16.02.2024, (228) KONSENSBASIERTE EMPFEHLUNG 10 Bei ausgedehnten knöchernen Defekten, die eine Primärstabilität des Implantats verhindern, soll keine Sofortimplantation durchgeführt werden. starker Konsens Literatur: [GCP; Hammerle et al., 2004; Chrcanovic et al., 2017; Cosyn et al., 2019; Tonetti et al., 2019] KONSENSBASIERTE EMPFEHLUNG 11 Die Sofortimplantation stellt hinsichtlich der korrekten dreidimensionalen Position und Stabilisierung in der Extraktionsalveole eine besondere Herausforderung dar. In der Oberkieferfront sollte die achsengerechte und positionsgerechte Implantatinsertion palatinal orientiert sein. starker Konsens Literatur: [Hammerle et al., 2012; Kan et al., 2018] Prof. Dr. Dr. Eik Schiegnitz, M.Sc. Klinik und Poliklinik für Mund-, Kieferund Gesichtschirurgie – Plastische Operationen, Universitätsmedizin Mainz Augustusplatz 2, 55131 Mainz Foto: privat Prof. Dr. Dr. Bilal Al-Nawas Klinik und Poliklinik für Mund-, Kieferund Gesichtschirurgie, plastische Operationen, Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Augustusplatz 2, 55131 Mainz Foto: Peter Pulkowski Prof. Dr. Dr. Christian Walter medi+ Zahnärztliche Praxisklinik Haifa-Allee 20, 55128 Mainz und Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie – plastische Operationen, Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Foto: privat Prof. Dr. Robert Nölken, M.Sc. Praxis Prof. Dr. Robert Nölken M.Sc., Lindau (Bodensee) und Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie – plastische Operationen, Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Foto: privat
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