PRAXIS | 39 zm114 Nr. 05, 01.03.2024, (329) Doch die Zeiten ändern sich und mit ihnen die Anreden. Die Welt ist näher zusammengerückt, die vorherrschende Sprache ist Englisch. Vermeintlich gibt es im englischsprachigen Raum keinen Unterschied zwischen dem Sie und dem Du, doch der „#CallMeByMyFirstname“ macht auf einen kleinen, aber feinen Unterschied aufmerksam: Das im Business-Kontext häufig verwendete englische „You“ in Kombination mit dem Nachnamen – „You Mr. Meyer“ – zeugt von professioneller Distanz. Ähnliches kennen wir hierzulande als „Münchner Du“ (Du + Nachname) oder „Hamburger Sie“ (Sie + Vorname). Darüber hinaus ist das Du am Arbeitsplatz abhängig von der Branche. Während unter Kreativen, in Start-ups und in den sozialen Medien das Du zum guten Ton gehört, sind eher konservative Branchen wie das Finanz- und Bankwesen, Verwaltungen, Jura und auch die Medizin zurückhaltender. Auch die Altersstruktur eines Unternehmens entscheidet über die Form der Anrede: Laut einer YouGov-Umfrage von 2019 duzen 33 Prozent der 25- bis 34-Jährigen ihre Vorgesetzten. Bei den 35- bis 44-Jährigen tun das 30 Prozent, bei den 18- bis 24-Jährigen 29 Prozent. Bei den 45- bis 54-Jährigen machen das dagegen nur noch 23 Prozent und bei den über 55-Jährigen gerade einmal 17 Prozent. Gerade ältere Menschen empfinden ein spontanes Du demzufolge als respektlos. Das Du allein garantiert keine flachen Hierarchien Aber Vorsicht: Das Du garantiert keine flache Hierarchien, ebenso wenig wie das Sie einen respektvollen, professionellen Umgang. Auch wird die Praxis nicht plötzlich moderner und offener, weil sich alle duzen. Ein zeitgemäßes Miteinander, geprägt von Kommunikation auf Augenhöhe, Teamgeist und offener Fehlerkultur, entspringt einer inneren Haltung, die Führungskräfte vorleben. Respekt erarbeitet man sich durch Fachkompetenz und durch das eigene, professionelle Auftreten, besonders in herausfordernden Situationen. Wer das Du im Team einführen will, sollte beachten: n Keine Zweckentfremdung! Das Du sollte nicht als Belohnung instrumentalisiert werden. Ein Du als besondere Auszeichnung zu vergeben, führt zu Neid und kann das Team spalten. Ausnahmen sind das Duzen unter Zahnärzten, mitarbeitenden Lebenspartnern und Freunden. n Das Du sollte zur Praxisstruktur passen. Sieht sich die Praxisinhaberin eher als moderne, offene und innovative Chefin mit dem entsprechenden Team? Werden flache Hierarchien und eine offene Fehlerkultur wirklich gelebt? Dann wäre das Du sicherlich stimmiger als in einer eher konservativen Praxis mit klassischen Führungsstrukturen. n Das Du sollte nicht von oben herab verordnet werden. Wie viel Distanz oder Nähe ein Mensch benötigt, liegt in seiner Persönlichkeit begründet und wird durch Erfahrungen geprägt. Die Chefin zu duzen, kann von Mitarbeitenden auch als unangenehm empfunden werden. Wenn Sie das Du einführen möchten, fragen Sie zunächst Ihr Team. Ein Du stellt auch nicht automatisch mehr Harmonie und einen besseren Teamgeist her. Wird es zweckentfremdet, kann die Stimmung sogar ins Gegenteil umschlagen. Harmonie und Teamgeist müssen von allen erarbeitet werden, da kann ein Du allein nicht helfen. Ein Beispiel: Für ein positives Fehlermanagement haben einige Fluggesellschaften das Du an Bord für alle Mitglieder der Crew eingeführt, um hierarchische Strukturen aufzubrechen und somit eine offene Kommunikation innerhalb der Besatzung zu ermöglichen. In Kombination mit einer sanktionsfreien Fehlerkultur konnten so Unglücksfälle deutlich minimiert werden. Im Unglücksfall an Bord ist die schnelle Übermittlung von Informationen überlebenswichtig. Das gelingt nur durch eine angstfreie Kommunikation auf Augenhöhe für alle Besatzungsmitglieder. Das Du für 24 Stunden Das Duzen im Team kann also dazu beitragen, dass bemerkte Fehler, Wahrnehmungen, Beobachtungen und Gedanken in kritischen Situationen eher an die Piloten gemeldet werden. Schaut man sich Statistiken über Flugzeugunglücke in Bezug auf die Nationalitäten der Besatzungen an, fällt auf, dass bei Crews aus demokratischen Kulturen weniger Zwischenfälle passieren als bei Besatzungen, die aus stark hierarchisch geprägten Ländern stammen. Vor der Einführung des Du für das Praxisteam sollte man eine anonyme Mitarbeiterabstimmung durchführen. Legen Sie vorher fest, ab welchem Ergebnis das Du eingeführt wird. Bieten Sie den Mitarbeitenden, die dagegen gestimmt haben, eine individuelle Lösung an. Diese könnten sich zum Beispiel nach der Abstimmung im Einzelgespräch an die Praxisleitung wenden und klären, wie man sich zukünftig ansprechen will. Entweder bleiben die beiden Parteien dann beim Sie oder man bietet der Mitarbeiterin eine kleine Probezeit für das Du von 24 Stunden an. Anschließend kann sie sich dann dafür oder dagegen entscheiden. Ist das Duzen dann endgültig im Team eingeführt, sollte es von der Chefin nicht mehr zurückgenommen werden. Der damit verbundene Vertrauensentzug könnte das Miteinander nachhaltig verschlechtern. Anders verhält es sich, wenn Mitarbeitende sich mit dem Du gegenüber der Praxisleitung absolut nicht wohlfühlen. Der Weg zurück zum Sie sollte für Mitarbeitende immer offenstehen. DIE BOTSCHAFT HINTER DER ANREDE Im Allgemeinen steht das Du für n flache Hierarchien n einen offenen, kollegialen Umgang n eine moderne Firmen- bzw. Praxisphilosophie n starken Teamgeist Das Sie steht für n professionelle Distanz n striktere Hierarchien n Seriosität n Inflexibilität
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