48 | TITEL KINDESWOHLGEFÄHRDUNG Ist frühkindliche Karies gleich Kindeswohlgefährdung? Christian Splieth, Britta Bockholdt Frühkindliche Karies ist immer noch eines der Hauptprobleme der Kinderzahnheilkunde, aber sie ist auch ein Zeichen von konstanter Zuckerzufuhr bei gleichzeitig fehlender Mundhygiene. Dies ist fast automatisch Dental Neglect, also Kindeswohlgefährdung, was für die zahnärztliche Praxis relevant ist. Kindeswohlgefährdung in Form von Vernachlässigung ist das Unterlassen von notwendigen Maßnahmen zur Pflege und zum Schutz der Kinder und damit ein meist passives Verhalten, während die Kindesmisshandlung in der Regel eine aktive Handlung darstellt. Dies schließt nicht nur physisches, sondern auch psychisches Verhalten ein. Die wichtigen Formen der Kindeswohlgefährdung sind: n körperliche Misshandlung, n seelische Misshandlung, n körperliche und/oder seelische Vernachlässigung und n sexualisierte Gewalt gegenüber Kindern. Die Problematik ist sehr vielschichtig und den Zahnärzten kommt sowohl für die Misshandlungsdiagnostik als auch für die Feststellung von Vernachlässigung eine wichtige Rolle zu. Waren es bisher zumeist die Kinderärzte, die bei der Erkennung gefährdeter Kinder eine Rolle spielen, sind es heute auch ganz besonders die Zahnärzte, die einerseits Misshandlungsfolgen erkennen könnten und handeln müssten, andererseits aber gerade bei der Vernachlässigungsdiagnostik im Rahmen der Mund- und Zahnhygiene aus unserer Sicht viel häufiger und früher reagieren müssen. Es gibt keine Meldepflicht für Zahnärzte Es gibt in Deutschland keine Meldepflicht für Zahnärzte bei Kindesmisshandlung und/oder Vernachlässigung. Damit besteht auch für die zahnärztliche Behandlung erst einmal die Schweigepflicht und eine entsprechende Verletzung könnte beispielsweise nach dem § 203 StGB entsprechende Konsequenzen haben [Fischer, 2010]. Andererseits hat der Zahnarzt auch gegenüber dem vernachlässigten Kind eine sogenannte Garantenstellung. Selbstverständlich muss die zahnärztliche Schweigepflicht gebrochen werden, wenn akute Gefahr besteht, die nicht anders abzuwenden ist. Diese Gefahr muss für ein hochrangiges Rechtsgut bestehen. Eine solche würde man bei Kindeswohlgefährdung schon sehen, da hier durchaus „Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre“ besteht. Der § 34 StGB könnte dann eine akute Anzeige beziehungsweise Informationsweitergabe rechtfertigen [Fischer, 2010]. Natürlich könnte die Entbindung von der zahnärztlichen Schweigepflicht schon früher Hilfsangebote ermöglichen. Diese Möglichkeit müsste zunehmend von den Zahnärzten genutzt Abb. 1: Multiple kariöse Läsionen im frühkindlichen Gebiss Foto: Christian Splieth zm114 Nr. 05, 01.03.2024, (338) Heilberufegesetz Berlin [BlnHKG, 2018] § 27 Berufspflichten (6) im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit als eine der in § 1 Absatz 1 Nummer 1, 2 und 5 genannten Personen auf besondere Risiken für Vernachlässigung, Missbrauch oder Misshandlung von Kindern zu achten und, soweit dies erforderlich ist, auf Schutz und Unterstützungsmaßnahmen hinzuwirken; sie arbeiten hierzu insbesondere mit anderen Berufen des Jugend-, Gesundheits- und Sozialwesens und den Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes und des Jugendamtes zusammen.
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