Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 05

TITEL | 55 schen Zug) durch teilweise haarlose Bereiche auf der Kopfhaut sichtbar werden [Bowens und Liker, 2021]. Auch wenn sichtbare Verletzungen nach sexuellem Missbrauch mit orogenitalem Kontakt selten sind, können sich diese in Form eines Erythems, von Petechien oder Ekchymosen zeigen – am häufigsten lokalisiert an der Verbindungsstelle zwischen hartem und weichem Gaumen [Spiller, 2023]. Orale und periorale Zeichen von Gonorrhoe bei präpubertären Kindern sind „pathognomonisch für sexuellen Missbrauch“ [Costacurta et al., 2016]. „Klinisch kann sich Gonorrhoe mit Erythemen, Geschwüren und papulös-vescicobollösen Läsionen sowie pseudomembranös in einigen Bereichen wie Lippen, Zunge, Gaumen und Nasen-Rachenraum zeigen“, berichten Costacurta und seine Kollegen [2016]. Grundsätzlich sollten Zahnärzte bei Anzeichen für ein auffällig gewalttätiges Verhaltens eines Kindes, bei einem Vermeiden oder Zurückschrecken vor Berührungen, bei einem auffallenden Misstrauen gegenüber Erwachsenen, bei ungewöhnlichem sexuellem Verhalten und Wissen oder bei einer für die Jahreszeit ungewöhnlichen Kleidung besonders wachsam sein. Zahnärzte bekommen gefährdete Kinder eher zu Gesicht Die Rolle der Zahnärzteschaft in Bezug auf die Meldung von möglicher Kindesmisshandlung ist insofern eine besondere, als dass Missbrauchstäter eher wiederholt dieselbe Zahnarztpraxis besuchen, aber vermeiden, zum selben Arzt oder in dasselbe Krankenhaus zurückzukehren, um keine Aufmerksamkeit zu erregen [Patil et al., 2017]. Das liegt womöglich daran, dass Zahnärzte „eher als technische Dienstleistung, denn als Gesundheitsdienstleistung wahrgenommen“ werden [Mele et al., 2023]. Somit sind Zahnärzte möglicherweise die einzigen Ärzte, die ein misshandeltes Kind untersuchen. Es gibt Verletzungen, für die eher keine ärztliche Vorstellung notwendig scheint, etwa Hämatome. Ausgeschlagene oder abgebrochene Zähne hingegen führen viel eher zu einer Vorstellung des Kindes in einer Zahnarztpraxis. Darüber hinaus sind Zahnärztinnen und Zahnärzte im Vergleich zu Ärzten anderer Fachbereiche geschulter „in der Erkennung von pädiatrischen Munderkrankungen und Zahnverletzungen. Bei den meisten misshandelten und vernachlässigten Kindern gibt es Anzeichen für eine Misshandlung im orofazialen Bereich, so dass Zahnärzte eine einzigartige Möglichkeit haben, Misshandlungen zu erkennen“ [Spiller, 2023]. Immer noch werden zu wenige Fälle von Kindesmissbrauch gemeldet. Mögliche Gründe könnten sein, dass Zahnärztinnen und Zahnärzte unsicher sind, ob es sich wirklich um Misshandlung handelt und die Äußerung eines falschen Verdachts scheuen [Spiller, 2023]. Oder sie befürchten negative Auswirkungen auf die Praxis, rechtliche Konsequenzen, einen Patientenverlust sowie mögliche Folgen für das Kind [Singh und Lehl, 2020; Spiller, 2023]. Ganz besonders waren und sind aber das fehlende Wissen über die nötigen Schritte / das Procedere bei einem Verdachtsfall ein Hemmnis im Praxisalltag [Nilchian et al., 2021]. Es besteht überdies ein Zusammenhang zwischen Berufserfahrung und einer höheren Zahl von Meldungen von Verdachts- beziehungsweise Missbrauchsfällen [Mele et al., 2023]. nl zm114 Nr. 05, 01.03.2024, (345) HIER BEKOMMEN SIE UNTERSTÜTZUNG! n Dokumentieren Sie den Befund und die Beobachtungen, die Sie gemacht haben, sorgfältig und mit Datum und Uhrzeit. Hierfür können Sie den Befundbogen forensische Zahnmedizin (www.zaek-berlin. de, Suchbegriff: Befundbogen) heranziehen. n Beziehen Sie die beteiligten Personen in Ihre Beobachtungen ein und klären Sie über Hilfsangebote und Unterstützungsmöglichkeiten der Jugend- und Gesundheitshilfe auf. Im Zweifel sind die Jugendämter in Sachen Kinderschutz immer die zentralen Ansprechpartner (§ 8a SGB VIII). n Zum Schutz des Kindes vor weiteren körperlichen Misshandlungen können Sie neben dem Jugendamt auch die Polizei benachrichtigen. n Gemäß § 4 Abs. 2 KKG (Gefährdungseinschätzung) haben Sie Anspruch auf eine Beratung mit einer Fachkraft. Dazu können Sie entweder die Hotline Kinderschutz oder ein Jugendamt kontaktieren, wobei Sie zunächst keine Namen der betroffenen Personen nennen sollten. n Die Medizinische Kinderschutzhotline (0800 1921000) ist ein vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördertes Beratungsangebot für Fachkräfte des Gesundheitswesens. Dort beraten geschulte Ärztinnen und Ärzte sowie Beraterinnen und Berater aus anderen Bereichen rund um die Uhr zu allen (vermuteten) Fällen einer Kindeswohlgefährdung. Beantwortet werden Fragen zu Rechten und Pflichten bei Verdachtsfällen, zu suspekten Verletzungen, zur Diagnostik und Dokumentation, zum Ansprechen des Verdachts bei den Sorgeberechtigten und zu Anlaufstellen. n „Wenn sich der Verdacht auf eine „Kindeswohlgefährdung“ erhärtet, sind Sie befugt, dem Jugendamt die erforderlichen Daten zu übermitteln (§ 4 Abs. 3 KKG). Sagen Sie den Sorgeberechtigten des Kindes, worüber Sie sich Sorgen machen und warum Sie das Jugendamt informieren werden – soweit dies nicht den Schutz des Kindes gefährdet. Erklären Sie deutlich, dass es die Aufgabe des Jugendamtes ist, den Eltern Hilfe und Unterstützung anzubieten. Dies stellt keinen Verstoß gegen § 203 StGB oder die Berufsordnung dar, sofern: - gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen vorliegen - oder ein Tätigwerden des Jugendamtes für erforderlich gehalten wird und somit die Voraussetzungen für den § 4 KKG vorliegen!“ Zahnärztekammer Berlin

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