Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 05

66 | GESELLSCHAFT lende Unterstützung sowie der eingeschränkte Zugang zu Insider-Informationen (wie Stellen, die nicht öffentlich ausgeschrieben, sondern nur über Netzwerke besetzt werden) erschweren ihnen die Wahl des richtigen Karrierepfads und die Vorbereitung auf Vorstellungsgespräche“, heißt es in der Studie. „Ich hatte am Anfang von vielen betrieblichen Dingen keine Ahnung“ Auch mit zunehmender Berufserfahrung würden diese Herausforderungen nicht ganz verschwinden. Für Poller war der Berufseinstieg ohne Vorwissen eine Herausforderung. Das ist ihm jetzt, mit mehr Erfahrung, noch stärker bewusst als früher. Er beschreibt es so: „Ich hatte am Anfang von vielen betrieblichen Dingen keine Ahnung, zum Beispiel von Kennzahlen im Umsatz. Ohne berufliches Netzwerk empfand ich es als schwierig, an verlässliche Informationen zu kommen und mich zurechtzufinden. Ich hatte sehr stark das Gefühl, dass sich meine Kommilitoninnen und Kommilitonen aus zahnärztlichen Familien sehr viel besser auskannten, was ja auch verständlich ist.“ Ein weiteres Thema, das für Poller insbesondere am Anfang seiner Karriere absolutes Neuland darstellte, war das Gehalt. „Ich hatte keine Anhaltspunkte, auf die ich zurückgreifen konnte, und wusste nicht, welche Gehälter üblich sind. Auch andere Aspekte wie die Lohnfortzahlung im Urlaub hatte ich als Anfänger überhaupt nicht auf dem Schirm“, erinnert er sich. Solche Wissenslücken können nachhaltige finanzielle Folgen haben. Die Wissenschaft spricht in diesem Zusammenhang vom Class Pay Gap. Es bedeutet: Fachkräfte mit einem nicht akademischen Background verdienen weniger – weil sie beim Gehalt ohne Insider-Wissen schlechter abschneiden. In Deutschland ist das Class Pay Gap bisher nicht erforscht. Anders sieht es in Großbritannien aus. Dort wurde vor einigen Jahren mit der „Social Mobility Commission“ (SMC) eine Kommission eingesetzt, die entsprechende Daten erfasst. Aus dem von der SMC veröffentlichten Bericht „The Labour Force Survey“ aus 2017 geht hervor, dass es „ein starkes und weitgehend uneingestandenes ‚Lohngefälle zwischen den Klassen‘ innerhalb der Berufe gibt. Personen aus der Arbeiterklasse verdienen im Durchschnitt 6.800 Pfund weniger als andere Kollegen aus Fach- und Führungspositionen“. Das sind knapp 8.000 Euro pro Jahr. Der Class Pay Gap für Ärztinnen und Ärzte lag laut SMC mit knapp 7.000 Pfund sogar leicht über dem Durchschnitt. Auch die britische Nichtregierungsorganisation (NGO) „The Social Mobility Foundation“ kommt in ihren regelmäßigen Analysen des Class Pay Gaps zu dem Schluss, dass Menschen, die aus der Arbeiterklasse stammen und in höheren Führungspositionen arbeiten, 13 Prozent weniger verdienen als Gleichaltrige aus „privilegierten Verhältnissen“. Für Ärztinnen und Ärzte in Großbritannien erfasste die NGO zuletzt eine Gehaltsdifferenz von 3.640 Pfund – umgerechnet knapp 4.300 Euro – pro Jahr. Ihr Fazit: Dem sozioökonomischen Hintergrund sollte die gleiche Aufmerksamkeit zukommen wie anderen Dimensionen von Diversität, etwa Geschlecht oder Einwanderungsgeschichte. „Bei mir war sehr viel Selbstmotivation im Spiel“ Die Boston Consulting Group beschäftigt sich in ihrer FirstGen-Studie zwar nicht mit dem Class Pay Gap, fordert aber klar, dass die aufgrund der sozialen Herkunft bestehenden speziellen Bedürfnisse von Arbeitskräften gezielt adressiert werden sollten. Die Unternehmensberatung empfiehlt Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern, die Bewerbungen von FirstGens nicht vorschnell auszusortieren, etwa, weil ihre Lebensläufe nicht linear sind oder sie länger studieren. „Vor einer Ablehnung von nichtlinearen Lebensläufen sollten Sie Kandidat:innen die Möglichkeit geben, ihren beruflichen Werdegang zu erläutern. Neugierde ist immer besser als ein vorschnelles Urteil“, heißt es in der Studie. Die Mühe lohne sich: FirstGens seien mit 40 Prozent höherer Wahrscheinlichkeit intrinsisch motiviert. Poller erkennt sich in dieser Charakterisierung in der Hinsicht wieder: Um über den zweiten Bildungsweg zu studieren war sehr viel Selbstmotivation im Spiel. Der Studie zufolge übernehmen FirstGens in späteren Karrierephasen mit 48 Prozentpunkten eher Führungspositionen. Das trifft auch auf Poller zu. Er hat nach nur 2,5 Jahren nach dem Ende seines Studiums die Leitung einer MVZFiliale übernommen. Das Verhältnis zu seinen Chefs beschreibt er als „respektvoll und geprägt von viel beruflichem Austausch“. Für die Bedürfnisse junger Kolleginnen und Kollegen, insbesondere für die mit einer ähnlichen Biografie, ist er sensibilisiert. Für ihn ist es ein Anliegen, sein Know-how mit ihnen zu teilen, egal, ob es um Gesprächsführung, Case Management oder Teamführung geht. „Das mache ich auch ungefragt, weil ich es wichtig finde, dass wir uns gegenseitig unterstützen und voranbringen“, erklärt der Zahnarzt. Damit ist er ganz auf Linie mit der Empfehlung, die die BCG-Studie FirstGens gibt: „Verhalten Sie sich authentisch und inspirieren Sie andere durch Ihr Vorbild. Sprechen Sie offenüber Ihren Hintergrund, um andere zu ermutigen.“ sth zm114 Nr. 05, 01.03.2024, (356) Fotos: Lustre - stock.adobe.com, privat Wie funktioniert das hier? – Ohne Vorwissen in den Job zu starten, ist eine riesige Herausforderung.

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