Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 06

22 | ZAHNMEDIZIN Diskussion Wurzelkanalbehandlungen sind täglich durchgeführte zahnärztliche Behandlungen, die dem Patienten helfen sollen, in einen schmerzfreien Alltag zurückzukehren. Der Gebrauch von Spüllösungen wie Natriumhypochlorid, Chlorhexidin und EDTA ist dabei ein relevanter Teil des Vorgehens. Jedoch müssen die korrekte und vorsichtige Aufbereitung der Kanäle sowie die Anwendung der Spüllösungen in der richtigen Konzentration immer wieder ins Gedächtnis gerufen werden, damit Spülunfälle wie diese – mit weitreichenden Komplikationen – vermieden werden. Aufgrund der zytotoxischen Eigenschaften des Natriumhypochlorids kommt es zu einem Gewebezerfall, der im Rahmen der Wurzelkanalbehandlung infektiöses Material innerhalb des Wurzelkanals auflösen und abtragen soll [Ruksakiet et al., 2020]. Diese Wirkung entfaltet sich jedoch auch außerhalb des Wurzelkanals ungeachtet des Gewebes. Aufgrund dieser Gewebe-erweichenden und teils toxischen Wirkung von Natriumhypochlorid als Lauge sollten ein Überpressen und ein Austreten ins benachbarte Gewebe in jedem Fall vermieden werden. Sonst kann es zu Kolliquationsnekrosen kommen. Gewebeschädigungen durch Spüllösungen sind keineswegs unbekannt, wenn auch selten, und werden im Zusammenhang mit einer Emphysementwicklung und Infektionen bis hin zu ausgeprägten Nekrosen beschrieben [Frohwitter et al., 2016, Shetty et al., 2020]. Aufgrund der anatomischen Nähe zwischen dem Apex des Zahnes 15 und der Kieferhöhle liegt in diesem Fall die Mutmaßung nahe, dass es nicht nur zu einem Austreten der Spüllösung in das umgebene Weichgewebe kam, sondern zusätzlich zu einer Ausbreitung über die Kieferhöhle, die zu einer großflächigen Nekrose des Knochens führte. In der Behandlung eines solchen Vorfalls ist initial eine Spülung des Kanals mit NaCl zur Verdünnung des alkalischen NaOCl einzusetzen, um die Wirkung einzudämmen [Kanagasingam et al., 2020]. Neben einer antibiotischen Breitspektrum-Therapie und lokalen antiseptischen Maßnahmen ist eine Analgesie bei ausgeprägter Schmerzintensität einzuleiten [Frohwitter et al., 2016]. Bei der weiteren Behandlung des nekrotischen Areals sind verschiedene Ansätze gegeneinander abzuwägen. Die direkte Abtragung der Nekrose ist möglich, hätte hier jedoch mit Blick auf vergleichbare Fälle mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer ausgeprägten Mund-Antrum-Verbindung und einem großen Gewebedefekt geführt [Ortiz-Alves, 2022]. Durch das Abwarten der Demarkierung wird das Ausmaß der Kolliquationsnekrose sichtbar. In der Zwischenzeit kann durch Stimulation der Wundheilung eine Gewebeneubildung unterhalb der Nekrosezone induziert werden. Dadurch wird die schlussendliche Defektsituation minimiert. Dieses Vorgehen zahlte sich in diesem Fall aus und ersparte der Patientin eine ausgedehnte Rekonstruktion zum Weichgewebsersatz. Nach einer ausreichenden Ausheilungsphase werden nun der knöcherne Aufbau und eine Implantation zur dentalen Rehabilitation angestrebt. Fazit für die Praxis Der Einsatz von Spüllösungen zur Wurzelkanalbehandlung ist ein alltäglicher Vorgang. Nichtsdestotrotz sollte man sich das mögliche Ausmaß eines Spülunfalls immer wieder vor Augen führen, um die notwendige Sorgfalt walten zu lassen. Statt eines Zahnerhalts kann es durch solche Komplikationen für den Patienten zu langwierigen Folgebehandlungen, einer ausgeprägten Schmerzsymptomatik und psychischen Belastungen kommen.  zm114 Nr. 06, 16.03.2024, (420) Abb. 7: Reizloser Schleimhautbefund regio 15 bis 16 Abb. 8: DVT: Ausgeheilte Knochensituation und regelrecht belüftete Kieferhöhle in sagittaler (A) und koronarer Schicht (B) Fotos: Universitätsklinikum Augsburg, MKG A B

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