Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 07

zm114 Nr. 07, 01.04.2024, (522) 24 | ZAHNMEDIZIN Das gilt auch für die Unterschiede im Bereich Parodontitis. Hier sind Gene, die für die Zytokin- und InterleukinRezeptoren beziehungsweise für die Transkription und Translation von spezifischen Proteinen kodieren, auf dem X-Chromosom lokalisiert. Für geschlechtsspezifische Hormone lassen sich widersprüchliche Ergebnisse bezüglich der Parodontitisentstehung konstatieren. Klinisch findet man bei Männern eine höhere Gingivitisprävalenz, vermehrt Zahnstein und Plaque als bei Frauen. Auch die Parodontitisprävalenz ist bei Männern höher als bei Frauen. Dabei spielen natürlich auch Mundhygienegewohnheiten und systemische Erkrankungen eine Rolle. Interessanterweise lässt sich auch in Tierversuchen nachweisen, dass sich bei männlichen Tieren eine erhöhte inflammatorische Antwort gegenüber einer bakteriellen Infektion mit einem erhöhten Risiko für eine schwere Parodontitis zeigt. Außerdem kommt es durch die Expression spezieller Gene zu einer Modulation der Nozirezeption, die zu einer unterschiedlichen Ausprägung der Schmerzempfindung bei Männern und Frauen beitragen könnte. Hier könnten auch die Gründe für eine unterschiedliche Ausprägung der orofazialen Schmerzsymptomatik bei Craniomandibulärer Dysfunktion (CMD) liegen. Zudem spielen Hormone, das Alter und die unterschiedliche Faserzusammensetzung der Kaumuskeln eine Rolle. Bezüglich der Entstehung von oralen Karzinomen gibt es nach Adjustierung der Verhaltensfaktoren, beispielsweise Alkoholkonsum und Rauchen, ein höheres Risiko für Männer als für Frauen. Das ließ sich auch in Tierversuchen zeigen. Diskussion Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass zukünftig in klinischen Studien vermehrt geschlechterspezifische Unterschiede berücksichtigt und die Studienpopulationen entsprechend gestaltet werden sollten. Außerdem kritisieren sie, das eine geschlechterspezifische Ausrichtung in Studien nahezu vollständig fehlt. Projekte, die die Auswirkungen personalisierter Interventionen auf die orale Gesundheit beinhalten, sollten daher gefördert werden, um maßgeschneiderte präventive Strategien zu entwickeln. Um die Hintergründe für eine Forderung nach einer geschlechterspezifischen Forschung noch einmal zu verdeutlichen, sei auf eine Studie zur Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen hingewiesen, die im Journal of the American College of Cardiology publiziert wurde. Demnach müssen Frauen deutlich weniger Sport (140 Minuten) treiben als Männer (300 Minuten), um ihr Sterberisiko in gleichem Maß zu senken beziehungsweise die Anfälligkeit für Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu reduzieren [Hongwei et al., 2024]. Dabei wurden 400.000 Amerikanerinnen und Amerikaner über 24 Jahre beobachtet. Als mögliche Ursache dafür führen die Autoren an, dass Frauen eine niedrigere Muskelmasse bei gleichzeitig höherer Gefäßdichte haben. Müssten also die Gesundheitsempfehlungen, beispielsweise der WHO, bezüglich sportlicher Betätigung für Männer und Frauen an dieser Stelle nicht hinterfragt werden? Fazit Obwohl seit Langem bekannt ist, dass die biologischen Unterschiede von Frauen und Männern nicht selten in der Prädisposition gegenüber Erkrankungen, in der Prävalenz von Erkrankungen, in der Ausprägung von Symptomen und auch in der Therapie eine gewichtige Rolle spielen können, scheint das auf die Gestaltung des Studiendesigns vieler Forschungsprojekte keinen Einfluss zu haben. Ein Grund mag die Tatsache sein, dass die Klärung, ob geschlechtsspezifische Unterschiede relevant für die Beantwortung der gestellten Forschungsfrage sein könnten, in vielen Fällen überflüssig erscheint. So dürften beispielsweise Studien, die die Haftung von Adhäsivsystemen an Schmelz und Dentin untersuchen, kaum von geschlechtsspezifischen Unterschieden beeinflusst sein. Eine pauschale Forderung nach geschlechterspezifischen Studiendesigns lässt sich demzufolge nicht begründen. Auf der anderen Seite sollten dort, wo geschlechterspezifische Einflüsse denkbar oder schlüssig erscheinen, die Studiendesigns entsprechend gestaltet werden. Das dient nicht zuletzt der Erhöhung der Aussagekraft der Forschungen. Genderspezifische Differenzierungen müssten, um für die Gestaltung von Studiendesigns überhaupt nutzbar zu sein, zunächst einmal konkret definiert werden. Das wird wegen der zahlreichen unterschiedlichen Identitäten undBegriffsbeschreibungen, die in der sozialen Debatte auftauchen, sicher kein einfaches Unterfangen. Dass Gesundheit und Krankheit prinzipiell Referenzen in soziale Gruppen haben können, ist lange bekannt – beispielsweise beeinflusst der Bildungsgrad durchaus die Prävalenz verschiedener Erkrankungen. Insofern wäre ein genderspezifischer Impact auf die Biologie grundsätzlich denkbar, Hinweise darauf sind jedoch bestenfalls rar. „ Die Studie: Sangalli, L et al.,: Sex as a Biological Variable in Oral Diseases: Evidence and Future Prospects. J Dent Res 1023, 1395-1416, 2023. AUS DER WISSENSCHAFT In dieser Rubrik berichten die Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats der zm regelmäßig über interessante wissenschaftliche Studien und aktuelle Fragestellungen aus der nationalen und internationalen Forschung. Die wissenschaftliche Beirat der zm besteht aus folgenden Mitgliedern: Univ.-Prof. (a.D.) Dr. Elmar Hellwig, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg (bis 31.12.2023) Univ.-Prof. Dr. Dr. Søren Jepsen, Universität Bonn Univ.-Prof. Dr. Florian Beuer, Charité – Universitätsmedizin Berlin Univ.-Prof. Dr. Dr. Peer W. Kämmerer, Universitätsmedizin Mainz

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