GESELLSCHAFT | 75 zm114 Nr. 07, 01.04.2024, (573) welt erhalten geblieben sind, ist dem Engagement des Düsseldorfer Medizinhistorikers Prof. Dr. med. Hans Schadewaldt (1923–2009) zu verdanken. Die Fotos wurden weitgehend von Walter von Oettingen aufgenommen, der mit einer Goerz-Anschütz-Kamera arbeitete, die bis zu 460 Goldmark kosten konnte – das Fünffache eines damaligen monatlichen Durchschnittslohns. Die „Ango“ galt als erster Pressefotoapparat. Die Abzüge bestechen auch nach über hundert Jahren durch die detailgenaue Wiedergabe und Qualität. Neben den Kriegsschauplätzen, den medizinischen Einrichtungen, Land und Leuten werden auch private Fotografien der Familie gezeigt. Dass die von Oettingens den Fernen Osten des Russischen Reiches überhaupt mit dem Zug erreichen konnten, verdankten sie dem Bau der Transsibirischen Eisenbahn, die auf Veranlassung von Zar Alexander III. (1845–1894) ab 1891 gebaut wurde. Davor mussten sich die Menschen ihren Weg mühsam über die sibirische Poststraße bahnen, die im Sommer im Schlamm versank, im Winter durch Schnee oft unpassierbar war und die der russische Schriftsteller Anton Tschechow (1860–1904) als die „hässlichste Straße auf der ganzen Welt“ bezeichnet hatte. „Pünktlich“ zu Kriegsbeginn war eine Durchquerung der Weiten Sibiriens möglich, wobei die südliche Trasse der Bahn, die Transmandschurische Eisenbahn, durch chinesisches Gebiet verlief. Wenige Minuten später krachten die ersten Schüsse Auf ihrer Hinreise mussten die von Oettingens aber noch mit einer Fähre den Baikalsee überqueren, da die Umfahrung nicht fertig war. Elisabeth beschreibt in ihrem Buch die Überfahrt so: „Der Dampfer fährt mit seinem Heck an den geöffneten Prahm heran und verschluckt gleich einem Moloch lange Züge von Waggons, die von der Lokomotive hineingeschoben werden. 27 bis 29 Wagen fasst der Schiffsbauch, dann schließen sich die Tore. Nun wendet sich der Dampfer, mit gewaltigem Ruck tritt der Eisbrecher in Kraft" [Elisabeth von Oettingen, 1905]. Natürlich war das Engagement für das Rote Kreuz für das medizinische Personal nicht ungefährlich: „In der zweiten Nacht der Reise wurde plötzlich unser Zug auf einer Station angehalten, weil Chinesen den Kommandanten von einem bevorstehenden Angriff von3.000 Chunchusen [chinesisch „Rotbärte“: Räuberbanden in der Mandschurei, Anm. d. Autors] in Kenntnis gesetzt hatten; ihre Absicht war, die Bahn zu zerstören. Sofort telephonierte man nach einem Zug mit Grenzsoldaten, mehrere Schützen wurden in den einzelnen Waggons untergebracht, der Zug von beiden Seiten mit Militärwaggons gleich einer Wagenburg umstellt und alle Lichter ausgelöscht. In gewisser Spannung harrten wir in der Kay Lutze Historiker, M.A. Foto: privat Elisabeth von Oettingen (l.) mit serbischen Soldaten während der Balkankriege, 1912 oder 1913 Foto: Lutze / Wilhelm-Fabry-Museum WALTER VON OETTINGEN (1873–1948) ... wurde im estnischen Dorpat, heute Tartu, geboren. Die Familie entstammt einem westfälischen Adelsgeschlecht. Er studierte ab 1890 Medizin in Dorpat und folgte nach seinem Abschluss seinen Eltern 1896 nach Leipzig. In Berlin machte er ein Volontariat bei dem berühmten Professor Ernst von Bergmann (1836–1907), der 1888 der behandelnde Arzt des an Kehlkopfkrebs erkrankten Kaiser Friedrich III. (1831–1888) war. Er arbeitete auch als Schiffsarzt einer Hamburger Reederei, die die Route zwischen Deutschland und Deutsch-Ostafrika bediente. 1903 begann er als von Bergmanns Assistent an der Königlichen Klinik in Berlin. Im selben Jahr heiratete der Chirurg Elisabeth Schambach (1875–1972), deren Ausbilder er während ihrer Lehre zur Operationsschwester in der Klinik war.
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