TITEL | 27 In Sachsen-Anhalt haben Zahnärztekammer und KZV im vergangenen Jahr eine Umfrage zu „Angriffe(n) und Sicherheitsbedenken“ unter Zahnärztinnen und Zahnärzten durchgeführt. Sie ist nicht repräsentativ, vermittelt aber einen Eindruck vom Praxisalltag. Demnach sind knapp zwei Drittel von ihnen schon einmal verbal und 6 Prozent sogar körperlich angegriffen worden. Fast 80 Prozent gaben an, dass Patienten in ihrem Auftreten aggressiver und fordernder geworden sind. 44 Prozent haben Sicherheitsbedenken in den nächtlichen Notdiensten. Knapp ein Viertel hat Sicherheitstechnik wie Überwachungskameras installiert. Nur 3 Prozent haben deshalb bereits einen Kurs zur Deeskalation und Selbstverteidigung absolviert, knapp 4 Prozent haben ein solches Fortbildungsangebot in Planung und 58 Prozent daran Interesse. Gehören Übergriffe mittlerweile einfach zum Praxisalltag? Was aber führt dazu, dass Patienten derart ausrasten? Fest steht: Die wenigsten Patienten haben gezielt im Sinn, Zahnärztinnen, Zahnärzten und ihren Mitarbeitern zu schaden. Als Erkrankte und Verletzte befinden sie sich vielmehr in einer für sie schlimmen Ausnahmesituation. Mitunter haben sie starke Schmerzen, vielleicht auch Angst, stehen unter Schock, fühlen sich hilflos und sind gestresst. In dieser angespannten Stimmung kann schon ein Wort das Fass zum Überlaufen bringen. Dabei sind psychische Erkrankte ebenso wie alkoholisierte Personen und Drogenkonsumenten oft besonders reizbar. Und nicht zu vergessen: In der Zahnarztarztpraxis kommen sich Patient und Zahnarzt am Stuhl sehr nah. Letztendlich bringe jeder Patient seine eigene Persönlichkeitsstruktur mit, und darunter seien auch ausgeprägte Temperamente mit wenig Impulskontrolle, resümiert Dr. Martin J. Gunga, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie in Lippstadt. Er identifiziert sechs „problematische Patiententypen“ (siehe Kasten). Aus Berichten von Zahnärztinnen und Zahnärzten an die Kammern geht hervor, dass bedrohliche Situationen häufig schon an der Rezeption entstehen. Generell sei die Anspruchshaltung gestiegen, die Hemmschwelle dagegen gesunken. Wegen nicht erfüllbarer Terminwünsche oder Therapiemaßnahmen komme es zu Frustration, ebenso wie bei zu hoch empfundenen Kosten oder nicht verstandenen Empfehlungen. In der Schusslinie stehe dann meist das Praxispersonal. zm114 Nr. 08, 16.04.2024, (617) RÜSTEN SIE SICH! Mit speziellen Deeskalationstrainings können sich Zahnärztinnen und Zahnärzte für den Fall der Fälle im Umgang mit aggressiven Patienten wappnen und die eigene Resilienz stärken. Im Mai zum Beispiel wird auf dem Thüringer ZMV-Tag ein Vortrag zu „Der fordernde Patient“ gehalten. Im Juni veranstaltet die Hamburger Zahnärztekammer die Fortbildung „Erkennen problematischer Patienten und Verhaltensstrategien zum Eigenschutz des Praxisteams“. Das Philipp-Pfaff-Institut in Berlin bietet Ende des Jahres einen interaktiven Workshop mit dem Titel „Aggressive Patienten – eine Herausforderung für die Praxis“ an. Die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) hat zum Beispiel diese Seminare im Angebot: „Die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung kompetent meistern – Rolle und Aufgabe der Führungskraft“ oder „Arbeitsschutz für Führungskräfte – Sicherheit und Gesundheit kompetent organisieren“. ERFAHRUNGEN AUS DER PRAXIS Auch Zahnarzt Claus-Peter Beck aus Heidelberg wurde schon von Patienten bedroht, beschimpft und geschubst. Der Praxischef ist auch Beauftragter der KZV Baden-Württemberg für die Notdienstzentren in Heidelberg und Mannheim. Eins seiner Themen dort: die Sicherheit. Wann werden Patienten am ehesten aggressiv? Claus-Peter Beck: Spannungen werden oft spürbar, wenn Wunsch und Wirklichkeit auseinanderklaffen. Beispielsweise wenn Patienten bereits Dr. Google befragt haben und meinen, zu wissen was ihnen fehlt, ich in der Praxis oder im Notdienst aber anders diagnostiziere. Dann wird die Stimmung schon mal aggressiv, die Patienten beschweren sich lauthals, diskutieren, drohen mit Prügel und Vergeltung mit schlechten Bewertungen und Rezensionen. Wurden Sie auch schon einmal tätlich angegriffen? Ja, einmal kam es soweit. Ein Patient hat wutentbrannt die Rezeption abgeräumt und mich geschubst, als ich ihn zurechtwies. Ein anderes Mal hat der Onkel einer minderjährigen Notpatientin mit Gewalt gedroht, als ich deren erhaltungswürdigen Zahn nicht ziehen wollte. Wer den Arzt noch nicht kennt, also wenn noch keine Arzt-Patienten-Beziehung besteht, der tickt eher aus, so mein Eindruck. Wie reagieren Sie auf solche bedrohlichen Situationen? Ich versuche mich eher zurückzuziehen, vermeide die Konfrontation. Im Zweifel verweise ich auf mein Hausrecht und bitte zur Tür oder drücke sogar den installierten Notknopf. Wie gehen Sie als Team mit schwierigen Patienten um? Wir lassen uns regelmäßig schulen, um für solche bedrohlichen Situationen gewappnet zu sein. Dann kommt ein Kickbox-Trainer oder jemand von der Polizei und übt den Umgang mit uns. Außerdem sprechen wir über schwierige Situationen. Bei Bedarf bin ich immer ansprechbar. Beides würde ich auch meinen Kolleginnen und Kollegen raten.
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