Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 10

24 | ZAHNMEDIZIN Knie-Ersteingriffe 0,6 Prozent [Bleß und Kip, 2016]. Ob eine antibiotische Prophylaxe vor einer Zahnextraktion indiziert ist, wird seit einiger Zeit kontrovers diskutiert, während es in anderen Ländern eine Vielzahl von Empfehlungen gibt (siehe Anhang). Hintergrund ist eine mögliche Infektion an der Gelenkprothese durch eine Bakteriämie nach dem Eingriff, die im ungünstigsten Fall einen Wechsel des implantierten Materials zur Folge habenkann. Die Inzidenz für eine EndoprothesenInfektion liegt bei etwa ein Prozent [Schrama et al., 2010], der Anteil an Prothesen-Infektionen durch Erreger der oralen Flora beträgt je nach Studienlage vier bis acht Prozent [Gomez et al., 2011]. Für den Großteil der Infektionen sind andere Bakterien wie Staphylokokken als typische Besiedler der Haut (zum Beispiel Staphylokokkus aureus) oder Darmbakterien (zum Beispiel Escherichia coli) ursächlich [Schrama et al., 2012]. Eine aktuelle britische Studie hat knapp 9.500 Patienten mit Spätinfektionen ihrer Gelenkprothesen untersucht, die zuvor eine Zahnbehandlung ohne antibiotische Abschirmung erhalten hatten. Ein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen einem zahnärztlichen Eingriff und der Prothesen-Infektion wurde nicht gefunden, allerdings war das Studiendesign für die Untersuchung dieses Zusammenhangs nicht geeignet [Thornhill et al., 2022]. Aus Sicht der Forschenden besteht bei einer mangelhaften Zahn- und Mundhygiene ein viel größeres Risiko für eine Verschleppung von Bakterien aus der Mundhöhle. Daher müssten solche Patienten und deren Behandler ein besonderes Augenmerk auf eine ausreichende und lebenslange Zahnpflege legen. Vor diesem Hintergrund empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Endoprothetik in einer Stellungnahme „nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Analyse nach wie vor den Einsatz der antibiotischen Prophylaxe vor blutigen Zahneingriffen, auch wenn bisherige Studien dies nicht untermauern können“ [AE, 2022]. Auch spiele der Zeitpunkt der Primärimplantation keine Rolle mehr. Das gilt für die gesamte Standzeit der Endoprothese. So wird geraten, Amoxicillin als Mittel der ersten Wahl mit einer Dosis von 2 g (analog zur Endokarditisprophylaxe) als einmalige Gabe eine Stunde vor einem invasiven („blutigen“) zahnmedizinischen Eingriff zu verabreichen. Bei bekannter Penicillin-Allergie könne zwar eine einmalige Gabe von Clindamycin 600 mg erfolgen, allerdings gebe es zur Wirksamkeit dieses bakteriostatischen Antibiotikums wenig Evidenz. Als Grund für diese Empfehlung werden insbesondere der Kostensachverhalt und der Aufwand – für einen im Fall einer Infektion – notwendigen korrektiven Eingriff angeführt. Je nach Packungsgröße betragen die Kosten für ein Antibiotikum 0,65 bis 1,30 Euro pro Gramm, während die direkten Kosten bei einer Infektion einschließlich dem dann wieder zu erfolgenden Einbau eines neuen Implantats zwischen 20.000 und 30.000 Euro liegen, sonstige Belastungen für den Patienten nicht einbezogen. Die Expertengruppe Infektionen der Swiss Orthopaedics rät vor der Implantation eines Gelenkersatzes grundsätzlich zu einer Sanierung des Gebisses. Die Notwendigkeit einer antibiotischen Prophylaxe wird allerdings explizit verneint, da schon das „täglich mehrfache Zähneputzen […] eine höhere kumulative Bakteriämieinzidenz als eine einzelne Zahnextraktion“ [Sendi et al., 2016b] aufweise. Vielmehr wird das vorgängige Anwenden einer 0,2-Prozent-Chlorhexidin-Mundspülung empfohlen, das die Bakteriämie ähnlich reduzieren könne wie eine systemische antibiotische Prophylaxe. Genannt wird dort ausdrücklich eine begleitende systemische antibiotische Therapie einer apikalen Parodontitis oder eines Abszesses bei Patienten mit Endoprothesen. (Amoxicillin/Clavulansäure 3 × 1 g pro Tag oder bei Penicillin-Allergie Clindamycin 3 × 600 mg pro Tag für drei bis fünf Tage; danach klinische Reevaluation bezüglich Fortführung oder Sistierung der Therapie). Zusammengefasst liegt trotz Bezugnahme auf Leitlinien und Handlungsempfehlungen die Verantwortung für die Verabreichung des Medikaments beim behandelnden Zahnarzt. Die Zunahme multiresistenter Keime durch den Einsatz von Antibiotika ist zwar ein Grund, die Verordnungsweise grundsätzlich zu hinterfragen, allerdings ist die einmalige Einnahme eines Antibiotikums eher weniger mit einem erhöhten Risiko für die Entstehung multiresistenter Erreger verbunden [Hassan et al., 2022]. Die Entscheidung für eine prophylaktische Antibiose bei zahnärztlichen Eingriffen sollte den Zustand des Patienten (Anamnese, Risikoprofil) und seine allgemeine und spezielle Morbidität (Immunerkrankungen, Imzm114 Nr. 10, 16.05.2024, (810) CIRS DENT – JEDER ZAHN ZÄHLT! SO KANN ICH MITMACHEN „CIRS dent – Jeder Zahn zählt!“ (CIRS: Critical Incident Reporting System) ist ein Online-Berichts- und Lernsystem von Zahnärzten für Zahnärzte. Auf der Website www.cirsdent-jzz.de können dort angemeldete Kolleginnen und Kollegen auf freiwilliger Basis, anonym und sanktionsfrei über unerwünschte Ereignisse aus ihrem Praxisalltag berichten, sich informieren und austauschen. Ziel ist es, so aus eigenen Erfahrungen und denen anderer Zahnärzte zu lernen. Damit leistet jeder Teilnehmer einen aktiven Beitrag zur Verbesserung der Patientensicherheit. Rund 6.000 Zahnärzte haben sich bereits registriert und rund 180 Berichte eingestellt. Machen auch Sie mit – es lohnt sich! Zur Anforderung eines neuen Registrierungsschlüssels, etwa im Fall eines Verlusts, können sich Praxisinhaber an ihre zuständige Kassenzahnärztliche Vereinigung (KZV) oder an cirsdent@ kzbv.de wenden. Privatzahnärztlich tätige Kollegen und die Leiter universitärer zahnärztlicher Einrichtungen erhalten die Registrierungsschlüssel von ihrer (Landes-)Zahnärztekammer, die Mitglieder der Bundeswehr von ihren Standortleiter.

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