PRAXIS | 65 mein täglicher Workflow nicht behindert wird durch das Fehlen einer Angestellten. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass ein Haushaltstag die Produktivität steigert, da die Motivation steigt und die Selbstorganisation der Mitarbeitenden gefördert wird. Übrigens darf der Haushaltstag natürlich auch ausgesetzt werden, wenn der Mitarbeitende ihn nicht benötigt, aber es bedeutet auch, dass der Tag bei Nichtinanspruchnahme verfällt. Das bedeutet, ein Haushaltstag wird weder angespart noch ausgezahlt. Welche Effekte beobachten Sie auf den Arbeitsmarkt? Der Mitarbeitermangel ist ein Zustand, den viele Kolleginnen und Kollegen kennen. Bislang war ich nicht davon betroffen, da wir ein kleines und sehr stabiles Team sind. Das änderte sich leider durch langwierige Krankheiten von drei Mitarbeiterinnen. Ich habe selbstverständlich auf der Jobbörse der KZV inseriert. Dort habe ich aber nur sehr wenig Resonanz erfahren. Da unsere Praxis sehr aktiv auf den sozialen Medien wie Instagram ist, kann ich sagen, dass hier schon deutlich mehr Bewegung ist. Es haben sich tatsächlich daraufhin mehrere Bewerber vorgestellt. Kam es zum Vetragsabschluss? Ja, tatsächlich. Ich habe einen 34-jährigen Künstler (Musik und Fotografie) als Quereinsteiger eingestellt. Er arbeitet aktuell in Teilzeit, weil er sich weiter seiner Kunst widmen möchte – hat aber das Ziel, die Ausbildung in zwei Jahren zu machen und dann die Prüfung zum ZFA. Er ist hochmotiviert. Wie sahen die Rückmeldungen von Kolleginnen und Kollegen aus? Als ich das erste Mal auf Instagram öffentlich über die Idee des Haushaltstages berichtete, haben mir so viele Menschen geschrieben wie noch nie, darunter sehr viele Kollegen, aber auch fachfremde Unternehmerinnen wie zum Beispiel Friseurinnen und Kosmetikerinnen. Es scheint also ein Thema zu sein, was viele Unternehmen interessiert. Natürlich gab es auch Kritik, etwa den Vorwurf, ich würde mit der Maßnahme – vor allem aber mit dem Hinweis darauf – Potsdamer Kolleginnen und Kollegen Personal abwerben wollen. Wie schon beschrieben, war und ist das überhaupt nicht mein Ziel. Ohnehin arbeitet ja aktuell nur eine Ihrer Angestellten in Vollzeit, kommt also in den Genuss der Haushaltstage. Die übrigen arbeiten Teilzeit. Welche Arbeitszeitmodelle gibt es bei Ihnen und wie organisieren Sie das? Ich würde fast sagen, dass alle Modelle in der Praxis integriert sind: Eine Mitarbeiterin arbeitet auf Minijob-Basis, mehrere Teilzeit in einer 4-Tage-Woche, zwei im Wochenwechsel an unterschiedlichen Tagen, eine Mitarbeiterin 35 Stunden an fünf Tagen – und ich 37 Stunden an fünf Tagen. Ich bin nicht sehr begeistert von Schichtdiensten und sich ständig ändernden Arbeitsplänen. Das macht es sehr kompliziert für mich. Wir versuchen, dass jeder seine exakten und planbaren Arbeitszeiten hat. Das ist auch mit der digitalen Zeiterfassung wichtig, damit es nicht zu einem riesigen Chaos kommt. Arbeitszeitänderungen die längerfristig sind, müssen natürlich exakt abgesprochen werden – das ist ja klar. Eine Pilotstudie in Großbritannien sieht positive Effekte einer 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich – gesundheitliche bei den Belegschaften und wirtschaftliche für die Arbeitgeber. Was sagen Sie dazu? Das Projekt Haushaltstag ist noch ganz frisch und noch keine zwei Monate alt. Ich kann weder von positiven noch von negativen Effekten berichten. Aber ich kann mir absolut vorstellen, dass es viele positive Effekte hat: Zum einen glaube ich, dass die Motivation gesteigert wird und für die Organisation von Familien ein riesiger Vorteil entsteht. Durch eine gute Organisation innerhalb der Familien und durch steigende Motivation sind die Mitarbeiter produktiver und bringen viel wertvolle Energie mit in ein Unternehmen. Sie können mich ja nochmal in einem Jahr befragen, dann kann ich Ihnen sicher mehr erzählen. Ihr „Haushaltstag“ nimmt ja Bezug auf eine 1939 in Deutschland ein- und 1952 in der DDR weitergeführte Regelung. Nach der Wiedervereinigung wurde sie zum 1. Juli 1994 durch das Arbeitszeitgesetz dann abgeschafft. Ist der Arbeitsmarkt reif für eine Wiedereinführung? Einige Aspekte, die der „Westen“ stark kritisierte, sind heute zur Normalität geworden, etwa der Anspruch aller Arbeitenden auf einen Kita-Platz. Warum kann man nicht auch noch einmal darüber nachdenken, Vollzeitbeschäftigten einen monatlichen Haushaltstag zu gewähren? Es käme Familien auf jeden Fall sehr zugute. Ich finde diese Idee interessanter, effektiver und eher umsetzbar als eine 4-Tage-Arbeitswoche. Das Gespräch führte Marius Gießmann. zm114 Nr. 10, 16.05.2024, (843) EIN HALBES JAHRHUNDERT GAB ES IHN – DEN „HAUSHALTS-“ ODER „WASCHTAG“ Er war ein voll bezahlter, arbeitsfreier Tag, an dem ein Arbeitnehmer sich um Arbeiten im Haushalt und andere Familienangelegenheiten kümmern konnte, ohne dafür Urlaub nehmen zu müssen: Der „Haushaltstag“, häufig auch „Waschtag“ genannt. Von den Nationalsozialisten 1939 als Maßnahme zugunsten der für die Rüstungswirtschaft kriegsverpflichteten Frauen eingeführt, wurde er 1943 gesetzlich festgeschrieben. Nach dem Krieg wurde der Tag Ende der 1940er Jahre in der Bundesrepublik und 1952 in der DDR wieder eingeführt. Zunächst galt er nur für verheiratete Frauen, die mehr als 40 Wochenstunden arbeiteten, nach und nach änderten sich jedoch auf beiden Seiten der Grenze die Modalitäten, unter denen der Tag gewährt wurde. Während in Westdeutschland das Bundesverfassungsgericht den Tag 1979 wegen der Ungleichbehandlung beider Geschlechter für verfassungswidrig erklärte, konnten er in der DDR bis zum Dezember 1991 in Anspruch genommen werden. Mit Wirkung zum 1. Juli 1994 wurde der Haushaltstag dann in allen Bundesländern durch das Inkrafttreten des Arbeitszeitgesetzes abgeschafft.
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