Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 10

70 | POLITIK TINO SORGE IM GESPRÄCH „Jetzt kommt die Quittung“ Im Entwurf zu ihrem neuen Grundsatzprogramm skizziert die CDU ihre Pläne für Umstrukturierungen im Gesundheitswesen. Wo sie den Fokus setzt, ob die zunehmende Zahl der iMVZ ein bedenklicher Trend ist und wie sie das Instrument der Budgetierung bewertet, haben wir den gesundheitspolitischen Sprecher der Union-Bundestagsfraktion, Tino Sorge (CDU), gefragt. Herr Sorge, im Entwurf des CDU-Grundsatzprogramms kündigt Ihre Partei an, die Gesundheitsversorgung in Deutschland durch „strukturelle Anpassungen“ sichern zu wollen. Welche Anpassungen sind angedacht? Tino Sorge: Die Demografie, vor allem die glücklicherweise steigende Lebenserwartung, hat erhebliche Auswirkungen auf die Strukturen unseres Gesundheitssystems. Immer weniger Beitragszahler müssen in den kommenden Jahren den steigenden Bedarf von immer mehr Leistungsempfängern finanzieren. Wir wollen den ambulanten Sektor mit digitalen Versorgungsangeboten entlasten. Wir wollen Deutschland und die EU wieder zu einem Arzneimittelund Medizintechnikstandort machen. Wir wollen dem Mangel an Ärzten und anderen Gesundheitsberufen begegnen. Und bei allen Potenzialen müssen wir die Finanzstabilität wahren. Das ist nicht weniger als eine Generationenaufgabe. Im Programm heißt es auch: „Es muss sich für jeden Einzelnen lohnen, sparsam mit den Ressourcen unseres Gesundheitswesens umzugehen.“ Was läuft aus Sicht der CDU bei der Inanspruchnahme von Ressourcen schief? Immer mehr Menschen gehen aus Bequemlichkeit und wider besseres Wissen mit Bagatellen in die Notaufnahme, obwohl es sich ganz offensichtlich nicht um Notfälle handelt. Andere gehen bei Beschwerden direkt zum Facharzt, obwohl es viel sinnvoller – und oft auch schneller – wäre, zunächst den Rat des Hausarztes einzuholen. Über die Ursachen lässt sich streiten, simple Antworten gibt es nicht. Beides sind aber Phänomene einer fehlenden Steuerung, die zweifelsfrei zunehmen und das System belasten. Klar ist, dass die große Mehrheit der Versicherten davon nicht betroffen ist. Für andere werden wir aber über mehr Eigenverantwortung sprechen müssen. Was erwarten Sie für diese Debatte? Das wird gern reflexartig als unsozial verschrien. Dabei ist das Gegenteil der Fall, denn jedes solidarische System steht und fällt mit der Verantwortung des Einzelnen. Nicht in allen Fällen ist es sooffensichtlich wie in der Zahnmedizin, dass der Gang zum Spezialisten geboten ist. In solchen Fällen brauchen wir mehr Kostenbewusstsein und Aufklärung, notfalls auch eine Eigenbeteiligung. Andere Länder machen gute Erfahrungen mit Versicherungstarifen, bei denen in nicht akuten Fällen zuerst ein Hausarzt konsultiert werden muss. Für die Versicherten ist der Tarif in solchen Fällen günstiger. Auch für die GKV sollten wir solche neuen Modelle diskutieren. Der finanzielle und demografische Druck, unter dem die GKV steht, wird uns zu unbequemen Debatten zwingen. In der zahnmedizinischen Versorgung gibt es Zuzahlungen schon. Was könnten mehr Eigenverantwortung und sparsame Nutzung von Ressourcen hier bedeuten? Müsste ein Patient, der Jahr für Jahr zur Prophylaxe gegangen ist, genau so viel zuzahlen wie jemand, der nie vorgesorgt hat, wäre das zutiefst ungerecht. In der zahnmedizinischen Versorgung ist das bekanntlich nicht so. Interessant ist die Frage, ob wir nicht auch in anderen Bereichen über Varianten der differenzierten Eigenbeteiligung nachdenken sollten. Es geht nicht darum, Versicherte zu bestrafen oder gegeneinander auszuspielen. Wer sich aber vorbildlich verhält und Präventionsund Früherkennungsangebote gewissenhaft wahrnimmt, leistet neben der eigenen Vorsorge einen Beitrag zur Stabilität des solidarischen Versicherungssystems. Er oder sie könnte dafür durchaus öfter einen Bonus erhalten. Der zahnmedizinische Bereich bliebe demnach also erst einmal außen vor bei mehr Eigenleistungen? Der zahnmedizinische Bereich hat hier in der Tat bereits jetzt eine Vorbildfunktion. Sinnvoll wäre es zu prüfen, welche Mechanismen auch auf andere Versorgungsbereiche übertragen werden könnten. Diese Debatte werden wir aber über kurz oder lang führen müssen, wenn wir die Leistungsfähigkeit des Systems erhalten wollen. Analysen zeigen, dass die Zahl der Investorengetragenen MVZ (iMVZ) weiterhin zunehmen, vor allem in urbanen und einkommensstarken Regionen. Wie ordnet die CDU die wachsende Zahl der iMVZ ein? Die Debatte um medizinische Versorgungszentren wird nicht immer so differenziert geführt, wie es nötig wäre. Es gibt erhebliche Unterschiede, sowohl ortsbezogen als auch zwischen den verschiedenen Versorgungsbereichen. Vielerorts ist ein MVZ allemal besser, als wenn es überhaupt keine Versorgung mehr gäbe, und zahlreiche junge Ärztinnen und Ärzte entscheiden sich Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion: Tino Sorge. Foto: Steven Vangermain zm114 Nr. 10, 16.05.2024, (856)

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