Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 11

TITEL | 35 zm114 Nr. 11, 01.06.2024, (921) den Folgen des Klimawandels, die Erforschung von Krankheiten wie Krebs oder Demenz oder das Vorgehen gegen Antibiotikaresistenzen – erfordern für die Parteien offenbar eine gemeinsame europäische Antwort. Davon ist auch Dr. Alfred Büttner, Leiter der Abteilung Europa und Internationales der Bundeszahnärztekammer (BZÄK), überzeugt. Gleichzeitig hält er fest, dass die Bedeutung der EU für den zahnärztlichen Berufsstand in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen hat und sich gesetzgeberische Entscheidungen auf EU-Ebene immer häufiger bis in den zahnärztlichen Arbeitsalltag in Deutschland auswirken. Ein Beispiel: die 2017 in Kraft getretene Medical Device Regulation, kurz MDR. Diese EUVerordnung sieht strengere Vorgaben für das Inverkehrbringen von Medizinprodukten vor. Ein Auslöser für die Überarbeitung der Vorgaben war der Skandal um fehlerhafte Silikonbrustimplantate im Jahr 2009. Mit den strengeren Regularien wollte die EU-Kommission Medizinprodukte sicherer machen und das Vertrauen in der Öffentlichkeit wiederherstellen. Allerdings: Die mit der MDR verbundene Rezertifizierung von Bestandsprodukten hat enorme Probleme nach sich gezogen. Büttner: „Gerade im dentalen Bereich gibt es viele Nischenprodukte, die von kleinen und mittleren Unternehmen hergestellt werden. Für diese Betriebe ist der große bürokratische Aufwand, den die MDR nach sich zieht, kaum zu bewältigen.“ Hier müssten die Belastungen für die Hersteller dringend minimiert und die Produktvielfalt erhalten werden – eine Forderung, die die BZÄK in ihren gesundheitspolitischen Positionen zur Europawahl ausdrücklich gestellt hat. Seit Jahren bewährte Dentalprodukte, heißt es dort, dürften nicht durch teure und langwierige Re-Zertifizierungsverfahren vom Markt gedrängt werden. Gelingt es, das sicherzustellen, sieht Büttner langfristig durchaus Vorteile: „Die Idee hinter der MDR ist unter anderem, dass Medizinprodukte europaweit vertrieben werden können. Dadurch würden die Preise sinken.“ Eine weitere auf EU-Ebene getroffene Entscheidung, die die zahnärztliche Versorgung in Deutschland direkt beeinflusst, ist die kürzlich beschlossene Revision der EU-Quecksilberverordnung. Als Folge dieser Entscheidung wird der Einsatz von Dentalamalgam in der EU ab dem 1. Januar 2025 aus Umweltschutzgründen verboten. „Die BZÄK hat seit Jahren vor dem unvorbereiteten Ausstieg gewarnt und in Brüssel und Straßburg dazu zahlreiche Gespräche geführt. Leider war dann doch die knappe Mehrheit der EU-Parlamentarier anderer Meinung“, bedauert BZÄK-Vizepräsident Konstantin von Laffert. Das Werben für einen späteren Ausstieg in den Jahren 2027 oder 2030 sei leider ohne Erfolg geblieben. Zurzeit beschäftige die BZÄK zudem sehr stark die kürzlich beschlossene Schaffung des Europäischen Gesundheitsdatenraums (EHDS). Er soll es Patientinnen und Patienten ermöglichen, aus allen Mitgliedstaaten auf ihre Gesundheitsdaten zuzugreifen. Der EHDS werde sich unmittelbar auf die zahnärztliche Arbeit auswirken, ist sich von Laffert sicher. „Hier konnten wir uns als BZÄK, zusammen mit dem europäischen Dachverband der Zahnärzteschaft, dem Council of European Dentists, mit den Belangen der Zahnärzteschaft erfolgreich einbringen. Es gilt, eine weitere Bürokratiewelle sicher auszuschließen. Es dürfen weder Kosten noch bürokratischer Aufwand für die Praxen entstehen. Auch die gewerbliche Nutzung von Gesundheitsdaten, beispielsweise durch Pharmaunternehmen, sehen wir kritisch und sind zu diesen Themen auf EU-Ebene in Gesprächen.“ Wie viel EU ist okay? Sowohl Amalgam als auch MDR und EHDS berühren eine grundsätzliche Frage: Wie viel Einfluss auf die Gesundheitspolitik der Mitgliedstaaten soll die EU nehmen können? Im Vertrag von Lissabon, der seit dem 1. Dezember 2009 in Kraft ist, wurde in Artikel 168 die Kompetenz der EU im Bereich Gesundheitsversorgung so eingeschränkt: „Bei der Tätigkeit der Union wird die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Festlegung ihrer Gesundheitspolitik sowie für die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung gewahrt. Die Verantwortung der Mitgliedstaaten umfasst die Verwaltung des Gesundheitswesens und der medizinischen Versorgung sowie die Zuweisung der dafür bereitgestellten Mittel.“ Gesetzgeberische Kompetenz erhielt die EU im Wesentlichen bei Maßnahmen zur Festlegung von Qualitätsstandards für Organe, Blut, Medizinprodukte und Arzneimittel. Dieser Aufteilung entsprechend habe das Thema Gesundheit viele Jahre ein Nischendasein geführt, stellt Europaexperte Büttner klar. Das sei seit der Pandemie anders, auch weil Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in dieser Zeit den Begriff der „Gesundheitsunion“ geprägt habe. Seitdem nehme er in seiner Arbeit LESETIPPS DER EUROPAABTEILUNG DER BZÄK „ Der (europäische) Föderalist: Blog über tagesaktuelle Ereignisse und Debatten mit einer Analyse der europäischen und der globalen Verfassungspolitik. https://www.foederalist.eu „ Bundeszentrale für politische Bildung (bpb): Bundesbehörde, die sich der außerschulischen politischen Jugend- und Erwachsenenbildung widmet. Aktuell mit einem Dossier zu den Europawahlen. https://www.bpb.de „ Europa heute: Europamagazin des Deutschlandfunks https://www.deutschlandfunk. de/europa-heute-100.html „ Erste Lesung: Agentur für Politikberatung mit Fokus auf Verbindungen zwischen nationaler und EU-Politik. https://erstelesung.de „ Centre for European Policy Network (CEP): Think Tank für europäische Politik, der von der gemeinnützigen Stiftung Ordnungspolitik finanziert wird. https://www.cep.eu Foto: cegli – stock.adobe.com (KI-generiert)

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