Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 11

38 | TITEL in Brüssel sehr deutlich wahr, dass es Begehrlichkeiten gebe, mehr gesundheitspolitische Kompetenzen von der nationalen auf die EU-Ebene zu übertragen. Warum die BZÄK diese Entwicklung kritisch sieht, verdeutlicht Roxana Dürsch, Referentin in der BZÄK-Abteilung Europa und Internationales: „Der Begriff ‚Gesundheitsunion‘ weckt aus Sicht der deutschen Zahnärzteschaft falsche Erwartungen beim Spielraum für die Harmonisierung der sehr unterschiedlichen Gesundheitssysteme in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten. Die nationale Zuständigkeit für die Gesundheitsversorgung sollte daher auf jeden Fall gewahrt bleiben.“ Büttner geht davon aus, dass der Reformbedarf innerhalb der europäischen Institutionen über kurz oder lang dazu führen wird, dass die EU-Verträge neu verhandelt werden. „Der Druck auf die Verträge ist schon da, nicht aufgrund des Themas Gesundheit, sondern mit Blick auf das Einstimmigkeitsprinzip der EU, das sich in der Vergangenheit als nicht praktikabel erwiesen hat.“ Aber: „Wenn die Verträge aufgemacht werden, wird es mit Sicherheit auch um Kompetenzen im Bereich Gesundheit gehen.“ Aus den Europawahlprogrammen der deutschen Parteien werde ersichtlich, dass sich die Parteien des eher linken Spektrums mehr Kompetenzen der EU bei der Gesundheitspolitik, zum Beispiel in Form der Verabschiedung gemeinsamer Mindeststandards bei der Versorgung, vorstellen könnten. Die Parteien des eher rechten Spektrums lehnten dies eher ab. Dürsch hebt hervor, dass von der Forderung, ein gemeinsames europäisches Gesundheitssystem zu schaffen, alle großen deutschen Parteien weit entfernt seien. Eine wichtige Richtungswahl Laut ARD-Deutschlandtrend vom Mai 2024 liegt das Wahlinteresse in Deutschland derzeit bei 49 Prozent. Von der Zusammensetzung des EUParlaments, über die die EU-Bürgerinnen und -Bürger vom 6. bis zum 9. Juni mit ihrer Stimme entscheiden, wird abhängen, welchen wirtschaftsund gesellschaftspolitischen Kurs die EU künftig einschlägt. Angesichts der erheblichen externen und internen Herausforderungen – angefangen bei den Auswirkungen des Klimawandels über institutionelle Reformen der EU bis hin zur Ausgestaltung der Digitalisierung im Staatenbündnis – kann man klar von einer Richtungswahl sprechen, findet Büttner: „Das Wahlergebnis wird Auswirkungen auf die Politik der Europäischen Kommission haben, die für die Durchsetzung ihrer Gesetzgebungsvorschläge auf Mehrheiten im Europäischen Parlament angewiesen ist.“ Wie sich die schon jetzt schwierige Konsensfindung zwischen den Fraktionen entwickelt, hängt auch davon ab, ob sich pro- oder anti-europäische Strömungen im Parlament durchsetzen. Im Interesse aller Bürgerinnen und Bürger, auch aus Sicht der Zahnärzteschaft, sei dabei eine handlungsfähige EU, findet Dürsch: „Wir dürfen nicht vergessen, wie sehr wir alle von der EU profizm114 Nr. 11, 01.06.2024, (924) Das Thema Gesundheit hat bis zur Pandemie in der EU ein Nischendasein geführt. Das ist jetzt anders. Dr. Alfred Büttner, Leiter Referat Europa und Internationales bei der BZÄK EINE EU, VIELE SYSTEME Laut Maastrichter Vertrag ist die Organisation des Gesundheitswesens in der EU Sache der Mitgliedstaaten. Für die Politikfelder, die – wie die Gesundheit – ausdrücklich von der europäischen Harmonisierung ausgenommen sind, wurde im Jahr 2000 im Rahmen der Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung die sogenannte Offene Methode der Koordinierung eingeführt. Sie soll eine Annäherung der nationalen Gesundheitssysteme in der EU befördern. Dessen ungeachtet sind die Unterschiede immer noch enorm. Idealtypisch lassen sich drei ordnungspolitische Grundmodelle unterscheiden: das privatwirtschaftlich organisierte Gesundheitswesen, der staatliche Gesundheitsdienst (das sogenannte Beveridge-System) und die Sozialversicherung (das sogenannte Bismarck-System). Der Blick auf die europäische Landkarte verdeutlicht, dass in Nord, Süd, West und Ost jeweils andere Ordnungsmodelle bevorzugt werden (siehe Tabelle). Ein Wechsel braucht viel Zeit, ist aber nicht unmöglich. In den Niederlanden ist nach und nach aus einem Sozialversicherungssystem ein Versicherungssystem mit Kopfpauschalen und einer starken Verbreitung privater Zusatzversicherungen geworden. Dr. David Klingenberger, Institut der Deutschen Zahnärzte ORDNUNGSPOLITISCHE EINORDNUNG Länder mit nationalem Gesundheitsdienst Griechenland, Irland, Malta, Portugal, Zypern Länder mit regionalem Gesundheitsdienst Italien, Spanien Länder mit kommunalem Gesundheitsdienst Dänemark, Finnland, Schweden Länder mit Sozialversicherungssystemen Belgien, Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Österreich Versicherungssysteme mit Kopfpauschalen Niederlande Gesundheitssysteme in Mittel- und Osteuropa (ehemalige sozialistische Semashko-Systeme) Bulgarien, Estland, Kroatien, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn Tabelle: Ordnungspolitische Einordnung der Gesundheitssysteme der 27 EU-Mitglieder

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