Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 11

58 | ZAHNMEDIZIN zm114 Nr. 11, 01.06.2024, (944) Rahmen eines prothetischen Gesamtkonzepts unter bestimmten Voraussetzungen eine weitere therapeutische Alternative dar. Üblicherweise wird bei tiefgreifenden Veränderungen der Kieferrelation, beispielsweise im Rahmen einer Bisshebung, ausführlich über die Dauer, einzelne Phasen und Risiken der Behandlung aufgeklärt. Dabei gilt es zudem stets zu eruieren, was der Grund für die veränderte Kieferrelation ist. Dabei können Nichtanlagen, Zahn- und Kieferfehlstellungen (Dysgnathien), Karies, Traumata sowie nichtkariöse Zahnhartsubstanzdefekte wie Abrasion, Attrition oder Erosion infrage kommen. Auch die Dauer des Vorhandenseins der veränderten Kieferrelation spielt eine entscheidende Rolle in der Therapie. So besteht die Situation bei einem Trauma – wie in diesem Fall – eher kurzfristig und bei Bruxismus-Patienten über viele Jahre. In letzterem Fall ist anzunehmen, dass wegen des langen Bestehens und der starken muskulären Aktivität eine muskuläre Adaptation an die zu niedrige Kieferrelation stattgefunden hat. Die Ursachen von Bruxismus wurden lange Zeit auf Störungen in der statischen (Vorkontakte) oder in der dynamischen Okklusion (Gleithindernisse) zurückgeführt. Angenommen wurde, dass Patienten durch das Knirschen versuchen, diese störenden Kontakte zu beseitigen. Die Erkenntnis, dass korrigierendes Einschleifen den Bruxismus nicht stoppen konnte, und die Feststellung, dass Störungen der Okklusion auch als eine Folge des Bruxismus auftreten können, haben zu einem Umdenken geführt [Peroz et al., 2019]. Interessant ist deshalb, dass es in der Literatur nach wie vor keine Belege dafür gibt, dass Okklusion und Bruxismus in einem engen ätiologischen Zusammenhang stehen [Lobbezoo und Naeije, 2001; Lobbezoo et al., 2012]. Auch wird kontrovers diskutiert, ob Bruxismus als auslösender Faktor einer Craniomandibulären Dysfunktion (CMD) gilt [Jiménez-Silva et al., 2017; Peroz et al., 2019]. Vor Veränderung der Kieferrelation bei Bruxismuspatienten mit definitiven prothetischen Therapiemaßnahmen sollte eine Vorbehandlung basierend auf funktionsanalytischen Maßnahmen mit Okklusionsschienen in der geänderten Kieferrelation für mehrere Wochen und Langzeitprovisorien für mehrere Monate zum Austesten der neuen Kieferrelation durchgeführt werden [Peroz et al., 2019]. Bei kieferorthopädischen oder kieferchirurgischen Veränderungen der Kieferrelation sollten funktionsanalytische Maßnahmen in Betracht gezogen werden [Bernhardt et al., 2014]. In diesem Patientenfall wurde weder die vertikale Kieferrelation verändert, noch war der Grund für die veränderte Kieferrelation eine hohe Bruxismusaktivität. Daher bestand auch keine muskuläre Anpassung an die erst seit Kurzem bestehende veränderte Kieferrelation wegen des Traumas, so dass auf eine Adaptationsphase mittels Aufbissschiene und Langzeitprovisorien verzichtet werden konnte. „ Abb. 10: eingegliederte definitive Versorgung Abb. 11: Darstellung der neu hergestellten Okklusion im Seitenzahnbereich a b Abb. 9: Rohbrandanprobe FAZIT FÜR DIE PRAXIS „ Der derzeitige therapeutische Goldstandard bei dislozierten oder luxierten Frakturen der Gelenkfortsatzbasis und des basisnahen Gelenkhalses besteht in der anatomischen Reposition und Osteosynthese. „ Eine Malokklusion nach chirurgischer Versorgung einer Collumfraktur stellt eine eher seltene Komplikation dar. „ Die Behandlung der posttraumatischen Malokklusion kann chirurgisch oder in speziellen Fällen auch prothetisch erfolgen. „ Zum Definieren eines Therapieziels und zum Festlegen des Behandlungskonzepts kann ein konventionelles diagnostisches Wax-up bei Veränderung der Kieferrelation notwendig sein. „ Zuvor kann eine Pfeilregistrierung zur Ermittlung der zentrischen Kondylenposition indiziert sein. „ Sofern die veränderte Kieferrelation erst kurzfristig besteht (Trauma) und die vertikale Kieferrelation nicht verändert werden soll, kann auf eine Vorbehandlung mit Okklusionsschienen und Langzeitprovisorien zum Austesten der neuen Kieferrelation verzichtet werden. Fotos: Universitätsmedizin Mainz

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