Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 11

64 | GESELLSCHAFT WIDERSTANDSKÄMPFER UND „STAATSFEINDE“ IM „DRITTEN REICH“ Karl Eisenreich (1893–1958) und Otto Berger (1900–1985) – NS-Gegner mit Makeln? Dominik Groß Die beiden Zahnärzte Karl Eisenreich und Otto Berger wurden bereits zu Lebzeiten und dann auch posthum mehrfach öffentlich geehrt. Sie gelten als unerschrockene Gegner des Nationalsozialismus. Doch wie belastbar sind diese Einordnungen und wie sind sie zustande gekommen? Es gibt nicht viele Zahnärzte, die im öffentlichen Raum als Gegner des Nationalsozialismus gewürdigt worden sind. Karl Eisenreich (Abbildung 1) gehört zu den wenigen Ausnahmen: Der Landshuter Zahnarzt und Kommunalpolitiker wurde 1988 posthum Namensgeber des „Karl-Eisenreich-Platzes“ seiner Heimatstadt [Stadtler, 1998; 100-BäumeProgramm, 2022]. 2022 – rund 64 Jahre nach seinem Tod – wurde ihm eine neuerliche Ehrung zuteil, die explizit auf seine Rolle im „Dritten Reich“ abhob. Dabei handelte es sich um einen am Karl-Eisenreich-Platz gepflanzten „Spenderbaum“. Dazu hieß es in einer Mitteilung der Stadt: „Bei idealen leicht regnerischen Pflanzbedingungen fanden sich am Karl-EisenreichPlatz der neue technische Leiter des Stadtgartenamtes Matthias Näther und Vertreter der ‚Landshuter Bauminitiative‘ ein […]. Der Träger der goldenen Bürgermedaille Karl Eisenreich (1893–1958) war ein bekannter Landshuter Zahnarzt, Konzertsänger und neben seiner Stadtratstätigkeit auch Kulturbeauftragter in den 50er-Jahren. Als NS-Mitglied trat er bereits 1934 wieder aus der Partei aus, versteckte und schützte zahlreiche Juden. Gemeinsam mit Mesner Ott war er beim Hissen der weissen Fahne am Martinsturm zum Kriegsende beteiligt. Dem 1958 früh verstorbenen ‚singenden Zahnarzt‘ ist der neue Spitzahorn gewidmet“ [100-Bäume-Programm, 2022]. Während Eisenreich in dieser öffentlichen Notiz in die Nähe eines politischen Oppositionellen gerückt wird, führten konkrete Rückfragen im Stadtarchiv Landshut zu einem deutlich differenzierteren Bild. Dort liegt zu Eisenreich eine Spruchkammerakte aus den Jahren 1946/47 vor, deren Original sich im Staatsarchiv Landshut befindet. Der zuständige Archivar Mario Tamme bewertet die Sachlage wie folgt: „Im [zweiten] Urteil der Spruchkammer steht: ‚Der Betroffene hat auch nachweislich jüdischen Familien und politisch Verfolgten Hilfe und Unterstützung angedeihen lassen‘. In welcher Form das geschah, wissen wir aber nicht. Ich beschäftige mich immer wieder mit den Landshuter Juden während der NS-Zeit […]. Dass Karl Eisenreich irgendwie Juden unterstützt oder sogar versteckt hätte, ist für mich nicht belegbar“ [Tamme, 2023]. Karl Eisenreich – ein komplexer Fall Warum existieren im Fall Karl Eisenreich überhaupt Spruchkammer- oder Entnazifizierungsakten? Schließlich waren es doch mutmaßliche Täter, die sich einer Entnazifizierung unterziehen mussten. Tatsächlich ist der Fall Eisenreich recht komplex, wie der Blick auf dessen Vita zeigt: Er wurde am 1. November 1893 als Sohn des „Hofdentisten“ Theobald Eisenreich sen. in Landshut geboren, studierte nach dem Abitur das Fach Zahnheilkunde, erlangte 1920 die Approbation und ließ sich nachfolgend in eigener Praxis in der Landshuter Altstadt in Rathausnähe nieder [AZD; DZAa; DZB; Groß, 2024; StA La Spruchkammerakte]. Lange vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten trat er – am 8. August 1925 – in die NSDAP ein (Nr. 14491) und hielt die Mitgliedschaft bis 1928 aufrecht. Fünf Jahre nach dem Austritt schloss er sich der Partei erneut an (Aufnahme 1. Mai 1933) und erhielt eine neue Parteinummer (Nr. 2542849) (Abbildung zm114 Nr. 11, 01.06.2024, (950) Univ.-Prof. Dr. med. dent. Dr. med. Dr. phil. Dominik Groß Direktor des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin Vorsitzender des Klinischen Ethik-Komitees des UK Aachen Universitätsklinikum der RWTH Aachen University MTI 2 Wendlingweg 2, 52074 Aachen Foto: UK Aachen Abbildung 1: Karl Eisenreich Foto: [Stadler, 1998]

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