Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 11

66 | GESELLSCHAFT Beklagten darum, die eigene politische „Unschuld“ glaubhaft zu machen. Die Leumundszeugnisse sollten hierbei zur politischen „Reinwaschung“ beitragen, weshalb sie auch als „Persilscheine“ bezeichnet wurden [Klee, 1992]. War Eisenreich wirklich ein NS-Oppositioneller? Eisenreich selbst gab im Verfahren an, dass er „trotz Behandlungsverbot die jü dischen Familien Ansbacher, Hirsch, Schönmann in Landshut und Becker in Ergoldsbach zum Teil bis Februar 1942 behandelt habe“ [StA La Spruchkammerakte, Fol. 13]. Womöglich wurde diese Selbstaussage bei der Abfassung der vorgenannten öffentlichen Mitteilung von 2022 als historisches Faktum gewertet und bei der Texterstellung weiter „ausgeschmü ckt“ („… versteckte und schü tzte zahlreiche Juden“), um der „Bauminitiative“ mehr Begrü ndungstiefe zu verschaffen. Dabei könnte auch die Beliebtheit Eisenreichs in seiner Geburtsstadt eine Rolle gespielt haben: Er war in der Nachkriegszeit ein geschätzter Kommunalpolitiker undü berdies ein stadtbekannter Konzertsänger. Der Landshuter Chronistin Erika Stadler zufolge galt Eisenreich vielen Landshutern als „Helfer, einfü hlsamer Mitmensch, Kamerad und Freund“ [Stadler, 1998]. Er wurde noch zu Lebzeiten mit der Goldenen Bü rgermedaille der Stadt ausgezeichnet. Eisenreich verstarb bereits am 2. August 1958 plötzlich und unerwartet an den Folgen einer Operation und wurde auf dem Waldfriedhof der Stadt Landshut bestattet (Grab Sektion 26/F 02/37) [Stadler, 1998]. Legt man die zeitgenössischen Archivquellen zugrunde, fällt es schwer, Eisenreich als NS-Oppositionellen einzuordnen oder ihn gar in eine Reihe mit hier behandelten Widerstandskämpfern wie Ulrich Boelsen [Groß/ Wellens, 2023], Helmut Himpel [Wellens/Groß, 2024] oder Paul Rentsch [Wellens/Groß, 2023] zu stellen – auch wenn das öffentliche Bild eine solche Nähe suggeriert. Immerhin fällt auf, dass Eisenreich in der eigenen Familie eine politische Sonderstellung einnahm: Die Eisenreichs galten im „Dritten Reich“ als ausgesprochene Nazi-Sympathisanten [Groß, 2014]. Gleich zwei seiner Brü der, Theobald jun. und Hubert Eisenreich, waren sogar Träger des „Blutordens“ – des Ehrenzeichens fü r besonders frü he und verdiente „Parteigenossen“. Hubert Eisenreich war zudem SS-Obersturmbannfü hrer und wohl erster Zahnarzt im KZ Dachau. Auch ein dritter Bruder, Ludwig Eisenreich, zählte zu den frü - hen NSDAP-Mitgliedern (Eintrittsjahr 1925). Es ist leicht vorstellbar, dass der 1934 vollzogene Parteiausschluss Karl Eisenreich in eine familiäre Außenseiterposition rü ckte, die durchaus eine gewisse Standfestigkeit erforderte. Otto Berger – ein „Gerechter unter den Völkern“ Otto Berger (Abbildung 3) gehört ebenfalls zu den wenigen Zahnärzten, die öffentlich dafü r geehrt wurden, das NS-System unterlaufen zu haben. Er bietet eine nicht minder interessante Biografie [Dolata, 1988; Lutze, 2006; Kornfeld, 2008; Bruckfamilyblog.com/ Post 41, 2023]: Otto Emil Wilhelm Berger wurde am 15. April 1900 in Oppeln (Schlesien, heute Polen) als Sohn des Malermeisters Robert Emil Wilhelm Berger und dessen Ehefrau Elisabeth Margaretha Berger, geb. Haas, geboren. Er durchlief nach dem Ersten Weltkrieg eine Ausbildung zum Dentisten und ließ sich anschließend in eigener Praxis in Berlin-Lichterfelde nieder [ADDD, 1931 und 1933/34]. Zu Beginn der 1930erJahre engagierte er sich in der Standespolitik, so als Mitglied des „Ausschusses fü r Dentistenfragen“ des „Reichsverbands Deutscher Dentisten“. Nach 1939 musste er aufgrund von kriegsbedingten Zerstörungen mehrfach innerhalb von Berlin den Praxis- und Wohnstandort wechseln (Zehlendorf, Lichterfelde, Steglitz). 1953 wurde er im Zuge der Aufhebung des Dentistenberufs in den „zahnärztlichen Einheitsstand“ aufgenommen. Fortan war er als Zahnarzt am Kurfü rstendamm tätig [DZAb, 1953 und 1957]. 1974 trat er in den Ruhestand ein und verzog nach Ober-Ramstadt bei Darmstadt. Berger verstarb am 22. Mai 1985 in Darmstadt [Meldeamt/ Magistrat OberRamstadt, 2023]. Berger setzte sich in den letzten Jahren des „Dritten Reiches“ fü r jü dische Mitbü rger ein – dies ist, anders als fü r Eisenreich, historisch verbü rgt. Gut dokumentiert ist sein Engagement fü r den verfolgten jü dischen Kollegen Fedor Bruck (1895–1982), der wie Berger in Berlin lebte. Dazu notierte Kay Lutze, Historiker und Enkel von Bruck: „Bei seiner Odyssee im Untergrund von Berlin war ihm vor allem der Dentist Otto Berger behilflich, der fü r ihn auch falsche Papiere unter dem Namen Dr. Friedrich Burkhardt beschaffte […]. Im März 1944 ü berlebte Fedor Bruck mit Otto Berger den Einsturz des Hauses in Berlin-Lichterfelde nur knapp. Von 44 Personen kamen nur neun mit dem Leben davon. Fü r eine kurze Zeit fand Bruck wieder Zuflucht bei seiner Cousine, bis sein Freund Berger ein Haus mit Garten in Berlin-Zehlendorf mietete. Hier lebte er den Sommer 1944. Er besaß nur noch ein paar Kleidungsstü cke und eine Aktenmappe mit den wichtigsten Papieren. Im Dezember 1944 zog Bruck dann in eine Wohnung in Berlin-Steglitz, die Berger zugewiesen worden war. Am 25. April ging auch der letzte Zufluchtsort durch Angriffe in Flammen auf“ [Lutze, 2006; Bruckfamilyblog.com/Post 17 2023]. Bergers Hilfsmaßnahmen fanden in der Nachkriegszeit zunächst kaum Beachtung. Erst in den 1960er- und 1970erJahren wurde sein Einsatz zugunsten jü discher Mitbü rger im „Dritten Reich“ gewü rdigt – so zunächst 1964 von Willy Brandt (1913–1992), damals Regierender Bü rgermeister von Berlin zm114 Nr. 11, 01.06.2024, (952) Abbildung 3: Otto Berger Foto: Privatarchiv Oliver Speyer

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