Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 11

zm114 Nr. 11, 01.06.2024, (954) 68 | GESELLSCHAFT ten und sich Parteien oder Widerstandsgruppen anschlossen, die der NS-Ideologie und der NSDAP diametral entgegenstanden und auf Hitlers Entmachtung abzielten, lässt sich dies für Berger nicht behaupten. Berger trat vielmehr bereits am 1. März 1930 in die NSDAP ein (Nr. 219024), wie Akten aus dem Bundesarchiv Berlin zeigen, und er blieb bis zum Ende des „Dritten Reiches“ in der Partei (Abbildung 4). Er gehörte damit zu den frühen Mitgliedern mit einer Parteinummer unter 300.000, die auch als „Alte Kämpfer“ bezeichnet wurden [BArch R 9361-VIII/1980003; BArch R 9361-IX/2521607]. Bergers NSDAP-Zugehörigkeit wurde bislang nie thematisiert – offenbar unterließ man eine entsprechende Prüfung in der im Bundesarchiv verfügbaren Mitgliederkartei. Die Mitgliedschaft bietet Anlass für Spekulationen: So ließe sich argumentieren, dass Berger die Parteimitgliedschaft gegebenenfalls als eine Art „Tarnung“ nutzte, um so besser – das heißt ohne Argwohn auf sich zu ziehen – für jüdische Mitbürger eintreten zu können. Allerdings berücksichtigt diese Argumentation nicht das Faktum, dass Berger der NSDAP bereits im Jahr 1930 beitrat – mithin zu einem Zeitpunkt, als die Nationalsozialisten noch gar nicht an der Macht waren, so dass strategische Gründe für einen Parteieintritt sehr unwahrscheinlich sind. In der historischen Forschung wird weithin davon ausgegangen, dass sich vor der Machtübernahme im Januar 1933 hauptsächlich überzeugte Nationalsozialisten der Partei anschlossen, während bei den Eintritten nach diesem Zeitpunkt opportunistische Motive eine größere Rolle spielten. Allemal zeigen die Fälle Eisenreich und Berger, dass die öffentliche Wahrnehmung einer Person nicht immer vollständig den historischen Fakten folgt. Eisenreich und Berger sind zum Beispiel aufgrund ihrer diversen Ehrungen zu vergleichsweise bekannten Zahnärzten mit moralischem Nimbus avanciert. Widerstandskämpfer wie Boelsen und Himpel haben demgegenüber nie eine öffentliche Ehrung erfahren. An Himpel wird bislang lediglich mit einem Stolperstein gedacht – dieser hat allerdings vornehmlich die Funktion, an das Schicksal von NS-Verfolgten zu erinnern und stellt nicht etwa eine Würdigung für den geleisteten politischen Widerstand dar. Warum trügt manchmal die öffentliche Wahrnehmung? Doch warum gibt es derartige Ungleichheiten und „Schieflagen“ in der öffentlichen Wahrnehmung und der historischen Bewertung von Personen? Die Antwort ist nicht zuletzt im sozialen Umfeld dieser Personen zu suchen: Nicht hinter jeder verdienten Persönlichkeit stehen Menschen, die über den sozialen Einfluss und die Entschlossenheit verfügen, um die Lebensleistung der betreffenden Person öffentlich zu machen und im kollektiven Bewusstsein zu verankern. Bei Eisenreich und Berger war genau dies der Fall: Eisenreich gehörte in Landshut zu den Honoratioren. Er war in der Stadt bestens vernetzt, als Zahnarzt beliebt, als Kommunalpolitiker verdient und als Konzertsänger bewundert – kurzum, eine Persönlichkeit, die in vielfacher Hinsicht herausragte. Für Verantwortliche der Stadt Landshut lag und liegt es nahe, eine solche Person mit offensichtlichen Alleinstellungsmerkmalen zu würdigen – auch wenn hier nicht alle eruierbaren Fakten gleichermaßen bedacht und gewichtet wurden. Bei Berger liegt der Fall ähnlich: Hier war es Werner Dolata (1927–2015), ein ehemaliger Mitarbeiter Bergers, späterer Zahnarzt und Bundestagsabgeordneter, der sich seit den 1960er-Jahren wiederholt für Ehrungen Bergers eingesetzt hatte [Privatarchiv K. Lutze]. Zudem lenkten Nachfahren von Fedor Bruck das Augenmerk auf Otto Berger: Der Historiker Kay Lutze ist, wie erwähnt, ein Enkel von Bruck. Er brachte ein berechtigtes Interesse und zudem die professionellen Voraussetzungen mit, um den Helfer seines Großvaters zu würdigen und in der (Fach-)Öffentlichkeit bekannt zu machen. Ebendies tat er zum Beispiel 2006 in einem instruktiven Artikel über Bruck und Berger in den „Zahnärztlichen Mitteilungen“ [Lutze, 2006]. Lutzes Initiativen führten ihrerseits 2008 zur Ehrung Bergers durch die Zahnärztekammer Berlin [Kornfeld, 2008]. Ähnliches unternahm Richard Brook auf internationaler Ebene: Brook ist ein – historisch und archivalisch interessierter und kundiger – Großneffe von Fedor Bruck, der im Internet umfangreiche und faktenreiche Blogs unterhält, die an verschiedenen Stellen würdigend auf Otto Berger verweisen [Bruckfamilyblog. com/Post 17 2023; Bruckfamilyblog. com/Post 41 2023]. Es ist ein Glück, dass die Biografien und Aktivitäten von Eisenreich und Berger dank der Initiative aufmerksamer Einzelpersonen lebendig gehalten werden. Gleichzeitig ist es die Aufgabe von Historikern, verbliebene Wissenslücken zu schließen, Relationen zurechtzurücken und diejenigen Personen ins Licht zu stellen, die zu Unrecht weniger oder keine Beachtung finden. Ebendies war das Ziel unserer Reihe, die hiermit zum Abschluss kommt. „ ZU UNSERER REIHE ZAHNÄRZTE ALS WIDERSTANDSKÄMPFER UND „STAATSFEINDE“ IM „DRITTEN REICH“ 1. zm 17/2023: Ulrich Boelsen 2. zm 19/2023: Hermann Ley 3. zm 21/2023: Paul Rentsch 4. zm 23–24/2023: Helmuth Ellbrechter 5. zm 1-2/2024: Emanuel Berghoff 6. zm 3/2024: Rudi Glass 7. zm 5/2024: Helmut Himpel 8. zm 7/2024: Walter Rank 9. zm 9/2024: Ewald Fabian 10. zm 11 / 2024: Streitfälle (Otto Berger & Karl Eisenreich) ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden.

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