Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 12

ZAHNMEDIZIN | 21 ziert [Berg et al., 2021]. Diese sehen ab dem Alter von zwölf Monaten – optional ab dem ersten Zahndurchbruch – die Verwendung von Kinderzahnpasta mit 1.000 ppm Fluorid vor. Die bis dahin in Deutschland verbreiteten Kinderzahnpasten mit nur 500 ppm Fluorid mussten als nicht ausreichend für eine hinlänglich erfolgreiche Kariesprävention bewertet werden. Erst ab einem Fluoridgehalt von 1.000 ppm besteht eine hohe wissenschaftliche Evidenz, dass die Zahnpasten kariespräventiv wirksam sind [Walsh et al., 2010]. Das Heraufsetzen der Fluoridkonzentration in Kinderzahnpasten mit dem Ziel der Kariesreduktion muss den Aspekt der Fluorosevermeidung beinhalten. Fluorosen werden mit zunehmender Fluoridaufnahme öfter und in höheren Schweregraden beobachtet [Denbesten et al., 2011]. Beide Ziele – die Kariesreduktion wie die Fluorosevermeidung – sind bei Fluoridierungsmaßnahmen für Kleinkinder sorgfältig auszubalancieren [AAPD, 2023]. In Deutschland wird über Fluoroseprävalenzraten zwischen 10 und 20 Prozent berichtet [BfR, 2018]. Von Interesse ist dabei, dass circa 90 bis 95 Prozent dieser Fluorosen als „fraglich“, „sehr mild“ oder „mild“ bewertet werden. Diese gering ausgeprägten Schmelzfluorosen haben keinen Einfluss auf die Zahngesundheit und die Lebensqualität der betroffenen Kinder und Jugendlichen [Onoriobe et al., 2014]. Empfehlungen berücksichtigen das Fluoroserisiko Die empfohlene Erhöhung des Fluoridgehalts in den Zahnpasten wurde sorgfältig daraufhin überprüft, dass mit ihr kein erhöhtes Risiko für das Vorkommen von Schmelzfluorosen einhergeht. Eine exakte Höhe der wiederholten Fluoridaufnahme, oberhalb der es zur Ausbildung von Fluorosen kommt und unterhalb der dies ausbleibt, kann nicht angegeben werden [Warren et al., 2009]. Statistisch steigt das Risiko aber ab einer Aufnahme von mehr als 0,05 mg Fluorid pro Kilogramm Körpergewicht an [EFSA, 2013; Warren et al., 2009]. Dieser international definierte Grenzwert wurde der mit den Empfehlungen verbundenen Risikoeinschätzung zugrunde gelegt. Um den Grenzwert deutlich zu unterschreiten, wird für Kleinkinder im Alter von unter 24 Monaten zum Zähneputzen die Verwendung von Kinderzahnpasten mit 1.000 ppm Fluorid in einer reiskorngroßen Menge empfohlen. Für Kinder ab 24 Monaten bis zu unter sechs Jahren soll die Menge der Zahnpasta der Größe einer Erbse entsprechen [Berg et al., 2021]. Für die Berechnungen, ob mit den Empfehlungen die Fluorosebefunde signifikant steigen werden, wurde ein Gewichtsäquivalent für eine reiskorngroße Menge Zahnpasta von 0,125 g und für eine erbsengroße Menge von 0,250 g gesetzt [Kramer et al., 2014]. Diese Annahmen sind deckungsgleich mit den Angaben der europäischen Leitlinie [Toumba et al., 2019]. Die Risikoeinschätzung hat das durchschnittliche Gewicht von Kindern in verschiedenen Altersgruppen, die Fluoridaufnahme aus Nahrung und fluoridiertem Kochsalz sowie die Art der Ernährung von Kleinkindern (gestillt oder mit Beikost) berücksichtigt. Für Kita-Kinder (Elementargruppen, Kinder ab drei Jahren) wurde für die Tage des Kita-Besuchs ein drittes tägliches Zähneputzen mit fluoridhaltiger Zahnpasta angenommen. Zudem wurde davon ausgegangen, dass die zum Putzen verwendete Zahnpasta zu 100 Prozent vom Kind verschluckt wird [Berg et al., 2021]. Dass Reste der Zahnpasta auf der Zahnbürste zwischen den Borsten verbleiben und damit nicht verschluckt werden, wurde ausgeklammert. In den Berechnungen (mit unterschiedlichen Annahmen der erwähnten Parameter) wird der auf das Körpergewicht abgestellte Grenzwert, ab dem das Fluoroserisiko steigt, unterschritten. Eine weitere Berechnung hat besonders leichte Kinder (konkret die leichtesten drei Prozent unter den Mädchen) berücksichtigt, Auch hier wurde in der Risikoabschätzung keine Überdosierung erreicht [Berg et al., 2021]. Schließlich wurde sogar angenommen, dass einige Betreuungspersonen der Kleinkinder die Entnahme der geringen empfohlenen Zahnpastamengen (insbesondere in Reiskorngröße) aus der Tube nicht realisieren können. Auch für diesen Fall, nämlich bis über eine Verdoppelung der Zahnpastamenge hinaus, wird der Grenzwert einer tolerierbaren oberen Fluorideinnahme nicht überschritten [Berg et al., 2021]. Dieser rechnerische Sicherheitsabstand wurde in erster Linie zur Wahrung der Alltagssicherheit in die Publikation der Empfehlungen aufgenommen. In keiner Weise soll der Eindruck entstehen, das Ziel, die geringen empfohlenen Mengen aus der Tube zu entnehmen, wäre damit hinfällig. Die Aufgabe für das zahnärztliche Team, die korrekte Entnahme zum Beispiel im Zuge der Leistungsposition FU-Pr zu kommunizieren und hierzu anzuleiten, bleibt unverändert bestehen. Eine einfache Möglichkeit, die geringe Entnahme einer reiskorngroßen Zahnpastamenge zu erleichtern, kann darin bestehen, das Borstenfeld der Zahnbürste quer mit Zahnpasta zu beschicken (Abbildung 1). Ungerechtfertigte Bedenken Eine aktuelle Publikation hat nun in fünf Kitas die von 61 Eltern aus Zahnpastatuben entnommene Menge Zahnpasta ermittelt und kommt bei zwei verschiedenen Zahnpasten zu Mengen von durchschnittlich 0,263 mg beziehungsweise 0,281 mg [Sudradjat et al., 2024]. Damit werden die in den Empfehlungen beschriebenen Mengen überschritten. Für die Bewertung dieser Überschreitung wurde als Referenz eine Menge gesetzt, die der Hauptuntersucher („ein erfahrener Zahnarzt“) bei fünf Versuchen durchschnittlich aus Zahnpastatuben entnommen hat. Diese sind mit 0,045 mg beziehungsweise 0,039 mg sehr gering. In der weitezm114 Nr. 12, 16.06.2024, (1003) Prof. Dr. Ulrich Schiffner Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf Poliklinik für Parodontologie, Präventive Zahnmedizin und Zahnerhaltung Martinistr. 52, 20246 Hamburg u.schiffner.ext@uke.de und Beirat der Deutschen Gesellschaft für Kinderzahnmedizin (DGKiZ) Foto: privat

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