TITEL | 35 zm114 Nr. 12, 16.06.2024, (1017) MSF behandelt an Noma erkrankte Menschen im akuten Zustand stationär und ambulant mit Antibiotika, leistet eine Wundversorgung sowie eine Flüssigkeits- und Nahrungsmitteltherapie. Ungleich aufwendiger als die Vermeidung oder die frühzeitige Behandlung sind die rekonstruktiven chirurgischen Operationen, die die Funktionalitäten des Gesichts wiederherstellen und eine angemessene Lebensqualität der Patienten gewährleisten sollen. Da die Wunden jedoch meist komplex sind und sich mit dem Wachstum der Kinder verändern können, müssen viele Betroffene zehn Jahre und mehr warten, bevor sie überhaupt operiert werden können. Die letzten Prävalenzdaten sind 25 Jahre alt Laut WHO können auch immungeschwächte Erwachsene aufgrund von HIV, Leukämie und anderen Krankheiten an Noma erkranken. Die Gangränöse Stomatitis tritt hauptsächlich in Afrika südlich der Sahara auf, obwohl auch Fälle in Lateinamerika, Asien und anderen Regionen gemeldet wurden. Die letzten verfügbaren globalen Inzidenz- (140.000), Prävalenz- (770.000) und Sterblichkeitszahlen (90 Prozent) stammen dem Jahr 1998. Das bedeutet laut WHO, „dass das wahre Ausmaß der Belastung und die Quantifizierung der NomaÜberlebenden weitgehend unbekannt sind“. Jüngste Erkenntnisse wiesen darauf hin, dass die gemeldete NomaSterblichkeitsrate heute weniger als 90 Prozent betragen und durch eine frühzeitige Behandlung stark reduziert werden könnte. Seit Anfang der 2000erJahre wurde in der wissenschaftlichen Literatur über 13.000 Fälle von Noma berichtet. Laut WHO gibt es Hinweise darauf, dass die Erreger von Noma unspezifische polymikrobielle Organismen sind. Noma gilt als opportunistische und nicht ansteckende Krankheit: Es gibt keine dokumentierten Beweise für eine direkte Übertragung von Mensch zuMensch. Noma wird anhand klinischer Kriterien diagnostiziert, die sich je nach Progressionsstadium unterscheiden. Derzeit gibt es keinen diagnostiJunger Mann mit destruktiver perioraler Läsion und oraler Inkontinenz Foto: Brian L. Fisher, California Academy of Sciences - Tonna JE, Lewin MR, Mensh B (2010) A Case and Review of Noma. PLoS Negl Trop Dis 4(12): e869. doi:10.1371/journal.pntd.0000869 „Gewebserweichung im Gesicht, Noma, Wangenbrand“ lautet der Titel der auf 1836 datierten kolorierten Lithografie nach einer Zeichnung von Robert Froriep. Froriep erläuterte damals, dass an dieser Krankheit „noch vieles ungeklärt“ sei. Das ist fast 200 Jahre später immer noch so. Noma gilt als schwerste Form einer bakteriellen geschwürig voranschreitenden Entzündung der Wangenschleimhaut. Foto: Robert Froriep - Pathologisch-anatomische Abbildungen aus der Sammlung der königlichen Charité-Heilanstalt zu Berlin ÜBERLEBENDENORGANISATION ELYSIUM ÜBERLEBENDE HELFEN ERKRANKTEN Aufmerksamkeit erhielt die Krankheit Anfang Mai, als Fidel Strub and Mulikat Okanlawon wegen ihrer Sensibilisierung für Noma vom TIME Magazin unter die weltweit 100 einflussreichsten Menschen im Gesundheitswesen 2024 gewählt wurden. Die beiden sind zwei der sehr seltenen NomaÜberlebenden und gleichzeitig Mitbegründer von Elysium. Die Überlebendenorganisation hat es sich zur Aufgabe gemacht, Überlebende zu unterstützen und mit deren Hilfe eine Förderung der Mundgesundheit und frühzeitige Noma-Prävention und -Behandlung zu propagieren. Dieser integrative Ansatz sei notwendig, um zur Ausrottung von Noma beizutragen, teilt Elysium mit, da es immer noch zu wenig Wissen über Ausprägungen und Diagnosemöglichkeiten gebe, „obwohl die Krankheit seit der Antike bekannt ist". Mulikat Okolanwon musste in den 20 Jahren seit ihrer Erkrankung fünfmal operiert werden. Heute arbeitet sie in Sokoto, Nigeria, im Bereich Gesundheitsförderung und psychische Gesundheit. Sie will Betroffene und deren Familien unterstützen und als Vorbild dienen, dass auch NomaÜberlebende aktiver Teil der Gesellschaft sein können. Foto: MSF/Fabrice Caterini
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