zm114 Nr. 12, 16.06.2024, (1022) 40 | TITEL damals in Europa so, dass die Menschen in den städtischen Gebieten eine verbesserte allgemeine Gesundheit hatten, und dann ging auch Noma zurück. Wenn wir also an den Punkt kämen, an dem es in Sokoto eine verfügbare zahnärztliche Versorgung gibt, hätten sich auch andere Dinge so verbessert, so dass wir Noma in diesen Gebieten nicht mehr beobachten würden. Das ist meine Vorhersage. Können Sie uns ein Beispiel für einen erfolgreichen Fall nennen? Welche Faktoren haben zu diesem Erfolg beigetragen? Ich erinnere mich an ein junges Mädchen, das einem Nomadenstamm (Fulani) angehört. Sie war etwa 12 oder 13 Jahre alt, als sie zu uns kam. Man sieht viele Kinder, die von ihren Eltern erst in diesem Alter gebracht werden, weil sie bald verheiratet werden sollen. Die Heirat ist eine Art Gradmesser für die soziale Akzeptanz. Obwohl ich sagen würde, dass es grundsätzlich ein hohes Maß an sozialer Akzeptanz für Menschen mit Gesichtsfehlbildungen in der Region gibt. Aber mit einer Heirat wird es schwierig, wenn jemand keine Nase hat, was bei diesem jungen Mädchen der Fall war. Berichtet wurde, dass es Schwierigkeiten habe, in die Schule zu gehen, und die Eltern fragten sich, wie es jemanden kennenlernen soll. Die meisten Patienten wissen nicht, dass es überhaupt die Möglichkeit einer Operation gibt. Das Mädchen ist – wie viele andere unserer Patienten auch – über sogenannte Outreach-Teams zu uns gekommen. Das sind Teams, die in die ländlichen Gebiete gehen und verschiedene Leute in den Gesundheitszentren befragen. Sie identifizieren Noma-Überlebende, machen Fotos und bieten ihnen einen Termin für eine Operationsplanung an. Das junge Mädchen bekam bei uns eine totale Nasenrekonstruktion, bei der ihre Rippe und ein Stück ihrer Stirn zur Rekonstruktion verwendet wurden. Das ist eine Operation, die vor Hunderten von Jahren in Indien entwickelt wurde. Sie blieb etwa einen Monat, vielleicht sechs Wochen im Krankenhaus, dann ging sie nach Hause und wurde später einer kleineren zweiten Operation unterzogen. Die Familien sind sehr glücklich, das Mädchen ist glücklich und sie wird nun verheiratet werden können. Das ist nach den Maßstäben der Kultur ein Erfolg, auch wenn das für uns schwer zu verstehen ist. Sie hat den Heilungsprozess erfolgreich durchlaufen und sich sehr gut geschlagen. Ich werde sie wahrscheinlich wiedersehen, wenn ich im Herbst zurückkehre, das ist dann ein Jahr nach der OP. Was ich bemerkenswert finde: Wenn wir hier in Boston Patienten operieren, führen wir oft mehrere Operationen durch, aber keiner der Patienten ist jemals vollkommen glücklich. In Nigeria ist das anders. Die Patienten sind wahnsinnig dankbar und leidensfähig. Jede kleine Verbesserung ist für sie ein immenser Erfolg. Vielleicht liegt das daran, dass sie viele andere Sorgen haben, etwa Ernährung und Sicherheit ihrer Familien, um die sie sich kümmern müssen. Aber vielleicht können wir dadurch auch etwas lernen. Was berührt Sie darüber hinaus an Ihrer Arbeit in Afrika? Die Tapferkeit der Menschen. Um beim Beispiel des Mädchens zu bleiben: Sie gehört dem Fulani-Stamm an, der für seine Stärke bekannt ist. Die Schmerzen des Mädchens nach der Operation müssen wahnsinnig stark gewesen sein, aber sie beklagte sich kein einziges Mal. Das war einfach unglaublich, wenn man bedenkt, dass ich sowohl an der Stirn Gewebe entnommen als auch eine Rippe entfernt habe. Der Umgang mit Schmerzen ist in Afrika ein anderer, während hier in Boston die Leute nicht die geringste Toleranz gegenüber Schmerzen haben. Wissen Sie, ich hatte noch nie einen Patienten, der nicht über Schmerzen geklagt hat, außer in Afrika. Das ist der einzige Ort, wo die Leute sagen, dass es nicht wehtut. Das Interview führte Dr. Nikola Lippe. Männlicher Noma-Überlebender, der 35 Jahre an einem Trismus und einer halbseitigen knöchernen Verschmelzung von Mandibula und Maxilla litt: Weil er seinen Mund nicht mehr öffnen konnte, schob er sich das Essen kontralateral durch eine Zahnlücke hindurch, was den Großteil des Tages in Anspruch nahm, um überleben zu können. Der Trismus wurde operativ gelöst, danach eine aggressive Physiotherapie angeschlossen, um ein Rezidiv zu verhindern. Foto: [Shaye et al., 2019] Shaye bei einer Operation eines Noma-Überlebenden Foto: David Shaye
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