68 | POLITIK worden (ein Plus von 580 Prozent zum Vorjahr). Asefi geht davon aus, dass sich dieser Trend weiter fortsetzen wird. Sie rechnet für die Jahre 2023 und 2024 mindestens mit einer Verdopplung der Zahlen. Einen weiteren starken Anstieg erwartet sie auch bei den Patientenzahlen aus Ägypten (2022 ein Plus von 58 Prozent). Das Wachstum bei den Zahlen der ausländischen Patientinnen und Patienten lässt sich der H-BRS zufolge auch 2022 bundesweit beobachten. Lediglich Sachsen-Anhalt und das Saarland bildeten hier eine Ausnahme, so die Hochschule. Die Gesundheitsziele in Bayern und Baden-Württemberg hätten um jeweils 16 Prozent zugelegt. Besonders stark entwickelt hätten sich die nordöstlichen Bundesländer. Am deutlichsten sei dieser Trend in Hamburg festzustellen (plus 37 Prozent), gefolgt von Schleswig-Holstein (plus 30 Prozent). Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg verzeichneten demnach jeweils ein Plus von mehr als 20 Prozent. In Berlin sei ein Anstieg um 14 Prozent zu verzeichnen. Die Hauptstadt investiere kontinuierlich in die Vermarktung als MedizintourismusStandort, betont die H-BRS. Ähnlich starke Zahlen ließen sich in NordrheinWestfalen beobachten. Asefi wertet die Zahlen als insgesamt gutes wirtschaftliches Ergebnis für die Gesundheitsbranche. Die Kliniken stünden derzeit aufgrund von Inflation und Fachkräftemangel vor vielen Herausforderungen. Mit dem Ende der Corona-Pandemie stellt Asefi eine „globale Euphorie“ beim Medizintourismus fest. Aber inzwischen gebe es auch einige stärkere Mitbewerber wie die Türkei oder auch Spanien. „Die Türkei gilt derzeit weltweit als Vorreiterin bei der Vermarktung ihrer MedizintourismusAngebote wie beispielsweise von Haartransplantationen, in der Zahnmedizin oder bei Schönheitsoperationen. Der Medizintourismus von deutschen Patientinnen und Patienten in die Türkei ist drastisch gestiegen.“ Hier sei eine stärkere Qualitätssicherung notwendig, betonte sie. pr zm114 Nr. 12, 16.06.2024, (1050) „GESCHÄTZT WERDEN DIE PREISE, DIE LAGE UND DER SERVICE“ Mariam Asefi, Leiterin des Forschungsbereichs Medizintourismus an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg in Sankt Augustin, hat bei ihren Forschungsarbeiten über Medizintourismus aus dem Ausland nach Deutschland auch den Bereich Zahnmedizin im Blick. Zwar gebe es derzeit keine speziellen Erhebungen dazu, weil sich die Forschungen der Hochschule auf die elektiven medizinischen Bereiche konzentrierten, erklärte sie in einem Gespräch mit den zm. „Die Zahnmedizin wird aber von uns mit beobachtet“, sagte sie. Als Beispiel nannte sie ausländische Diabetespatienten. Viele von ihnen müssten vor oder während ihrer stationären Behandlung auch einen Besuch beim Zahnarzt vornehmen, um mögliche allgemeinmedizinische und zahnmedizinische Wechselwirkungen abklären zu lassen. Im Blick habe der Forschungsbereich auch den grenzüberschreitenden Weg von deutschen Patienten, die sich im Ausland behandeln lassen wollen. Asefi nannte hier etwa Behandlungen in Polen, Ungarn oder der Türkei. Behandelt würden onkologische Fälle wie etwa Brustkrebs oder Prostatakrebs – regelmäßig nachgefragt von Patienten aus dem arabischen Raum. Nachgefragt werde auch die Behandlung von komplexen Fällen aus der Neurologie oder dem Bereich Seltener Erkrankungen, oder komplexe Fälle in der Unfallchirurgie. „Verunfallte Motorradfahrer oder Rennfahrer aus dem arabischen Raum zählen zu den typischen Fällen.“ Nicht zu vergessen seien Nachfragen nach Schönheitschirurgie oder Kinderwunschbehandlungen. Und warum kommen die Patienten bevorzugt nach Deutschland und gehen nicht etwa in die USA? Hier verwies Asefi auf das Preis-Leistungs-Verhältnis: „Medizin in den USA ist teurer“, sagte sie. Nicht zuletzt sei hierzulande die geografische Lage ein Vorteil. Generell sei die Visavergabe in Deutschland sehr kompliziert, aber für einige Patienten dennoch leichter als in den USA. „Auch der touristische Faktor spielt eine Rolle, etwa für die begleitenden Angehörigen.“ Geschätzt werde auch der Service. „Wir beobachten derzeit einen Trend bei polnischen Schwangeren, die nach Deutschland zur Entbindung kommen und das auch privat bezahlen.“ Was finanzielle Aspekte angeht, sind die ausländischen Patientinnen und Patienten nach Angaben Asefis mehrheitlich Privatzahler und werden im privaten sowie im öffentlichen Sektor behandelt. „Doch es gibt auch Fälle, bei denen Patienten aus dem EUAusland kommen und die Kostenerstattung ihrer Versicherung in Anspruch nehmen“, berichtete die Wissenschaftlerin. Doch ist Medizintourismus angesichts eines wachsenden Ärzte- und Fachkräftemangels überhaupt willkommen? Eine Aufnahme ist laut Asefi nur möglich, wenn bestimmte Kliniken Kapazitäten aufweisen könnten, das sei regional aber sehr unterschiedlich. Positiv entwickelt habe sich in den vergangenen Jahren zudem der internationale Austausch von Fachkräften. Viele Ärztinnen und Ärzte seien aus dem Ausland nach Deutschland gekommen – eine Win-win-Situation für die Ärzte, die Arbeit suchten, wie für die deutschen Krankenhäuser und Universitätskliniken, die Personal benötigten. Nicht zuletzt ermöglichten die extra budgetieren Einnahmen den Kliniken Investitionen in deren Infrastruktur. „Und“, betont Asefi abschließend, „jede kulturelle Interaktion ist eine Bereicherung – wir können alle voneinander lernen.“ Das Gespräch führte Gabriele Prchala. Mariam Asefi, Leiterin des Forschungsbereichs Medizintourismus an der Hochschule BonnRhein-Sieg in Sankt Augustin Foto: Asefi/privat
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