Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 12

POLITIK | 73 terblichkeit in Deutschland zunächst deutlich geringer ausgefallen sei als in anderen Ländern Westeuropas, so das Wissenschaftlerteam. Einzelne Altersgruppen haben den Studienergebnissen zufolge unterschiedlich zu dem wachsenden Rückstand Deutschlands in der Lebenserwartung beigetragen. Während die Sterblichkeit von Menschen unter 50 Jahren im Rahmen des westeuropäischen Durchschnitts liege, sei sie bei den über 65-Jährigen deutlich erhöht. Bei den Frauen wiesen in Deutschland gerade Personen im Alter ab 75 Jahren eine höhere Sterblichkeit auf als Gleichaltrige im westeuropäischen Ausland. Dagegen trage bei den Männern insbesondere die Altersspanne zwischen 55 und 74 Jahren zur Lücke bei. Bereits in einer vorherigen Studie habe nach Angaben des jetzigen Autorenteams belegt werden können, dass das deutsche Defizit im Vergleich zu Vorreiterländern, wie etwa der Schweiz, Frankreich, Spanien oder Japan, vor allem auf einen Nachteil in der Sterblichkeit im höheren Erwachsenenalter zurückzuführen sei (bei Männern ab 50 Jahren, bei Frauen ab 65 Jahren). Hinsichtlich der Todesursachen erkläre sich der Rückstand insbesondere durch eine höhere Sterblichkeit aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Dies gelte selbst im Vergleich zu anderen „Nachzüglerländern“ wie den USA und dem Vereinigten Königreich. Die immer noch hohe kardiovaskuläre Sterblichkeit in Deutschland scheine auch auf unzureichende Prävention und Primärversorgung zurückzuführen zu sein, so die Autoren. Die Gesundheitspolitik hat ihre Hausaufgaben nicht gemacht Die Unterschiede zwischen den Ländern spiegelten unter anderem auch Differenzen in der Gesundheitspolitik wider, so die Autoren weiter. Das zeige sich etwa in Bezug auf die Prävention, die Früherkennung und die Behandlung von Erkrankungen. Empirische Belege deuteten darauf hin, dass nationale gesundheitspolitische Maßnahmen etwa bei der Eindämmung des Tabak- und Alkoholkonsums, bei der Vorbeugung und Behandlung von Bluthochdruck, bei der Krebsvorsorge, bei der Straßenverkehrssicherheit, bei Lebensmittelstandards und Ernährung, bei Kindergesundheit sowie Infektionskrankheiten und Luftverschmutzung in den vergangenen vier Jahrzehnten in vielen europäischen Ländern zu erheblichen Verbesserungen der Gesundheit der Bevölkerung beigetragen haben. Die Tatsache, dass benachbarte Länder mit ähnlichen sozioökonomischen Bedingungen unterschiedliche Gesundheitsergebnisse aufweisen, deute darauf hin, dass sich die Länder im Grad der Umsetzung gesundheitspolitischer Maßnahmen zum Teil erheblich unterscheiden. Um Deutschlands Rückstand bei der Lebenserwartung in Westeuropa zu überwinden, müsse insbesondere in höheren Altern eine weitere Verringerung der Sterblichkeit erzielt werden. Vor allem bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen scheine Handlungsbedarf zu bestehen. Die genauen Gründe für den Widerspruch zwischen einer gut finanzierten, technologisch fortschrittlichen und gut zugänglichen Gesundheitsversorgung und der schlechten Platzierung Deutschlands bei der Lebenserwartung insbesondere im Bereich der Sterblichkeit durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen seien jedoch noch nicht ausreichend erforscht. Die Autoren verweisen ferner auf internationale Daten. Diese deuteten darauf hin, dass die Bevölkerung in Deutschland durchschnittlich schlechtere Ernährungsgewohnheiten aufweist. Das gelte etwa für das geringere Angebot an Gemüse und Obst und dessen vergleichsweise mäßigen Konsum. Auch sei zu erwarten, dass die raucherbedingte Sterblichkeit bei Frauen in Deutschland in den kommenden Jahrzehnten im westeuropäischen Vergleich überdurchschnittlich zunehmen werde. Wichtig sei auch der Hinweis, dass Deutschland unter den ökonomisch hoch entwickelten Ländern über einen langen Zeitraum hinweg im internationalen Vergleich einen der letzten Plätze in Bezug auf die öffentliche Gesundheitspolitik einnehme. Dies gelte insbesondere in den Bereichen Tabak- und Alkoholprävention sowie Ernährung. Die auffallend hohe Morbidität durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen, zm114 Nr. 12, 16.06.2024, (1055) TAGUNG DES WISSENSCHAFTSRATS „DEUTSCHLAND BRAUCHT EINE INITIATIVE FÜR PRÄVENTION“ Eine Initiative für Prävention und Gesundheit ist in Deutschland dringend notwendig, so das Fazit auf einer Tagung des Wissenschaftsrats (WR) am 22. Mai in Berlin. Öffentliche Gesundheit und die dort spezialisierten Dienste und Wissenschaftsdisziplinen müssten im Schulterschluss Gesunderhaltung und Krankheitsvermeidung in den Fokus nehmen, so die Empfehlung des WR. Es fehle in der Gesundheitsprävention nicht an Einzelerkenntnissen, viel mehr mangele es an deren Umsetzung und der Vernetzung der Akteure. „Hunderttausende HerzKreislauf-Erkrankungen, Diabetes- und Krebserkrankungen wären vermeidbar, würden wir früher ansetzen“, erklärte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach auf der Tagung. „Wir brauchen daher eine Trendwende bei Gesundheitsförderung und Gesundheitskompetenz. Die Nationale Präventions-Initiative setzt dafür wichtige Impulse“, so der Minister. Die Experten der Tagung diskutierten auch konkrete Maßnahmen für eine erfolgreiche Prävention. Dazu gehörten unter anderem eine bessere Datengrundlage, die Vernetzung aller Akteure, verbindliche politische Ziele innerhalb einer nationalen Strategie und wirksame Anreize für ein gesundheitsbewusstes Verhalten. Grundsätzlich müsse die Prävention in der Medizin einen höheren Stellenwert einnehmen. ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden.

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