Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 12

74 | POLITIK komplexe chirurgische Behandlungen und übermäßige Krankenhausaufenthaltsraten sowie der hohe Prozentsatz von Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die Krankenhäuser erst in fortgeschrittenen Krankheitsstadien und mit Multimorbidität erreichen, deuten auf Versäumnisse bei der Prävention, der Früherkennung und der Behandlung hin, so das Fazit. Um die Nachhaltigkeit der Finanzierung und des Funktionierens des Gesundheitswesens zu gewährleisten, erscheine eine Diskussion über eine Neuadjustierung von Prioritäten und Investitionen im Gesundheitswesen dringend angebracht. Mehr Forschungsarbeit und mehr Daten seien notwendig. Fazit Die auffallend hohe Morbidität durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen, komplexe chirurgische Behandlungen und übermäßige Krankenhausaufenthaltsraten sowie der hohe Prozentsatz von Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die Krankenhäuser erst in fortgeschrittenen Krankheitsstadien und mit Multimorbidität erreichen, deuten auf Versäumnisse bei der Prävention, der Früherkennung und der Behandlung hin, so das Fazit. Um die Nachhaltigkeit der Finanzierung und des Funktionierens des Gesundheitswesens zu gewährleisten, erscheine eine Diskussion über eine Neuadjustierung von Prioritäten und Investitionen im Gesundheitswesen dringend angebracht. Mehr Forschungsarbeit und mehr Daten seien notwendig. pr Die Studie: Grigoriev, Pavel; Sauerberg, Markus; Jasilionis, Domantas; van Raalte, Alyson; Klüsener, Sebastian (2024): Sterblichkeitsentwicklung in Deutschland im internationalen Kontext. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 67(5): 493–503. https://doi.org/10.1007/s00103-02403867-9 zm114 Nr. 12, 16.06.2024, (1056) INTERVIEW MIT DR. PAVEL GRIGORIEV „DEUTSCHLAND KÖNNTE VIEL MEHR ERREICHEN“ Dr. Grigoriev, warum ist der Handlungsbedarf in Sachen Lebenserwartung in Deutschland so groß? Liegt es am Gesundheitssystem? Die genauen Gründe für den Widerspruch zwischen einer gut finanzierten, technologisch fortschrittlichen und gut zugänglichen Gesundheitsversorgung und der schlechten Platzierung Deutschlands bei der Lebenserwartung sind noch nicht ausreichend erforscht. Allerdings wird durch unsere Studie ziemlich klar, dass eine stärkere Fokussierung auf die Prävention und die Früherkennung chronischer Krankheiten erforderlich ist. Früherkennung und Prävention sollten in einem breiteren Kontext verstanden werden. Das ist nicht nur ein Thema für Mediziner und politische Entscheidungsträger. Die Verbreitung von Wissen über gesundes Verhalten in die breite Öffentlichkeit hinein spielt eine Schlüsselrolle bei der Verringerung der Sterblichkeit. Haben die bisherigen Präventionsstrategien nicht gut genug gegriffen – gerade bei den großen Volkskrankheiten? In Deutschland gibt es zwar Fortschritte bei der Senkung der Sterblichkeit, diese entwickeln sich jedoch langsamer als in den anderen westeuropäischen Ländern. Die Beispiele dieser Länder belegen, dass Deutschland mit seiner starken Wirtschaft und seinem Gesundheitssystem viel mehr erreichen könnte. Eine stärkere Fokussierung auf die Prävention und die Früherkennung chronischer Krankheiten, insbesondere bei der Sterblichkeit durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen, würde hier viel Potenzial für Verbesserungen bieten. Die Verbesserung des Gesundheitssystems allein reicht aber nicht aus, es müsste auch eine wirksame Gesundheitspolitik betrieben werden. Leider bekleidet Deutschland einen der letzten Plätze in Bezug auf die öffentliche Gesundheitspolitik (Public Health). Dies gilt insbesondere in den Bereichen Tabak- und Alkoholprävention sowie Ernährung. In einem wissenschaftlichen Expertenkommentar zu unserer Studie aus dem vergangenen Jahr haben Stephan Baldus, Kardiologe an der Universitätsklinik Köln, und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach mögliche Strategien zusammengefasst [Baldus und Lauterbach, 2023]. Dazu gehören die Gesetzgebung, bevölkerungsweite Gesundheitschecks, die Einführung elektronischer Gesundheitsakten und andere Initiativen. Die Autoren nennen konkrete Beispiele von Ländern, die es besser gemacht haben: Japan, die Niederlande, Schweden und Dänemark. Was genau läuft in den Vergleichsländern anders oder besser? Japan hat eine spezielle Gesetzgebung, die die Primärprävention fördert. Dazu gehören Gesundheitschecks und Anreize für gesundes Verhalten. In Schulen werden gesunde Lebensmittel bereitgestellt und Ernährung ist offizieller Bestandteil des Lehrplans. In den Niederlanden gibt es zum Beispiel ein Screening-Programm für familiäre Hypercholesterinämie. Dänemark hat durch die Einführung eines elektronischen Gesundheitsaktensystems mit automatisierter Datenerfassung bei Hausärzten eine bemerkenswerte Verbesserung bei der Behandlung kardiovaskulärer Risikofaktoren verzeichnet. Und Schweden hat Register eingeführt, die Krankheitsentitäten verfolgen und die eng mit der Erhebung der nationalen Krankheitslast verbunden sind. Dazu gehört ein webbasiertes System zur Verbesserung und Entwicklung der evidenzbasierten Versorgung bei Herzerkrankungen. Das Gespräch führte Gabriele Prchala. Dr. Pavel Grigoriev, Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB), ist Mitautor der Studie zur Lebenserwartung in Deutschland. Foto: Peter-Paul Weiler, ppw@berlin-event-foto.de

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