Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 12

76 | ZAHNMEDIZIN GESCHICHTE DER ADHÄSIVEN ZAHNMEDIZIN 75 Jahre Entdeckung der Kunststoffhaftung an säuregeätztem Zahnschmelz Hans Jörg Staehle, Caroline Sekundo In diesem Jahr jährt sich zum 75. Mal die 1949 erfolgte Entdeckung der Haftung des Kunststoffpräparats „Paladon“ an säuregeätztem Zahnschmelz. Der Name „Paladon“ steht nicht nur für ein Pionierpräparat der zahnärztlichen Prothetik, sondern auch der adhäsiven Zahnheilkunde. Wichtige Entwicklungen der Acrylate in der Zahnmedizin des 20. Jahrhunderts waren durch politisch-ideologisch und wirtschaftlich motivierte Willkürmaßnahmen sowie durch Grabenkämpfe zwischen Zahnärzten und Dentisten belastet. Die Geschichte der adhäsiven Zahnmedizin beginnt in der Literatur meist mit dem Jahr 1955, als der amerikanische Chemiker und Zahnarzt Michael G. Buonocore (1918– 1981) in einer wegweisenden Arbeit von einer „simplen Methode“ berichtete, die Adhäsion zwischen Zahnschmelz und Kunststoffen auf Acrylatbasis zu steigern. Die Methode bestand darin, den Zahnschmelz vorab einer Säureätzung zu unterziehen (Abb. 1) [Buonocore, 1955]. Über die dadurch entstandene Rauigkeit der Oberfläche ließ sich eine mikromechanische Verzahnung zum Kunststoff herstellen – ein Prinzip, nach dem auch heute noch gängige Restaurationsmaterialien arbeiten. Buonocore war jedoch nicht der erste, der die Kunststoffhaftung an säuregeätztem Zahnschmelz beobachtete. Sechs Jahre vorher, im Jahr 1949, hatte der Zahnarzt Günter Staehle (1921– 2008, Abb. 2) [Groß, 2023] den Effekt bereits zufällig entdeckt und beschrieben [Staehle, 1949]. Über die Vorgehensweisen von 1949 und 1955 berichtet der vorliegende Beitrag, der sich an eine kürzlich erschienene Arbeit von Staehle und Sekundo im Fachjournal „Journal of Adhesive Dentistry“ anlehnt [Staehle und Sekundo, 2024]. 1949: Die Kunststoffhaftung als Problem In seiner 1949 von der Universität Tübingen angenommenen Dissertation führte Staehle Untersuchungen zum Remineralisationsverhalten von Zahnschmelz durch. Dabei demineralisierte er Schmelzoberflächen artifiziell durch Säureätzung und setzte sie dem Mundmilieu aus. Vor und nach der Exposition fertigte er Kunststoff-Replikas an, um damit die Zahnstrukturen analysieren zu können. Er verwendete menschliche Zähne, die er unmittelbar nach ihrer Extraktion in physiologischer Kochsalzlösung lagerte. Nach Abtrennung der Zahnwurzeln montierte er die verbliebenen Zahnkronen in von Patienten getragene Zahnprothesen. Welche Anzahl und Typen von Zähnen er heranzog, geht aus seiner Dissertationsschrift nicht hervor. Er führte keine Reinigung der Zahnoberflächen durch, sondern nur eine oberflächliche Trocknung. Um eine definierte Schmelzätzung zu erreichen, platzierte er auf den zu untersuchenden Schmelzoberflächen Plastilin, in das er jeweils eine kreisrunde Aussparung von 1 mm² einbrachte. Nach der Einwirkung von 5-prozentiger Salpetersäure für drei Minuten löste er das Plastilin ab und spülte mit Wasser. Nach der Trocknung fand er im geätzten Areal eine weiße, matte Oberfläche. Zur Replika-Herstellung trug er die Flüssigkeit des Acrylatkunststoffs Paladon der Firma Kulzer auf die Zahnoberfläche auf und wartete, bis sich einige Paladon-Pulver und Paladon-Flüssigkeit der Firma Kulzer (circa 1938). Foto: Andreas Haesler, Dental Museum Zschadaß zm114 Nr. 12, 16.06.2024, (1058)

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