Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 12

ZAHNMEDIZIN | 77 Zeit später durch Erstarren ein dünner Film gebildet hatte. Der Film erwies sich als glasklar, stabil und scharfzeichnend. Anschließend drückte er einen Cellophanstreifen auf den erstarrten Paladon-Film. Den Streifen zog er zusammen mit dem Acrylatfilm von der Zahnoberfläche wieder ab. Er beobachtete ein variables Haftverhalten. In einigen Fällen hatte sich keine Haftung ergeben. In anderen Fällen war eine dermaßen starke Haftung eingetreten, dass ein Ablösen des Acrylatfilms nicht möglich war. Diese Haftung deutete er als Folge der Oberflächenrauigkeit des geätzten Schmelzes. Er schrieb dazu in seiner Dissertationsschrift: „Es ergaben sich später noch verschiedene Schwierigkeiten beim Ablösen des Films, insbesondere bei geätzten Stellen, die durch ihre Rauigkeit ein Haften an der Zahnoberfläche begünstigen.“ Allerdings fand er keine plausiblen Gründe für das unterschiedliche Haftverhalten. Er wies darauf hin, dass einige Tage nach der Exposition der Studienzähne in der Mundhöhle die weißen und matten Schmelzoberflächen verschwunden seien und kein Farbunterschied mehr bestanden habe. Durch seine Beobachtungen hatte er nicht nur als erster die Haftung von Kunststoff auf Acrylatbasis an geätztem Schmelz entdeckt, sondern die Adhäsionssteigerung auch korrekt als physikalisch (mikromechanisch) und nicht als chemisch begründeten Vorgang interpretiert. Die Bedeutsamkeit seiner Entdeckung, nämlich dass die durch Säureätzung bewirkte Adhäsionsverbesserung zwischen Schmelz und Acrylatkunststoff für vielfache zahnmedizinische Zwecke von Nutzen sein könnte, wurde ihm allerdings nicht bewusst. Die Adhäsionssteigerung zwischen Acrylat und geätztem Schmelz war für ihn vielmehr ein methodisches Problem, das seine Versuche erschwerte. Er sah sie nicht als vielversprechende Chance für andere Anwendungsbereiche [Staehle, 1949]. 1955: Die Kunststoffhaftung als Lösung Gegenüber der Situation von 1949 war die Beschreibung der Kunststoffhaftung an säuregeätztem Schmelz im Jahr 1955 das Ergebnis gezielter Forschungsarbeiten. Der Chemiker und Zahnarzt Michael G. Buonocore suchte nach Möglichkeiten einer Haftung von Kunststoff an der Zahnoberfläche, um damit klinisch relevante Einsatzgebiete wie beispielsweise die Versiegelung von Zähnen zur Kariesvorbeugung zu erschließen. Buonocore experimentierte mit diversen Materialkombinationen (Phosphomolybdat in Verbindung mit Oxalsäure sowie Phosphorsäure). Dabei erwies sich die Schmelzätzung mit Phosphorsäure und anschließender Applikation von Acrylatkunststoffen als am erfolgreichsten. Nach Vorversuchen an extrahierten Zähnen verwendete er für seine Hauptversuche in situ befindliche Zähne von freiwilligen Probanden (volunteer subjects), hauptsächlich obere und untere Inzisiven, „gelegentlich“ („occasionally“) auch Prämolaren und Molaren. Nähere Angaben zu Zahntypen und -formen finden sich in seiner Publikation nicht. Vor dem Ätzvorgang reinigte er die Zähne mit Bimsstein und Alkohol. Nach der Trocknung der Zahnoberfläche applizierte er 85-prozentige Phosphorsäure für die Dauer von 30 Sekunden, anschließend erfolgte eine Wasserspülung. Er mischte Acrylat-Füllungskunststoffe nach „Herstellervorschriften“ an – allerdings ohne den Präparatenamen oder den Hersteller zu deklarieren – und trug einen Tropfen Kunststoff mit einem Durchmesser von etwa 5mm² im Bereich des geätzten Areals auf. Ob und gegebenenfalls welche Maßnahmen er traf, um die genannte Größe des Areals sicherzustellen, ist der Publikation nicht zu entnehmen. Er wartete die Härtung des Kunststoffs ab und glättete daraufhin dessen Oberfläche. Anschließend beobachtete er, ob der Kunststoff von selbst abfiel oder mechanisch abzutrennen war. Im letzteren Fall verwendete er „mit erheblicher Kraftanstrengung ein scharfes Instrument“ (considerable force with a sharp instrument“), ohne dieses allerdings näher zu beschreiben. Die Stabilität des Haftverhaltens prüfte er, indem er die Verbleibdauer des auf die Zähne aufgetragenen Kunststoffs beobachtete, wobei er zwischen unbehandelten und geätzten Zähnen (jeweils n = 10) unterschied. Bei den unbehandelten Zähnen hielt die Adhäsion durchschnittlich elf Stunden an, bis die Proben von selbst abfielen. Bei den geätzten Zähnen betrug die Adhäsion hingegen durchschnittlich 1.070 Stunden (= 45 Tage). Bei der Hälfte der behandelten Zähne (fünf Zähne) erfolgte die Entfernung des Kunststoffs instrumentell (wie oben beschrieben), wobei es zuweilen zu kohäsiven Frakturen im Kunststoff kam. Die andere Hälfte (ebenfalls fünf Zähne) war beim Verfassen seines Manuskripts (90 Tage nach Versuchsbeginn) noch mit den Kunststoffauflagerungen versehen, zm114 Nr. 12, 16.06.2024, (1059) Abb. 1: Michael G. Buonocore (1918– 1981) (Aufnahmejahr 1953), mit freundlicher Genehmigung der Bibliothek des Eastman Dental Center, University of Rochester, Rochester, N.Y. Foto: Eastman Dental Center, University of Rochester Abb. 2: Günter Staehle (1921–2008), (Aufnahmejahr 1958) Foto: Privatarchiv H. J. Staehle

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