ZAHNMEDIZIN | 79 („Heißpolymerisation“). Dieses Verfahren wurde von der Firma Kulzer 1936 patentiert (Roth war einer der vier Eigentümer von Kulzer) und unter dem Markennamen Paladon (für Prothesen) und Palapont (für Kronen und Brücken) in die Zahnheilkunde eingeführt. Es zeigte sich, dass das flüssige MMA schon bei Lichteinwirkung oder schwacher Erwärmung zur Polymerisation neigte, also in gewisser Weise zwar langsam, aber doch „selbst“ härtete, weshalb ihm später Stabilisatoren zugesetzt wurden [Staehle und Sekundo, 2021]. Dies dürfte der Grund gewesen sein, weshalb bei den Versuchen von 1949 das aufgetragene Paladon spontan zu einem dünnen Film erstarrte. Allerdings verlief die Polymerisation nicht gleichmäßig, was neben dem Unterlassen einer Zahnoberflächenreinigung das variable Haftverhalten verständlich macht. Selbsthärtende Kunststoffe Um welchen Kunststoff es sich in der Untersuchung von 1955 handelte, wurde in der Arbeit von Buonocore nicht deklariert. Es ist lediglich von einem Acryl-Füllungskunstoff (acrylic filling resin) die Rede – der Hersteller wurde nicht angegeben. Anzunehmen ist, dass es sich hierbei um einen selbsthärtenden Kunststoff handelte, wie er seit Ende der 1940er-Jahre zur Verfügung stand. Kunststoffe dieser Art wurden in der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre von dem handwerklichen Dentisten Ernst Schnebel entwickelt und 1940 patentiert. Dabei arbeitete Schnebel ebenfalls mit der Firma Kulzer zusammen, die die neuen Materialien unter anderem im Tierversuch testen ließ [Staehle und Sekundo, 2021]. zm114 Nr. 12, 16.06.2024, (1061) ENTWICKLUNG VON KUNSTSTOFFEN AUF ACRYLATBASIS FÜR ZAHNMEDIZINISCHE ZWECKE Jahr Vorgänge Namen und Quellen 1930 Erstes Patent für Anwendungen von Polymethylmethacrylat (PMMA) in der Zahntechnik/ Zahnmedizin unter Verwendung thermisch adaptierbarer Formlinge zur Fertigung von Zahnprothesen, vermarktet durch die Firma Röhm & Haas und weitere Firmen. Weiteres Patent im Jahr 1935 Walter Bauer, Chemiker [Bauer, 1935; Röhm und Haas, 1930] 1936 Vermischung von PMMA-Pulver mit MMA-Flüssigkeit zu verformbarem Teig, der durch Druck und Hitze (ebenfalls für prothetische Zwecke diverser Art) gehärtet wurde, vermarktet durch die Firma Kulzer unter dem Namen Paladon und Palapont; international hergestellt und vertrieben unter dem Handelsnamenamen Vernonite (Vernon-Benshoff Co.) Gottfried Roth, Zahntechniker (zit. n. [Newesely, 1988]) 1939 Experimente mit direkt eingebrachten, langsam „verfestigenden“ Zahnfüllungen (mit Prothesen-Kunststoffen auf Acrylatbasis) Fred A. Slack, Zahnarzt [Slack, 1939] 1940 Patent für intraorale Polymerisationseinleitung dentaler Kunststoffe auf Acrylatbasis bei in der Mundhöhle akzeptablen Temperaturen mit UV-Licht, chemischen Katalysatoren (tertiäre Amine) oder Kombination von beidem im Sinne einer Dualhärtung. Beschreibung der Verbesserung werkstoffkundlicher Eigenschaften durch Zugabe von Mineralstoffen (erste „Komposite“), Einflussnahme auf die Sauerstoff-Inhibitionsschicht sowie der chemischen Verbindung verschiedener dentaler Kunststoffmassen miteinander (Zementierung von Werkstücken, Reparaturen) Ernst Schnebel, Dentist [Schnebel,1940], siehe auch [Helbig, 1941; Stocklin, 1949] 1942 Erstmalige Beschreibung eines „Sealings“ auf Acrylatbasis sowie erstmalige Beschreibung direkt im Mund erhärteter Kunststoff-Füllungen mit schnell polymerisierenden Versuchsprodukten der Firma Kulzer (noch vor Markteinführung entsprechender Präparate, die erst nach dem Zweiten Weltkrieg in den späten 1940er-Jahren erfolgte) Alfred Deppe, Zahnarzt [Deppe, 1942] 1949 Entwicklung eines Kunststoff-Sealers auf der Basis von Glycerophosphorsäure zur Erzielung eines Verbunds von Kunststoffen auf Acrylatbasis und Dentin auf vornehmlich chemischem Weg (vermarktet durch die Firma Amalgamated Dental Company/De Trey unter dem Namen Sevriton Cavity Seal; patentiert 1951) Oskar Hagger, Chemiker (zit. n. [McClean, 1996; Söderholm, 2007]) 1949 Entdeckung und Beschreibung der physikalischen Haftung dünner Acrylatkunststoff-Filme an Schmelz nach Säureätzung (mit Salpetersäure) Günter Staehle, Zahnarzt [Staehle, 1949] 1955 Klinische Überprüfung physikalischer Haftung dickerer Acrylatkunststoff-Proben an Schmelz nach Säureätzung (mit Phosphorsäure) Michael G. Buonocore, Chemiker/ Zahnarzt [Buonocore, 1955] Mitte 1950erJahre Weiterentwicklung von dentalen Kunststoff-Materialien als Ausgangspunkt für die spätere Herstellung praxistauglicher Komposit-Werkstoffe Rafael L. Bowen, Zahnarzt [Bowen, 1955; Bowen 1963] Tab. 2: Etappen zur Entwicklung und Anwendung adhäsiv verankerter Kunststoffe auf Acrylatbasis für zahnmedizinische Zwecke von 1935 bis 1955 (nähere Erläuterungen [Staehle und Sekundo, 2022])
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