Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 12

zm114 Nr. 12, 16.06.2024, (1062) 80 | ZAHNMEDIZIN So hat Schnebel unter anderem erstmals das Prinzip der Dualhärtung beschrieben – Kunststoffe auf Acrylatbasis können sowohl durch Zugabe chemischer Substanzen als auch durch UV-Licht polymerisiert werden. Zu den Pionierarbeiten Schnebels gehörte, durch die Zugabe von tertiären Aminen eine intraorale Autopolymerisation der Acrylatkunststoffe auszulösen. Für die Lichtpolymerisation konstruierte er ein mit Abschirmungen und speziellen Metallspiegeln versehenes UV-Lichtgerät. In Schnebels Patentschrift aus dem Jahr 1940 findet sich auch die Empfehlung, den Kunststoffen auf Acrylatbasis „harte Mineralstoffe“ hinzuzufügen, um deren Härte und „Abreibbeständigkeit“ zu erhöhen. International bekannt wurden Schnebels Forschungsergebnisse erst durch den sogenannten Blumenthal-Report aus dem Jahr 1947, einer Verlautbarung des Amtes der amerikanischen Militärregierung (Office of Military Government for Germany U. S.), der höchsten Verwaltungseinrichtung der amerikanischen Besatzungszone Deutschlands [Blumenthal, 1941]. Dieser Bericht mit dem Titel „Recent German Developments in the field of dental Resins (field information agency, technical united states group control council for Germany; abgekürzt F.I.A.T.)“ gibt Auskunft über die Entwicklung des selbsthärtenden Kunststoffs. Blumenthal wies in seinem Report darauf hin, dass die Herstellung des ersten selbsthärtenden (self-hardening) Acrylats (Palapont S. H.) auf die Entdeckung von Ernst Schnebel zurückgehe. Kurze Zeit nach Erscheinen des BlumenthalReports mit seinen Offenlegungen wurden zahlreiche solcher Produkte weltweit auf dem Markt angeboten, so zum Beispiel 1949 das Präparat „RapidPalodont“ durch die Degussa- und Heraeus-Tochterfirma Kulzer [Staehle und Sekundo, 2021, 2022]. Fazit Obwohl sich die Versuche von 1949 und 1955 in ihrer Zielsetzung und Vorgehensweise vollkommen unterschieden, führten sie letztlich zu demselben Ergebnis, nämlich dass eine Säureätzung von Zahnschmelz die Kunststoffhaftung verbessern kann. Im einen Fall (1949) war dieses Phänomen für den Forscher unerwünscht, da es seine Studien behinderte [Staehle, 1949], im anderen Fall (1955) war es für den Forscher höchst willkommen, da es die Option bot, seinen Zielen näher zu kommen [Buonocore, 1955]. EXKURS 1 WENN ZAHNMEDIZINISCHE TECHNOLOGIE AUF IDEOLOGIE TRIFFT Paladon diente vorwiegend als Prothesenkunststoff, um den bis dahin üblichen Import-Kautschuk auszutauschen. Die Herstellerfirma Kulzer hatte ihren Sitz seinerzeit in Frankfurt am Main. Im Juni 1938 gab Friedrich Schoenbeck, Leiter des chemisch-metallurgischen Laboratoriums und Professor am zahnärztlichen Universitätsinstitut in Berlin auf einer Tagung der Arbeitsgemeinschaften für Prothetik und Werkstoffkunde der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) einen Überblick zu dem Thema „Die Kunstharze als zahnärztliche Werkstoffe“. Dieser Beitrag wurde 1939 publiziert. Schoenbeck schrieb, Kunstharz erfülle insofern die „Forderung Generalfeldmarschall Görings, als wir es hier mit einem Werkstoff zu tun haben, der nicht nur im Wesentlichen die Eigenschaften besitzt, die der auszutauschende Stoff aufweist, sondern der ihn bei weitem übertrifft“ [Schoenbeck, 1939]. Zu dem Präparat Paladon gab er folgende Erklärung ab: „Ueber einen dieser Werkstoffe muß ich hier einige Worte sagen, nämlich über das Paladon. Das Paladon ist ein brauchbarer Stoff, da es aber von Juden hergestellt wird, ist es den Staatsinstituten verboten, dieses Paladon irgendwie klinisch zu verwenden, und mit Recht. Wir haben verschiedene Versuche unternommen, die Juden auszubooten, und die Reichsstelle, mit der wir zusammen arbeiten, ist von uns immer entsprechend unterrichtet worden. Es liegt aber so, daß wir bisher noch nicht mit einer rein arischen Firma rechnen können. Eine solche wird aber jetzt gebildet werden. Bis dies geschehen sein wird*), liegen die Dinge so, daß wir natürlich hier in unserem Kreise über das Paladon reden können, soviel wir wollen, daß wir uns aber in der Öffentlichkeit zurückhalten müssen“. Der Vermerk in der Fußnote *) lautete: „Die Schwierigkeiten sind jetzt behoben, der Verarbeitung des Paladon in der Praxis steht nichts mehr im Wege. (Der Herausgeber)“ [Schoenbeck, 1939]. Zwischenzeitlich waren die vier Kulzer-Inhaber, darunter drei Juden, zu einem Zwangsverkauf an die Firmen Degussa und Heraeus genötigt worden – die Firma war jetzt „arisiert“. Die Begleitumstände werden in der Arbeit von Staehle und Sekundo [Staehle und Sekundo, 2024] im Detail beschrieben. PD Dr. med. dent. Caroline Sekundo Poliklinik für Zahnerhaltungskunde der Klinik für Mund-, Zahn- und Kieferkrankheiten des Universitätsklinikums Heidelberg Im Neuenheimer Feld 400, 69120 Heidelberg Foto: privat Prof. em. Dr. Dr. Hans Jörg Staehle Poliklinik für Zahnerhaltungskunde der Klinik für Mund-, Zahn- und Kieferkrankheiten des Universitätsklinikums Heidelberg Im Neuenheimer Feld 400, 69120 Heidelberg Foto: Universitätsklinikum Heidelberg

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