Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 12

84 | GESELLSCHAFT Welche Rolle spielt das Tanzen in seinem beruflichen Alltag? „Tanzen vermittelt Körperbeherrschung, einen geschärften Sinn für Ergonomie und man lernt, seine Gestik, Mimik und Körpersprache den Bedürfnissen der jeweiligen Situation anzupassen. Körpersprache stellt ja eine fundamentale Ebene der Kommunikation dar – sowohl mit Patientinnen und Patienten als auch mit Kollegen.“ Die Fähigkeit, die Gefühlslage anderer zu deuten, sei nicht nur ein wichtiger Überlebensmechanismus, sondern auch die Grundlage für Interaktion und Zusammenarbeit – gerade wenn der Patient auf dem Stuhl den Mund geöffnet hat nicht mehr frei sprechen kann. „Kleine Zeichen sind für mich als Zahnarzt in dem Moment sehr wichtig, um den Patienten gut durch den Eingriff zu führen.“ „Patienten sind für die nonverbale Kommunikation besonders empfindsam, weil sie sich in der Praxis in einer Angst- oder Stresssituation befinden. Wenn wir als Zahnärzte die Körpersprache der Ruhe und Empathie beherrschen, während wir authentisch und objektiv bleiben, abseits von zeitlichem und wirtschaftlichem Druck, dann schaffen wir eine tiefere Ebene des Vertrauens zu unseren Patienten“, erklärt Iliev. Dasselbe gelte für Mitarbeiter und besonders auch für Führungskräfte. „Es schafft eine ganz andere Ebene der Zusammenarbeit, wenn die Mitarbeiter wissen, dass die Führungsperson Ruhe behalten und konstruktiv auf deren Bedürfnisse eingehen kann“, so Iliev, der seit vergangenem Jahr Partner der Karlsruher Praxis „Zahnheilkunde am Ochsentor“ ist. Die Perfektionierung kleinster Details bestimmt das Ergebnis Was für viele, die keine Erfahrung mit professioneller Tanzarbeit haben, oft verborgen bliebe, sei der mühselige Entstehungsprozess von einem Stück. „Häufig arbeitet man über eine Stunde für gerade einmal 30 bis 60 Sekunden Choreografie. Erst, wenn diese aufgebaut ist, kann man sie verfeinern und am Ausdruck und dem Zusammengehörigkeitsgefühl des Tanzteams arbeiten. Diese Arbeit erinnert mich an unsere tägliche als Zahnmediziner: Wie viele Tüten Plastikzähne sind im Kampf mit der Kronen- und Kavitätenpräparation gefallen, bis wir endlich mal ein Gefühl für den Bohrer entwickelt haben? Diese Einsicht beim Entstehungsprozess eines Tanzstücks hat mir sehr viel Wertschätzung dafür gebracht, wie viel Jahre wir als Zahnärzte dafür arbeiten, um in einer Stunde eine komplexe Füllung zu legen oder in 20 bis 30 Minuten vier Weisheitszähne zu entfernen“, erklärt er die Parallele. „Erst durch diesen mühevollen und zeitintensiven Lernprozess, das Experimentieren und diesen Perfektionismus können wir mit zügiger Geschwindigkeit und Vorhersagbarkeit unsere Patienten behandeln. Darauf sollten wir auch stolz sein!“, so Iliev. Das Mitwirken in den beiden Tanzstücken hat ihm ermöglicht, die Empfindsamkeit für die Personen gegenüber weiterzuentwickeln. Alle Beteiligten solcher Produktionen stünden unter einem hohen Druck. Gemeinsam ein Produkt zu kreieren, das anhand der subjektiven Wahrnehmung von hunderten und tausenden Unbekannten mit unterschiedlichen Hintergründen bewertet werde, sei auch für ihn eine mentale Herausforderung. „Im Unterschied zu unserer Arbeit, die nur von Kollegen anhand Leitlinien und Behandlungskonzepten, über Jahre und Jahrzehnte wissenschaftlich erprobt, beurteilt werden kann, wird die Arbeit von einer kunstschaffenden Person praktisch nur von Laien beurteilt.“ Auch die Arbeit im Tanztheater erfordere lange Einsatzzeiten, die deutlich über eine 40-Stunden-Arbeitswoche hinausgingen. Von den Tänzern fordern sie viel Aufmerksamkeit für den eigenen Körper ein, sagt der tanzende Zahnarzt. „Trotzdem – oder vielleicht genau deswegen – schafften es diese Menschen mit Sanftheit, Respekt und Fürsorge füreinander da zu sein, zusammen zu arbeiten, ohne die eigene Authentizität und Professionalität zu verlieren. Und das, obwohl sie zu bestimmten Zeitpunkten auch um Rollen konkurrieren.“ „Das war sehr beflügelnd für mich zu erleben. Trotz des hohen Strebens nach Perfektion, die wir Zahnärzte in uns tragen, sollte man die eigene Verletzlichkeit wahrnehmen können und die des Gegenübers respektieren.“ Tanzen sei dafür ein sehr gutes Training. LL zm114 Nr. 12, 16.06.2024, (1066) Geprobt haben professionelle Tänzer mit Laientänzern. Auf der Bühne standen dann die Laien allein. Begonnen hatten die Proben Anfang März, fünf- bis sechsmal die Woche nach der Arbeit – dafür muss man brennen. „Wenn wir unseren Blick speziell auf diese Ebene vom Tanz richten, wird direkt klar, dass Tanz eine enge Verbindung mit und zu unserem Körper voraussetzt, weil der Körper der Ort des Fragens, des Antwortens und des Weiterleitens an die beobachtende Person ist“, sagt Iliev. Fotos: Badisches Staatstheater / Arno Kohlem

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