Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 14

Es ist schon erstaunlich, wie wir Menschen Probleme verdrängen können, die sich eigentlich mit großem Vorlauf ankündigen. Besonders eindrucksvoll zeigt sich das bei der demografischen Lage. Es ist nun schon mehr als ein halbes Jahrhundert her, dass Deutschland den „Pillenknick“ so radikal wie kaum ein anderes Land umgesetzt hat. Seit dieser Zeit bekommen Frauen bei uns mit großer Konstanz nur noch 1,43 ± 0,14 Kinder. Das Wort „Konstanz“ bezieht sich dabei aber leider nicht auf den Bevölkerungsstand, weil Kinder, die in der Vergangenheit nicht geboren wurden, heute nicht Eltern sein können. Logisch, dass sich die Entwicklung der „Einheimischen“ damit in einem immer schnelleren Abwärtsstrudel befindet. Corona hat die Lage nicht verschärft, sondern nur offenkundig gemacht. Viele haben nämlich im Zeichen der anfänglichen Perspektivlosigkeit gerade in den Niedriglohn-Sektoren ihre Lebensplanung neu aufgesetzt und große Lücken hinterlassen. Aus der Vielzahl von demografischen Problemen, die nicht nur auf uns, sondern auf alle wohlhabenderen Länder zukommen, hatte sich die Bundeszahnärztekammer für ihre diesjährige Klausurtagung in Münster zwei besonders drängende Bereiche herausgegriffen. Mitarbeitende werden immer knapper Die 72.800 aktiven Zahnärztinnen und Zahnärzte in Deutschland beschäftigen im Durchschnitt 3,08 ZFAs, 0,44 Azubis, 0,21 Zahntechniker und 0,8 Personen mit einer anderen oder auch keiner Ausbildung. Diese hohe Beschäftigtenzahl wird kaum zu halten sein, denn der Personalmangel trifft alle Branchen und einfache Lösungen gibt es nicht. Jede Praxis wird ihre eigenen Wege gehen müssen: 1. Die Influencerinnen-Kampagne, die von der Zahnärztekammer Nordrhein konzipiert wurde und jetzt unter dem Dach der BZÄK fortgesetzt wird, ist erstaunlich erfolgreich. Bei vielen jungen Frauen konnte das Interesse für den Beruf der ZFA geweckt werden. Jetzt gilt es, diese Damen in den Praxen zu halten. 2. Qualifizierte Einwanderung ist eine große Chance, jedoch müssen wir aus Gründen der Fairness auf Länder mit intakter Demografie schauen. Keines davon liegt vor der Tür. Anders als andere Freie Berufe – Rechtsanwälte, Steuerberater – hat die Zahnmedizin den Vorteil, dass die Anforderungen an die Sprachkenntnisse für Einzelbereiche geringer sein können. Die Bundesregierung meint, Wege für die qualifizierte Einwanderung geebnet zu haben und sieht die Auslandshandelskammern als Ansprechpartner. Die Bundeszahnärztekammer und der Bundesverband der Freien Berufe analysieren gerade mögliche Konzepte, sprechen mit Agenturen und entwickeln einen „Code of conduct“. 3. Praxen können Mitarbeitende jedweder Vorbildung anlernen. Diese Personen dürfen dann nicht beim Röntgen unterstützen und keine delegierbaren Leistungen ausführen, für die hygienische Aufbereitung gibt es jedoch Qualifizierungskurse. 4. Die 2-Hand-Behandlung wird eine Renaissance erleben. Viele Kolleginnen und Kollegen filtern dazu schon heute ihre Patienten, so dass komplexere Behandlungen an bestimmten Tagen zusammengefasst werden. KI und Digitalisierung haben Potenzial, das aber bislang noch nicht über Insellösungen hinausreicht. Der Punkt, an dem es kippt Namhafte Ökonomen prognostizieren einen Kipp-Punkt für unsere Sozialsysteme. Schon Mitte des nächsten Jahrzehnts könnte es so weit sein, dass die Schmerzgrenze der Beitragszahler erreicht ist. Sie werden dann wohl keine Revolution starten, aber viele könnten mit den Füßen abstimmen – und das Land verlassen. Damit verlieren wir doppelt: Beiträge und Arbeitskraft. Jetzt gilt es, in den Gesundheitsberufen den Gesundheits- oder besser Präventions-„Wirkungsgrad“ deutlich zu erhöhen, und alles was keine direkten Beiträge leistet – Kontrolleure, Prüfer, Verwalter, Bedenkenträger, Gremien, Ausschüsse, Normensetzer – drastisch zurückzufahren. Klar, dass diejenigen, die dieses neue, aus der Not geborene „Vertrauen“ missbrauchen, hart bestraft werden müssen. Auch auf die Patienten kommen Veränderungen zu. Sie werden sich auf größere Eigenverantwortung einstellen müssen. Aber Eigenverantwortung ist sowieso der einzige Weg, auf dem Prävention funktioniert. Der Journalist Frank Schirrmacher hat einmal gesagt, dass unsere demografische Situation etwas ist, was es in der Menschheitsgeschichte so noch nie gegeben hat. Langsam begreifen wir, welche Pionierrolle da auf uns zukommt. Prof. Dr. Christoph Benz Präsident der Bundeszahnärztekammer Damoklesschwert Demografie 6 | LEITARTIKEL Foto: BZÄK/axentis.de

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