Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 15-16

10 | LESERFORUM zm114 Nr. 15-16, 16.08.2024, (1268) Erwiderung von Dr. Tomas Lang und Prof. Dr. Peter Gängler: Pulpaschutz durch biokompatible Produkte ist wissenschaftlich und klinisch unstrittig Lieber Herr Noack, vielen Dank für Ihren Leserbrief, der diese für die Praxis so bedeutungsvolle alltägliche Problematik in eine hoffentlich weiter klärende Diskussion führt. Ihr Vorwurf einer „Zeit- und Geldverschwendung“, hier auf Personen (Lang und Gängler) bezogen, trifft tatsächlich ins Leere, weil Sie mit der Ablehnung des Pulpaschutzes die ganze Kette der „DIN EN ISO 7405 Bewertung der Biokompatibilität von in der Zahnheilkunde verwendeten Medizinprodukten“ als „ungeeignet“ ablehnen. Das ist bitter aus mehreren Gründen: Erstens sind alle klinischen Dentalmaterialien mit Körperkontakt glücklicherweise Medizinprodukte, die allen europäischen, tatsächlich nahezu allen weltweiten Regularien der Medizinprodukte-Gesetzgebung (MPG) unterliegen. Zweitens hat gerade eben eine turnusmäßige Überprüfung der (provisorischen) prEN ISO 7405:2024 stattgefunden. Stellungnahmen konnten bis zum 15. Mai 2024 abgegeben werden, ohne dass von der Zahnmedizin, die in dem Gremium personell vertreten ist, Einsprüche vorgetragen wurden. Es gilt also jetzt in Deutschland die DIN EN ISO 7405:2024, ab 2025 in der EU als Ersatz für die DIN EN ISO 7405:2019-03. Ein wahrlich demokratischer Prozess! Drittens ist es besonders bitter, weil gerade Deutschland wegen einer aktiven Dentalindustrie universitäre Biokompatibilitäts-Prüfungszentren in Regensburg, Erfurt und Witten (dort zusammen mit der Max-Planck-Gesellschaft) entwickelt hat. Welche Expertise hier aufgebaut wurde, können Sie am Beitrag von Ohlsson und Schmalz zu den Methoden der Zytotoxizitätsmessung in der zm 13 sehr schön sehen. Was setzen wir nun klinisch bei der Füllungstherapie mit MPGSicherheit ein? Die Antwort ist eben unstrittig, weil simpel: Alles was nach ISO-Norm Gruppe Id Dentin-Barriere-Zytotoxizitätsprüfung und nachfolgend nach Gruppe III a) Pulpa- und DentinAnwendungsprüfung, b) Pulpaüberkappungsprüfung und c) endodontische Anwendungsprüfung getestet wurde. Das betrifft fast alle Composite-Materialien, alle Pulpaschutzzemente wie Phosphatzement und Glasionomerzement (immer nur als Zemente, also nicht lichthärtend!), das Calciumhydroxid auf der blutenden Pulpa und schließlich fast alle Wurzelfüllmaterialien. Schaut man in die aktuelle S3-Leitlinie „Direkte Kompositrestaurationen an bleibenden Zähnen im Front- und Seitenzahnbereich“ vom Januar 2024 hinein, gelten die Empfehlungen für die Schmelz-Ätz-Technik mit Bonding als sicher, das Bonding am Dentin als ungenügend geprüft, der Pulpaschutz wird nicht ausführlich diskutiert. Aber der Zahnarzt trägt die Verantwortung für die sichere Anwendung von Medizinprodukten! Übrigens: Sie behaupten vollkommen aus der Luft gegriffen, in unserer 29-Jahres Longitudinalkontrolle der Composite-Restaurationen mit Glasionomerzement Ketac Bond zum Pulpaschutz seien „reihenweise die Pulpen [der] Probanden abgestorben“. Ganz im Gegenteil haben wir diskutiert, dass die hervorragende Erhaltung der Restaurationen an vitalen Zähnen auf der eigenen Biokompatibilitätstestung von Ketac Bond [Beer et al., 1990] zur Abdeckung eröffneter vitaler Dentintubuli [Arnold et al., 2001] beruhte. Die jährliche Verlustrate betrug 1,92 Prozent bei vier Pulpitisfällen nach einer Woche bis vier Monaten von 194 Restaurationen. Und nach 29 Jahren waren nur sieben Fälle von sekundärer Karies befallen. Es ist damit die weltweit längste klinisch und elektronenmikroskopisch longitudinal kontrollierte Composite-Studie, die ein überzeugender Beweis für den sicheren Pulpaschutz ist [Montag et al., 2018]. Wir praktizieren aktuell in einer Übergangszeit mit anerkannt Insgesamt sind die Kolleginnen und Kollegen als Leser der Zahnärztlichen Mitteilungen offenbar besser informiert als manche Experten: Die Verkaufszahlen für Zemente als Unterfüllungsmaterialien gehen immer weiter in den Keller – zu Recht. Wenn für Sie eine Survivalstudie aussagekräftiger ist, bitte schön: In einem Praxisnetzwerk haben Nick Opdam und Kollegen Kompositfüllungen mit oder ohne GIZ-Unterfüllung nachuntersucht. Nach 18 Jahren konnten keine Vorteile für das zusätzliche Legen einer Unterfüllung ermittelt werden. Allerdings hat es mehr Aufwand und Materialverbrauch gekostet und die Patienten mussten eine längere Behandlungszeit ertragen. Als Student musste ich noch meine Phosphatzementunterfüllung finieren – das Politurtestat der UF war gerade abgeschafft worden. Eigentlich hat es zu lange gedauert, viele alte Bärte abzuschneiden, die keinen Nutzen nachweisen konnten. Mit kollegialen Grüßen Prof. Dr. em. Michael J. Noack Uniklinik Köln Literatur: Splieth CH, Banerjee A, Bottenberg P, Breschi L, Campus G, Ekstrand KR, et al.: How to Intervene in the Caries Process in Children: A Joint ORCA and EFCD Expert Delphi Consensus Statement. Caries Res. 2020;54(4):297-305. Schwendicke F, Splieth CH, Bottenberg P, Breschi L, Campus G, Domejean S, et al.: How to intervene in the caries process in adults: proximal and secondary caries? An EFCDORCA-DGZ expert Delphi consensus statement. Clin Oral Investig. 2020;24(9):3315-21. Paris S, Banerjee A, Bottenberg P, Breschi L, Campus G, Doméjean S, et al.: How to Intervene in the Caries Process in Older Adults: A Joint ORCA and EFCD Expert Delphi Consensus Statement. Caries Res. 2020;54(5-6):1-7. Van de Sande FH, Da Rosa Rodolpho PA, Basso GR, Patias R, da Rosa QF, Demarco FF, Opdam NJ, Cenci, MS.: 18-year survival of posterior composite resin restorations with and without glass ionomer cement as base. Dent Mater. 2015.

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