Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 15-16

24 | POLITIK zm114 Nr. 15-16, 16.08.2024, (1282) jährigen (Kasten). Abhilfe soll nach den Plänen der Labour-Regierung ein überwachtes Zahnputzprogramm für Drei- bis Fünfjährige in den am stärksten benachteiligten Gebieten Großbritanniens schaffen. Dieser bereits Ende 2023 unterbreitete Vorschlag wird von der British Society of Paediatric Dentistry (BSPD) explizit unterstützt. Er sieht vor, dass Kinder, die Schulen und Kindergärten in sozioökonomisch benachteiligten Gebieten besuchen, beaufsichtigtes Zähneputzen und einen Vorrat an Zahnbürsten und Zahnpasta zum Mitnehmen erhalten. Immerhin: Dieser Vorschlag geht über die zuletzt kommunizierten Anstrengungen der Vorgängerregierung hinaus. Deren Initiative „Smile4Life“ hatte zwar ähnliche Interventionen wie Sensibilisierungsmaßnahmen für Eltern in sozioökonomisch besonders benachteiligten Gebieten sowie eine Bündelung der bereits bestehenden Aktionen lokaler Behörden und Einrichtungen beinhaltet, aber offenbar (noch) nicht zielgerichtet gewirkt. Kommt das beaufsichtigte Zähneputzen für Kinder? Seit mehr als zehn Jahren fordert die BSPD beaufsichtigtes Zähneputzen für Kinder. Es gebe Studiendaten aus Schottland, die zeigen, dass die mit solchen Frühinterventionen erreichten Kinder langfristig kostengünstiger für den NHS sind, argumentiert die Fachgesellschaft. Außerdem könne die Maßnahme den Grundstein für ein „zahnärztliches Zuhause“ legen – also eine kontinuierliche und präventiv ausgerichtete Beziehung zu einem NHS-Zahnarzt. „Wir müssen anerkennen“, schreibt die BSPD weiter, „dass einige Kinder ohne eigenes Verschulden mehr Hilfe brauchen, um den mundgesunden Start ins Leben zu bekommen, den jedes Kind verdient.“ Dr. Charlotte Eckhardt, Dekanin der Fakultät für Zahnchirurgie am Royal College of Surgeons of England, begrüßt den stärkeren Fokus auf Prävention, der im Rettungsplan der Labour Party auszumachen ist. Die aktuelle Situation sei beschämend und ein klarer Indikator für die grassierende gesundheitliche Ungleichheit im Land, sagt sie. Die vergleichbar einfach umsetzbare Einrichtung von beaufsichtigtem Zähneputzen in der Schule hält sie für bestens geeignet, um die Mundgesundheit von Kindern direkt zu verbessern und indirekt Zahnputzroutinen zu Hause positiv zu beeinflussen. Darüber hinaus sieht Eckhardt dringenden Bedarf für ein neues Fluoridierungsprogramm, um gesundheitliche Ungleichheiten abzubauen. Die Gebiete mit den niedrigsten Raten an Kinderzahnextraktionen hätten Wasserfluoridierungsprogramme, argumentiert sie und zitierte aus einem Bericht des britischen Gesundheitsministeriums aus dem März 2022. Helfen würde auch ein neues Wasserfluoridierungskonzept Danach könnte durch eine Fluoridierung von 0,7 Milligramm pro Liter die Karieslast in wohlhabenden Gegenden um 17 Prozent und in den am stärksten benachteiligten Gebieten um 28 Prozent gesenkt werden. Die Zahl der kariesbedingten Hospitalisierungen würde den Berechnungen zufolge gleichzeitig um 45 bis 68 Prozent zurückgehen. Bis jetzt hat Labour-Gesundheitsminister Streeting das Thema nicht aufgegriffen. Einen besonderen Bezug zur Ungleichheit der Gesundheitsversorgung in Großbritannien hat er indes. Der 41-Jährige ist nach eigenen Angaben selbst in einem benachteiligten Gebiet Ost-Londons in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen. mg ARME KINDER HABEN MEHR ZAHNEXTRAKTIONEN UNTER VOLLNARKOSE In einer retrospektiven Kohortenstudie analysierten Forschende die elektronischen Gesundheitsakten von 608.278 Kindern im Alter von 5 bis 16 Jahren. Außerdem flossen in die Auswertung Daten zur Einkommensverteilung nach dem Income Deprivation Affecting Children Index (IDACI) ein, der London in Gebiete mit einer durchschnittlichen Bevölkerung von 1.500 Personen oder 650 Haushalten einteilt und den Anteil der Kinder unter 16 Jahren in Haushalten mit niedrigem Einkommen für diese Gebiete beschreibt. Von Interesse war das Vorhandensein von mindestens einer Zahnextraktion unter Vollnarkose (Dental extraction under general anaesthetic, kurz DGA), die als Indikator für schwere Karies und mangelnden Zugang zu zahnmedizinischer Versorgung gedeutet wurde. Ergebnisse: Insgesamt hatten 3.034 von 608.278 Kindern mindestens eine Zahnextraktion unter Vollnarkose, davon 5,5 Prozent mindestens zwei. Dies variierte je nach lokaler Verwaltungsregion, ethnischer Herkunft und Benachteiligung auf Gebietsebene stark. Kinder, die in Gebieten mit dem niedrigsten sozioökonomischen Status lebten, hatten im Mittel eine 3-mal höhere Wahrscheinlichkeit für eine solche DGA als Kinder aus Gebieten mit einem hohen Status. Im Extremfall – Kinder mit niedrigstem Status verglichen mit denen aus dem priviligiertesten Gebiet – vervierfachte sich die Wahrscheinlichkeit. Nicola Firman, Carol Dezateux, Vanessa Muirhead, „Inequalities in children’s tooth decay requiring dental extraction under general anaesthetic: a longitudinal study using linked electronic health records“, BMJ Public Health Jul 2024, 2 (1) e000622; DOI: 10.1136/bmjph-2023-000622 „Einige Kinder benötigen ohne eigenes Verschulden mehr Hilfe, um den Mundgesundheitsstart ins Leben zu bekommen, den jedes Kind verdient.“ British Society of Paediatric Dentistry

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