30 | ZAHNMEDIZIN mundspülungen täglich, und zwar mindestens während einer Zeitdauer von 75 Prozent des veranschlagten Drei-Monats-Intervalls. Rund die Hälfte der Teilnehmer benutzte bereits im Monat vor Beginn der Studie regelmäßig eine Mundspüllösung. Wann sie diese das letzte Mal vor der BaselineUntersuchung verwendeten, bleibt unbekannt, ebenso wie die verwendeten Präparate. Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Alpha-Diversität des oropharyngealen Mikrobioms nach dreimonatiger Anwendung von Listerine Cool Mint nicht signifikant unterschied, Unterschiede konnten in der Zusammensetzung des Mikrobioms im Vergleich zum Ausgangswert festgestellt werden. Zwei Arten opportunistischer Bakterien kamen nach dreimonatiger täglicher Anwendung der alkoholhaltigen Mundspülung häufiger am Oropharynx vor: Fusobacterium nucleatum (mediane F. nucleatum CLR transformierte Abundanz zu Studienbeginn 0,16 versus LCM 2,19, P = 0,003) und Streptococcus anginosus (mediane CLR-transformierte Abundanz zum Ausgangswert 0,24 gegenüber LCM 2,58, P = 0,004). Die Forschenden stellten auch einen Rückgang von Actinobacteria fest (mediane CLR-transformierte Abundanz bei Ausgangswert 3,82 gegenüber LCM 2,69, P = 0,005). Actinobacteria gehören zu den Nitratreduzierenden Bakterien und tragen zur Regulierung des Blutdrucks bei. Laumen et al. räumen allerdings ein, dass „die Häufigkeit nitratreduzierender Bakterien von individuellen Faktoren wie Alter, Geschlecht, Gesundheit und Lebensstil beeinflusst“ wird und deshalb mit Vorsicht interpretiert werden muss [2024]. Im Fall der erhöhten Anteile von S. anginosus und F. nucleatum weisen die Autoren aber auf eine mögliche Verbindung mit schweren Allgemeinerkrankungen hin: „Die Verwendung von Listerine […] steht mit einer erhöhten Abundanz häufiger opportunistischer Bakterien in der Mundhöhle in Verbindung […], von denen zuvor berichtet wurde, dass sie bei Parodontalerkrankungen, Speiseröhren- und Darmkrebs sowie systemischen Erkrankungen angereichert sind.“ Sie schlussfolgern daraus, „dass die regelmäßige Verwendung von Listerine-Mundwasser sorgfältig überdacht werden sollte“ [Laumen et al., 2024]. Die Schlussfolgerungen sind wissenschaftlich nicht haltbar Angesichts der methodischen Schwächen der Untersuchung und der eher schwach einzuschätzenden Validität und Reliabilität der erhobenen Daten ist diese Schlussfolgerung allerdings wissenschaftlich nicht haltbar. Dies wird in einer Fülle von Details deutlich. Wenn beispielsweise – wie von den Autoren angenommen – eine Assoziation von Alkohol und einer erhöhten Anzahl von S. anginosus und F. nucleatum besteht, ist es nicht nachvollziehbar, warum nicht erhozm114 Nr. 15-16, 16.08.2024, (1288) INTERVIEW MIT PROF. DR. NICOLE ARWEILER „Die Schlussfolgerungen überschreiten die Grenzen seriöser Wissenschaft“ Frau Prof. Arweiler, die belgische Studie hat in der Öffentlichkeit viel Aufmerksamkeit bekommen. Wie wird das unter Wissenschaftlern gesehen? Prof. Dr. Nicole Arweiler: Die letzten Wochen waren schon aufregend. Es haben sich viele Kolleginnen und Kollegen – darunter auch DHs und in der Prophylaxe Tätige – bei mir gemeldet und wollten meine Einschätzung zu der Studie hören. Alle waren einigermaßen verunsichert über den überaus freizügigen Umgang der Autoren mit Studienaufbau, Datenerhebung und speziell der Schlussfolgerung. Wenn wir ein solches Paper sehen, das ja in einem guten, sogenannten Peer-reviewed-Journal veröffentlicht ist, versuchen wir natürlich erst einmal, die Logik der Studienautoren nachzuvollziehen und mögliche Kritikpunkte daraufhin abzuklopfen, ob der Fehler nicht doch bei uns in der Rezeption liegt. Deshalb diskutieren wir das untereinander. Aber in diesem Fall ist die Sachlage sonnenklar. Die Schlussfolgerungen überschreiten die Grenzen seriöser Wissenschaft. Was ist Ihr wichtigster Kritikpunkt? Was zuvorderst auf der Hand liegt, ist die hochspezifisch zusammengesetzte Probandengruppe mit multiplen Vorerkrankungen und Medikationen. Da ist schon aus methodischen Gründen PROF. DR. NICOLE ARWEILER Prof. Dr. Nicole Arweiler ist Direktorin der Klinik für Parodontologie & peri-implantäre Erkrankungen der Philipps-Universität Marburg und Universitätsprofessorin für Parodontologie. Sie forscht zu den klinischen Wirkungen oraler Mikrobiome und auch zur Modifikation oraler Biofilme mit „probiotischen“ Bakterien. Ahrweiler hat zahlreiche klinische Studien zur Wirksamkeit von Mundhygieneprodukten wie Zahnpasten und Mundspüllösungen durchgeführt. Aktuell erreichen sie aufgrund der öffentlichen Berichterstattung viele Nachfragen zur Studie von Laumen et al. Wir haben sie um eine Einschätzung gebeten. Foto: Privat
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