12 | POLITIK letzten Jahren hat sich der Abstand zum Durchschnitt der acht Vergleichsländer vergrößert. Das wirkt sich den Wissenschaftlern zufolge wiederum negativ auf die Effizienz des Gesundheitswesens aus, weil gleichzeitig die kaufkraftbereinigten Gesundheitsausgaben pro Kopf im Ländervergleich überdurchschnittlich gestiegen sind. Die Erklärung dafür: Deutschland stellt vergleichsweise, gemessen an der Bevölkerungszahl, für viel Geld ein sehr großes Angebot an personeller und technischer Ausstattung zur Verfügung. Dazu gehören pflegerisches und ärztliches Personal oder auch Krankenhausbetten. Durch Überkapazitäten und finanzielle Anreize werden damit auch überdurchschnittlich viele Leistungen – etwa Operationen oder stationäre Behandlungen – erbracht. „Die Indikatoren zeigen, dass das deutsche Gesundheitssystem viele Leistungen erbringt, die in sich gemischte Ergebnisse erzielen, aber insgesamt nicht das leisten, was für die hohen Kosten zu erwarten wäre“, resümiert Studienleiter Prof. Dr. Reinhard Busse. "Das lässt darauf schließen, dass bei uns weniger oft besser wäre – also weniger diagnostische Verfahren, weniger Behandlungen beziehungsweise ressourcenschonendere ambulante statt stationärer Erbringung.“ Die Untersuchung benennt auch die Herausforderungen für das deutsche Gesundheitssystem: Eine große Hürde stellt demnach die Trennung zwischen ambulanter und stationärer Verzm114 Nr. 17, 01.09.2024, (1374) DEUTSCHLAND IM VERGLEICH Lebenserwartung: Die Lebenserwartung stieg in Deutschland von 78,3 Jahren im Jahr 2000 auf 81,3 Jahre 2019 (+ 2,7 Jahre). Mit der Pandemie ging sie auf 80,8 Jahre im Jahr 2021 zurück. Auch in allen acht Vergleichsländern ist die Lebenserwartung ausgehend vom Jahr 2000 kontinuierlich gestiegen. Während Deutschland zu Beginn des Betrachtungszeitraums noch nah am Durchschnitt der Vergleichsländer lag, hat sich der Abstand bis zum Jahr 2021 stetig vergrößert. Das verweist laut der Analyse auf einen hohen Handlungsbedarf, vor allem weil die zusätzlich gewonnenen Lebensjahre überwiegend in Krankheit verbracht werden. Krankheitslast: Mit Blick auf die „verlorenen gesunden Lebensjahre (DALY)" ist der Bedarf an Prävention und Versorgung in Deutschland in Relation zu den Vergleichsländern am größten. Mit 89,2 Prozent machen dort die nicht-übertragbaren Krankheiten im Jahr 2019 den größten Anteil aus. Die ischämische Herzkrankheit dominiert mit 9,1 Prozent, gefolgt von Rückenschmerzen (4,9 Prozent) und Lungenkrebs (4,1 Prozent). Auf Verletzungen entfallen 7,3 Prozent der DALYs. Die Anzahl der DALYs pro 100.000 Personen ist in den meisten Vergleichsländern seit 2000 weitestgehend rückläufig – nur in Deutschland stoppte dieser Trend um 2006. Seitdem ist wieder ein Anstieg zu beobachten. Das führt möglicherweise zu mehr Lebensjahren, die mit gesundheitlichen Einschränkungen verbracht werden. Wartezeit auf elektive Eingriffe: Im Jahr 2020 lag die durchschnittliche Wartezeit auf einen elektiven Eingriff in Deutschland bei 20,6 Tagen und ist somit halb so lang wie im Durchschnitt in den Vergleichsländern (49,9 Tage). Deutschland hat insgesamt die kürzesten Wartezeiten auf elektive Eingriffe und lag nur im Jahr 2016 hinter Frankreich und den Niederlanden. Krankenhausfallrate bei ambulant behandelbaren Erkrankungen, Beispiel Herzinsuffizienz: Deutschland steht an erster Stelle bei den stationären Herzinsuffizienzraten, sie sind mehr als doppelt so hoch wie im Vergleichsländerdurchschnitt, der auch bereits vor 2019 zurückging. Die Spanne der anderen Länder lag zuvor bei 100 bis zuletzt unter 200 pro 100.000, gegenüber 350 in Deutschland. Für einige Diagnosegruppen, wie beispielsweise Herzinsuffizienz, Bluthochdruck und Diabetes wurden in Deutschland vergleichsweise hohe Krankenhausfallraten beobachtet, die nicht allein durch die Altersstruktur der Bevölkerung bedingt sind. Eine gezielte Optimierung der ambulanten Versorgung bei diesen Erkrankungen könnte dazu beitragen, die Rate ambulant-sensitiver Krankenhausbehandlungen zu verringern, so die Untersuchung. Vermeidbare Sterblichkeit: Im internationalen Vergleich wies Deutschland 2020 die dritthöchste durch Prävention vermeidbare Sterblichkeit und die höchste durch Behandlung vermeidbare Sterblichkeit auf. Die Schweiz hat hier die niedrigsten Werte. In allen Vergleichsländern (außer Dänemarki) stieg im ersten Corona-Jahr 2020 die durch Prävention vermeidbare Sterblichkeit, am meisten in Belgien. Gesundheitsausgaben: Gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) hatte Deutschland im Jahr 2020 mit 12,8 Prozent die höchsten laufenden Gesundheitsausgaben der Vergleichsländer (Durchschnitt: 11,5 Prozent). Bei den Kaufkraftparitäten (KKP) waren es mit 4.831 KKP die zweithöchsten nach der Schweiz (4.997 KKP; Durchschnitt: 4.134 KKP). Im zeitlichen Verlauf seit 2010 sind in Deutschland neben der Schweiz ist der Teil der laufenden Gesundheitsausgaben am BIP am stärksten angestiegen. Im Unterschied dazu war die Entwicklung zwischen 2012 und 2019 in den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich negativ, im Durchschnitt der Vergleichsländer stagnierte der Gesundheitskostenanteil am BIP. Arztkontakte: Deutschland weist deutlich mehr Arztkontakte (mit einem Arzt in einer Praxis oder Krankenhausambulanz) pro Kopf und Jahr auf als die Vergleichsländer. Während bei uns rund zehn Arztkontakte pro Kopf im Jahr 2020 stattfanden, hatten die Schweden nur rund zwei. Der Durchschnitt der Vergleichsländer liegt bei rund fünf Arztkontakten. Krankenhausfälle: Im Vergleich mit den Nachbarländern hatte Deutschland im Jahr 2020 die meisten Krankenhausfälle (21.860) pro 100.000 Einwohner. Über die Jahre hatte nur Österreich eine höhere Fallzahl. Der Durchschnitt der Vergleichsländer betrug 14.668 Krankenhausfälle pro 100.000 Einwohner. Deutschland liegt damit fast 50 Prozent darüber.
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