10 | POLITIK zm114 Nr. 18, 16.09.2024, (1476) FORSCHUNG UND GESUNDHEIT IN GROẞBRITANNIEN Der Brexit hat sich nicht ausgezahlt Nach wie vor wirkt sich der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union negativ auf die Gesundheitsversorgung im Land aus. Zudem gibt es Hinweise, dass das Land nach dem Brexit unattraktiver für Top-Forscherinnen und -Forscher geworden ist. Im Februar 2024 erschien im britischen Magazin „The Lancet“ eine Bilanz mit dem Titel „Brexit und Gesundheit: vier Jahre später“. Darin erinnern die beiden Autoren Jessamy Bagenal und Martin McKeedaran zunächst daran, wie der britische National Health Service (NHS) im Jahr 2016 von der „Vote Leave“-Kampagne als zentrales Argument für den Brexit instrumentalisiert wurde. „Wir schicken der EU 350 Millionen Pfund pro Woche. Lassen Sie uns stattdessen unseren NHS finanzieren“, habe es damals geheißen. Ein Blick auf die Entwicklung seitdem bringt Bagenal und McKeedaran jedoch zu diesem Fazit: „Die Schäden für die Gesundheit und die Wirtschaft im Vereinigten Königreich häufen sich seit dem Brexit kontinuierlich an.“ Dabei räumen die Verfasser durchaus ein, dass die Frage, ob der Brexit dem National Health Service (NHS) geholfen oder geschadet hat, gar nicht so leicht zu beantworten ist. Es sei sehr kompliziert zu quantifizieren, wie viel Schaden der Austritt der Gesundheitsversorgung verursacht habe. Schließlich hätten danach neben der Corona-Pandemie auch Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine sowie immer wieder unterbrochene globale Lieferketten ihre Auswirkungen gehabt. Und: Zur Wahrheit gehört für Bagenal und Mckeedran auch, dass sich der Gesundheitszustand der Bevölkerung, gemessen am Indikator Lebenserwartung, aufgrund von staatlichen Sparmaßnahmen schon seit den frühen 2010er-Jahren verschlechtert hat. In diesem Zusammenhang weisen die Autoren jedoch auf einen erwiesenen Nachteil hin, der mit dem Brexit einhergegangen sei, nämlich den Verlust von finanziellen Mitteln unter anderem aus dem EU-Strukturfonds, die Investitionen in die Gesundheitsversorgung ermöglicht hätten. Ein Indikator für den Abwärtstrend bei der Gesundheitsversorgung ist für die Autoren auch die dramatische Zunahme bei der Zahl der Menschen, die auf eine NHSKrankenhausbehandlung warten: Diese lag im Oktober 2023 bei 7,71 Millionen – und damit doppelt so hoch wie am Tag vor dem EU-Mitgliedschaftsreferendum im Juni 2016. Viele zahnmedizinische Fachkräfte bleiben weg Amoffenkundigsten seien die Auswirkungen des Brexit bei der Personalsituation im NHS. „Seit 2016 ist die Zahl der medizinischen Fachkräfte, die aus der EU kommen, um im NHS zu arbeiten, drastisch gesunken. Von September 2016 bis September 2021 sank beispielsweise die Zahl der im Europäischen Wirtschaftsraum ausgebildeten und im Vereinigten Königreich registrierten Krankenschwestern und -pfleger um 28 Prozent“, heißt es in dem Artikel. Nur durch den Anstieg Getrennte Wege: Seit Januar 2020 ist das EU-Austrittsabkommen Großbritanniens in Kraft. Die ohnehin angespannte Lage im NHS hat sich seitdem verschärft. Auch für Forschende scheint das Land weniger interessant geworden zu sein. Foto: Markus Mainka - stock.adobe.com
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