PRAXIS | 19 respektiert. Werden Sie in Ihrer Expertenrolle der Behandlerin infrage gestellt, müssen Sie daher gut abwägen, ob das Gegenüber selbst über genug Know-how verfügt, um ein fachlich wertvolles Feedback zu geben – oder ob hier gerade Ihre Führungsrolle als Chef angegriffen wird. Je nach Situation ist ein Dank angemessen (berechtigtes Expertenfeedback) oder eine klare Grenzsetzung erforderlich (Angriff auf die Führungsrolle der Chefin). Neben äußeren kann es auch zu inneren Konflikten kommen Wie es sich anfühlt, gleichzeitig Teammitglied und Fachexperte zu sein, wissen Sie aus der Assistenzzeit. Viele Niedergelassene haben allerdings noch keine Vorerfahrung mit der Rolle als wirtschaftlich verantwortliche Führungskraft. Als wirtschaftlich verantwortliche Praxisleitung (Praxisinhaber und Chef) braucht es den umfassenden, wirtschaftlichen und planerischen Blick, der dauerhaft Stabilität und Zukunft der gesamten Praxis sichert. Diese Rolle erfordert die Bereitschaft, Entscheidungen im Sinne des gesamten Praxissystems zu treffen – auch wenn einzelne Teammitglieder dadurch manchmal Nachteile in Kauf nehmen müssen. Das bedeutet, immer wieder aushalten zu müssen, dass Teammitglieder potenziell unzufrieden mit der Chefin sind. Dafür ist immer wieder eine gewisse menschliche Distanz erforderlich, um fair und mit gutem Augenmaß in Konfliktsituationen Entscheidungen im Sinne der gesamten Praxis zu treffen. Zwischen diesen Rollen kann es zu inneren Konflikten kommen. Diese sind meist umso intensiver, je weniger man sich seiner verschiedenen Rollen bewusst ist. Derartige innere Konflikte äußern sich zum Beispiel durch Unzufriedenheit, Ärger, Unmut, Enttäuschung oder auch durch ein „schlechtes Gewissen“, oft ohne, dass man den Grund dafür wirklich versteht. Beispiel 1: Regina Friedmann hat die Praxis übernommen, in der sie auch ihre Assistenzzeit absolviert hat. Sie hatte in der Assistenzzeit ein sehr freundschaftliches Verhältnis zu drei der sieben Mitarbeitenden aufgebaut, die ihr am Anfang auch oft geholfen hatten. Sie war völlig überzeugt, dass sich dieses Verhältnis auch nach dem Abschied der alten deutlich „strengeren“ Chefin nicht ändern würde. Jetzt ist sie irritiert und enttäuscht, weil es jetzt immer mal wieder vorkommt, dass die Mitarbeitenden offensichtlich das Thema wechseln, wenn sie den Sozialraum betritt. Sie findet es auch schwierig, dass eine der drei Mitarbeitenden – Anke Engel – öfter mit Bemerkungen wie „Du weißt doch, wie das bei mir ist!“ Sonderwünsche anmeldet und hat Probleme, diese dann abzulehnen. Sie ist enttäuscht, als Engel ihr einmal vorwirft: „Seit du die Chefin bist, hast du dich echt ganz schön verändert.“ Als Teammitglied wünscht man sich, völlig zum Team dazuzugehören und sich im Team so wie alle anderen verhalten zu können. In der Rolle eines „normalen Teammitglieds“ ist es völlig in Ordnung, zu einzelnen Personen einen besseren Draht zu haben und mit denen auch enger im Kontakt zu sein. In dieser Rolle fällt es vielen Menschen schwer, Zurückweisungen durch reduzierte Kommunikation oder Vorwürfe auszuhalten. Gewährt man jedoch als Chefin einzelnen Teammitgliedern regelmäßig und spürbar mehr Zuwendung und Wertschätzung, führt das automatisch zu Unzufriedenheit und negativen Emotionen. Das fühlt sich für die anderen Teammitglieder unfair an und zieht auf längere Sicht Unfrieden im gesamten Team nach sich. Es hilft deshalb, sich bewusst zu machen, dass man als Chef kein derartiges, normales Teammitglied mehr sein kann, sondern dass in der Gruppe immer die Rolle als Gestalter des Praxissystems mitgesehen wird. Es gehört auch zur Führungsrolle dazu, damit umzugehen, dass einzelne Teammitglieder phasenweise ärgerlich oder unzufrieden mit einer Entscheidung sind und das auch zeigen. Es ist nützlich, die Aufmerksamkeit und Zuwendung der Chefin für einzelne Teammitglieder als Ressource zu betrachten, die nur in einer bestimmten Menge überhaupt zur Verfügung steht. Wichtig ist es hierbei im Hinterkopf zu haben, dass die eigene Stuhlassistenzen automatisch relativ viel von dieser Ressource bekommen, während ZMPs und Mitarbeitende in Verwaltung und Rezeption im Alltag davon oft deutlich weniger erhalten. Dafür einen Blick zu haben und die Wertschätzung allen gegenüber bewusst und gerecht auszudrücken, hilft zwischenmenschliche Konflikte zu reduzieren. Bestimmte Entscheidungen kommen von Ihnen als Chef Sowohl für die Kommunikation im Team als auch für die eigene Rollenklarheit kann es hilfreich sein, derartige erforderliche Entscheidungen als Chefentscheidung anzukündigen, zum Beispiel mit Worten wie „Als Chef bin ich verantwortlich für uns alle und für die gesamte Praxis. Aus dieser Sicht habe ich entschieden, dass [...]“. Auf diese Weise mache ich mir meine Rolle bewusst, aus der ich jetzt entscheizm114 Nr. 18, 16.09.2024, (1485)
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