TITEL | 37 dass die Informationen, die Patienten im Rahmen der Einverständniserklärung über mögliche Nebenwirkungen erhalten, das Risiko für Nebenwirkungen erhöhen.“ Auch in anderen Publikationen waren die Nebenwirkungen der Placebo-Gruppe spezifisch für das in der Studie verabreichte Medikament. Somit erhielt die PlaceboGruppe die gleiche Aufklärung wie die Gruppe, die schließlich den aktiven Wirkstoff einnahm. Die berichteten Nebenwirkungen der Placebo-Gruppe passten also zu den zuvor erhaltenen Informationen über mögliche unerwünschte Arzneimittelwirkungen. „Von Bedeutung für die klinische Praxis ist, dass ein großer Teil der Nebenwirkungen nach der Verabreichung eines pharmakologischen Wirkstoffs ebenfalls durch unspezifische Faktoren und nicht durch die aktive(n) Arzneimittelkomponente(n) verursacht werden kann“, bilanzieren die Forschenden. Das könnte bedeuten, dass ein erheblicher Teil unerwünschter Arzneimittelwirkungen von Analgetika nach einer M3-Operation nicht zwangsläufig auf den pharmakologischen Wirkstoff zurückzuführen sein muss, sondern auch ein NoceboEffekt infrage kommt. Aufgrund der Beobachtung, dass der Anteil der Nebenwirkungen in den Placebo- und in den Analgetika-Gruppen nahezu gleich ist, schließen die Autoren, „dass nicht-pharmakologische, unspezifische Faktoren in der Zahnmedizin eine relativ große Rolle spielen könnten". Eine Limitation der Studie ist, dass auch die zahnmedizinische Behandlung (Entfernung der Weisheitszähne) und die damit einhergehenden Beschwerden sich mit den Nebenwirkungen vermischt beziehungsweise diese beeinflusst haben könnten. Die Forschenden regen an, Strategien zur Abschwächung des Nocebo-Effekts in der Zahnmedizin zu etablieren. Aktuell werden mehrere Strategien erforscht, unter anderem die Aufklärung der Patienten über einen möglichen Nocebo-Effekt sowie die Lenkung der Behandlungserwartungen. nl Die Studie: Watanabe T, Sieg M, Lunde SJ, Persson M, Taneja P, Baad-Hansen L, Pigg M, Vase L: Nocebo response in dentistry: A systematic review and meta-analysis of adverse events in analgesic trials of third molar removal. J Oral Rehabil. 2023 Apr;50(4):332-342. doi: 10.1111/joor.13414. Jan 24. PMID: 36648379. zm114 Nr. 18, 16.09.2024, (1503) KOMMENTAR VON ZM-REDAKTEURIN DR. NIKOLA LIPPE ENTSCHEIDEND IST DIE RICHTIGE KOMMUNIKATION Ein Nocebo-Effekt kann durch mögliche negative Erwartungen in Bezug auf Nebenwirkungen von Medikamenten oder Effekte von Behandlungen entstehen. Das bedeutet, dass die Aufklärung über Behandlungsrisiken und mögliche unerwünschte Arzneimittelwirkungen den Nocebo-Effekt auslösen kann. Im Umkehrschluss würde die Vermutung naheliegen, dass die Verabreichung eines Medikaments ohne das Wissen des Patienten das Auftreten des Nocebo-Effekts verhindern könnte, ebenso wie eine unvollständige Aufklärung. Abgesehen von ethischen Einwänden gegen dieses Vorgehen ist aber eine Medikamentengabe oder Behandlung ohne das Wissen des Patienten weniger wirksam: „Die geringere Wirksamkeit verdeckter Behandlungen ist einer der besten Belege für die entscheidende Rolle der Erwartung“ [Benedetti, 2013]. So konnten Studienergebnisse zeigen, dass bei einer Weisheitszahn-Extraktion die versteckte Gabe von Morphin ähnlich (geringe) Effekte hatte wie die Gabe eines Placebos [Levine et al., 1981]. Wie soll man aber als Zahnärztin oder Zahnarzt mit dem Nocebo-Effekt umgehen? Hier ist eine einfühlsame Kommunikation gefragt, um die (negativen sowie positiven) Erwartungen der Patientinnen und Patienten zu steuern. Wie diese aussehen könnte, erklärt Prof. Dr. med. Ernil Hansen, Anästhesist und Hypnoseforscher, im Interview auf der folgenden Seite. ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden. Die häufigsten unerwünschten Ereignisse in der Placebo-Gruppe Übelkeit, Erbrechen Kopfschmerzen Schwindel Schläfrigkeit Hitzewallungen, Fieber, erhöhte Temperatur Müdigkeit, Abgeschlagenheit Magenschmerzen, Diarrhöe Tachykardie Schlaflosigkeit Schüttelfrost 266 172 71 27 13 9 7 4 3 3 Patienten, die ein Placebo erhielten, verspürten mindestens genauso häufig unerwünschte Wirkungen wie Patienten, die einen aktiven Wirkstoff einnahmen. (Quelle: Watanabe et al., 2023)
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