Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 18

38 | TITEL INTERVIEW MIT ERNIL HANSEN ZUM NOCEBO-EFFEKT IN DER ZAHNMEDIZIN „Sie sollten Ihre Worte sorgfältig wählen“ Ob eine Behandlung die gewünschte Wirkung erzielt, hängt nicht allein davon ab, ob sie korrekt durchgeführt wurde. Auch die Erwartungen des Patienten – positiv oder negativ – sind entscheidend für den Behandlungserfolg und die Patientenzufriedenheit. Prof. Dr. Dr. Ernil Hansen erklärt, wie Erwartungen mit dem Nocebo-Effekt zusammenhängen, was Suggestion und Trance damit zu tun haben und wie man als Zahnärztin oder Zahnarzt den Nocebo-Effekt neutralisieren und den Placebo-Effekt nutzen kann. Prof. Hansen, wie würden Sie den NoceboEffekt allgemein erklären? Prof. Dr. Dr. Ernil Hansen: Als NoceboEffekt bezeichnet man die negativen Auswirkungen von negativen Erwartungen, die den Behandlungserfolg oder die Gesundheit des Patienten beeinträchtigen können. Somit könnte man den Nocebo-Effekt als negativen Bruder des – besser bekannten – Placebo-Effektsbezeichnen. Mit Erwartungen kann man die Heilung nicht nur fördern, sondern auch stören. Dabei spielen Konditionierungen durch eigene frühere Erlebnisse, die negative Erwartungen auslösen, eine Rolle. Diese negativen Erwartungen können auch durch den Zahnarzt, die ZFA, die Gesellschaft, Medien, die Familie oder andere Patienten geschürt werden (observational learning). So kann man etwa bei Kindern Angst vorm Zahnarzt beobachten, wenn sie ihn zum ersten Mal in ihrem Leben besuchen. Es ist mir allerdings wichtig zu betonen, dass nicht alles Negative durch den Nocebo-Effekt erklärt werden kann, sondern vieles auch durch Negativsuggestionen – ein Beispiel dafür wäre der Hinweis des Zahnarztes an den Patienten: „Machen Sie sich keine SORGEN!“ Dasselbe gilt für non-verbale Signale: Stellen Sie sich vor, Sie liegen auf dem Zahnarztstuhl und schauen an die Decke. Dort sehen Sie nichts als einen Rauchmelder, eine grelle Lampe und eine Lüftungsklappe. In einer Studie haben wir festgestellt, dass dieser Anblick negative Auswirkungen auf den Patienten hat – es schwächt ihn. Wenn man hingegen schöne Poster an die Decke hängt, ist das eine positive Suggestion. Beides hat allerdings nichts mit Erwartungen zu tun und sollte deshalb nicht mit dem Nocebo-Effekt verwechselt werden. Und noch etwas muss ich im Zusammenhang mit dem Nocebo-Effekt erwähnen: Patienten in Not, also in Extremsituationen, die durch Schmerz und Stress hervorgerufen werden, können in eine spontane Trance gehen. Die Trance ist eine Art Notfallprogramm des Menschen. In Trance geht man in bestimmten Akutsituationen, in denen der Verstand nicht mehr weiterkommt. Es ist möglich, in diesem Zustand einzelne Körperteile zu dissoziieren und damit schmerzfrei zu sein. Man kann einen Trancezustand regelmäßig bei Patienten auf dem Zahnarztstuhl beobachten. Das kann sich zum Beispiel dadurch bemerkbar machen, dass sich ein erwachsener Mann auf dem Behandlungsstuhl wie ein kleiner Junge benimmt (Altersregression). Oder das gestreckte Bein hebt sich in starrer Körperhaltung von der Liege ab (Katalepsie). Auch ein Flattern der Augenlider gehört zu den Trance-Zeichen. In Trance sind nun zwei Charakteristika ganz entscheidend: Das eine ist die fokussierte Aufmerksamkeit, das heißt, die Patienten sind, selbst wenn sie die Augen geschlossen haben, aufmerksamer denn je – und beziehen alles auf sich. Und das zweite ist, dass Suggestionen dann stärker als sonst wirken – positive wie negative. Wenn ich Ihnen etwa sage, ich muss nachher noch einkaufen gehen und werde auch Zitronen kaufen, dann ist bei Ihnen beim Wort Zitrone jetzt etwas mehr Speichel geflossen. Aber wenn Sie sich in Trance befinden und ich spreche über Zitronen, dann fließt der Speichel viel stärker, weil die Suggestionen stärker wirken. Das ist wichtig, gerade in Bezug auf Nocebo, weil auch die Negativeinflüsse in Trance viel stärker wirken, ebenso wie die positiven. Trance ist ein wichtiges Thema. Würde ich jetzt nur über Nocebo, also Erwartungen sprechen, dann wären wir ganz rational. Aber dabei verpasst man, dass noch viel mehr den Patienten belastet oder ihm helfen könnte. Dem Zahnarzt sollte klar sein, dass der Patient sich in einer besonderen Situation befindet, in der er alles mithört, Dinge leicht auf sich bezieht und das Gesagte viel stärker wirkt als sonst. Wodurch kann der Nocebo-Effekt zum Beispiel ausgelöst werden? Eine der stärksten Quellen für den Nocebo-Effekt ist die medizinische Risikoaufklärung. Schmerzen, Schwellung, Nachbluten: Wenn ich Risiken gesagt bekomme, dann steigt die Erwartung, dass diese eintreten, was natürlich eigentlich nicht der Sinn der Sache ist. Also der Nocebo-Effekt entsteht durch die Nennung von starken Negativworten. Welche Rolle spielt der Nocebo-Effekt Ihrer Meinung nach in der Zahnmedizin? Können Sie ein Beispiel nennen? In einer Studie haben Zahnärzte Patienten Lachgas verabreicht und erklärt, dass dies „die Empfindlichkeit erhöht“. Beobachtet werden konnte, dass Lachgas als „sensibilisierendes Medikament“ nicht mehr analgetisch wirkte. Dies ist einer der vielen Belege dafür, dass Erwartungen die pharmakologische Wirkung abschwächen, zunichtemachen und sogar umdrehen können. Ein weiteres aktuelles Beispiel sind die Corona-Impfstoffe. Im Zuge der Zulassungen wurden die Impfstoffe jeweils über 30.000 Probanden verabreicht – zm114 Nr. 18, 16.09.2024, (1504)

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