ZAHNÄRZTLICHE MITTEILUNGEN | WWW.ZM-ONLINE.DE Ukrainische Ärzte und Zahnärzte Sie wollen arbeiten, dürfen aber nicht: Wieso die Anerkennung der Approbation in Deutschland so kompliziert ist. SEITE 32 Das Tübinger Behandlungskonzept Wir stellen die KFO-Therapie von Babys mit kraniofazialen Anomalien vor, die direkt nach der Geburt startet. SEITE 74 Das will der Weltzahnärzteverband! Auf der Tagung in Istanbul ging es um den Einsatz von KI und die Frage, wer Zahnbehandlungen durchführen darf. SEITE 12 AUSGABE 19 | 2024 zm 30.09.2024, Nr. 19 SILBERDIAMINFLUORID AgFH6N2 – der Zauberlack
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EDITORIAL | 3 Der lange Weg in die Versorgung toren ausführlich die Möglichkeiten und Grenzen des „Zauberlacks“ bei der Kariesbehandlung, bei der Reduktion von Überempfindlichkeiten und als Alternative zu herkömmlichen restaurativen Behandlungen dar. Außerdem stellen wir in dieser Ausgabe das Tübinger Konzept zur kieferorthopädischen Therapie von Säuglingen mit kraniofazialen Anomalien wie Lippen-Kiefer-GaumenSpalten, Trisomie 21 und Robin-Sequenz vor. Das Besondere dabei ist der digitale Workflow. Darüber hinaus berichten wir in diesem Heft vom World Dental Congress 2024, der Anfang September in Instanbul stattfand. Im Mittelpunkt standen dabei der Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Zahnmedizin und der zu hohe Zuckerkonsum von Kindern. Viel Spaß bei der Lektüre Sascha Rudat Chefredakteur In dieser Ausgabe berichten über unter anderem über ukrainische Zahnärzte und Ärzte und ihren langen Weg bis zur Approbation. Dass diese Qualifikation und Berufszulassung ein hohes Gut ist, wird niemand anzweifeln. Die hohen Standards unserer Heilberufe sind zurecht etwas, auf das man mit Stolz blicken kann. Aber dass es nach Antragstellung bis zu drei Jahre dauert, bis Heilberufler aus Drittstaaten ihre Approbation in den Händen halten, ist schwer verständlich. Uns sollte daran gelegen sein, hochqualifizierte Menschen, die langfristig in Deutschland leben und arbeiten möchten, möglichst schnell – unter Wahrung unserer Qualitätsstandards – den Weg ins Berufsleben zu ebnen. Denn einerseits hat Arbeit eine große sinnstiftende Funktion und ist erforderlich, um sich und seine Familie ernähren zu können, andererseits brauchen wir mit Blick auf die bevorstehende Überalterung der Ärzte- und Zahnärzteschaft dringend Fachkräfte in der Versorgung. Neben zahlreichen anderen bürokratischen Hindernissen ist es vor allem die Prüfung der einzureichenden Unterlagen, die den Prozess verzögert. Einerseits ist es für die Antragsteller häufig schwer, die geforderten Unterlagen zu beschaffen, besonders wenn sie aus einer Krisenregion wie der Ukraine oder Syrien geflohen sind. Andererseits ist die Überprüfung äußerst aufwendig. Und auch das ist kein Geheimnis: Papier ist geduldig. Ob die bescheinigten Kenntnisse wirklich vorhanden sind, ist nicht selten fraglich. Ärztliche und zahnärztliche Standesvertretungen wie die Bundeszahnärztekammer plädieren deshalb schon länger dafür, neben dem Nachweis der notwendigen Sprachkenntnisse primär auf eine fachliche Kenntnisprüfung zu setzen. Eine aktuelle Bundesratsinitiative zur Beschleunigung der Anerkennungsverfahren geht in dieselbe Richtung. Diese Reform der Anerkennungsverfahren sollte im Sinne aller Beteiligten dringend vorangetrieben werden. Um den Weg in die deutsche Versorgung zu finden, setzen Gruppen ausländischer Zahnärztinnen und Zahnärzte auch verstärkt auf gegenseitige Unterstützung. Sehr schön zu sehen war dies bei der kürzlich in Berlin abgehaltenen 3. Jahreskonferenz arabischer Zahnärzte in Deutschland. Hervorgegangen ist diese Veranstaltung aus einer inzwischen rund 20.000 (!) Personen umfassenden Facebook-Gruppe. Darin hatten sich arabische Zahnärztinnen und Zahnärzte zusammengefunden, um sich gegenseitig beim Start ins deutsche Berufsleben zu unterstützen. Wir haben mit einem der Organisatoren der Konferenz, dem Oralchirurgen Dr. Muhammad Shehadeh, über deutsche Bürokratie, Wege der Integration und das aktuelle politische Klima gesprochen. In unserer zahnmedizinischen Titelgeschichte beschäftigen wir uns diesmal mit dem Einsatz von Silberdiaminfluorid bei bestimmten Patientengruppen, vor allem Kindern. In diesem Übersichtsartikel stellen unsere Autorinnen und AuFoto: Lopata/axentis
4 | INHALT 42 Rituelle Zahnentfernung im alten Taiwan Warum in einzelnen Stammesgemeinschaften die oberen Schneide- und Eckzähne herausgerissen wurden. 52 Behandlung von Zahndurchbruchsstörungen Palatinale Mini-Implantat-Insertion mit CAD/CAM-gefertigter Bohrschablone MEINUNG 3 Editorial 6 Leitartikel 8 Leserforum POLITIK 12 World Dental Congress 2024 in Istanbul Das fordert der Weltzahnärzteverband! 28 Fachgespräch im Ernährungsausschuss „Energydrinks sind eine Art Einstiegsdroge“ 32 Anerkennung ukrainischer Ärztinnen und Ärzte Einfach zu viel Bürokratie! 36 Ausländische Berufsabschlüsse in Deutschland 14 Prozent aller Anerkennungen entfallen auf Ärzte 38 Geflüchtete Zahnärztinnen und Zahnärzte aus der Ukraine Angekommen in Deutschland. Und jetzt? 70 IW-Studie kommt für 2023 auf Rekordsumme Lohnfortzahlung kostete Arbeitgeber über 76 Milliarden Euro ZAHNMEDIZIN 40 DGZMK/APW-Jahreskongress 2024 Wenn wissenschaftliche Empfehlungen auf die Versorgungsrealität treffen 46 Aus der Wissenschaft Was ist besser für die direkte Überkappung: PRP und PRF oder MTA? 52 Behandlung von Zahndurchbruchsstörungen Palatinale Mini-Implantat-Insertion mittels CAD/CAM-gefertigter Bohrschablone 74 Das Tübinger Konzept mit digitalem Workflow Kieferorthopädische Therapie von Säuglingen mit kraniofazialen Anomalien TITELSTORY 18 Silberdiaminfluorid in der Kinderzahnheilkunde Ein vielseitig einsetzbarer „Zauberlack“ PRAXIS 16 Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen PSI-Verfahren ist kein regelhaftes Screening Inhalt zm114 Nr. 19, 01.10.2024, (1570)
INHALT | 5 70 76 Milliarden Euro Die Arbeitgeberaufwendungen für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall haben sich binnen 14 Jahren nominal mehr als verdoppelt. 49 Landesarbeitsgericht MecklenburgVorpommern „Allgemeine Krankheitsanfälligkeit“ ist als Kündigungsgrund zulässig 62 Auch Arbeitgeber können profitieren Worauf ist beim Sabbatical zu achten? 72 Bayerisches LSG zum Eigenanteil notwendiger Zahnbehandlungen Jobcenter müssen PKV-Bürgergeldempfänger zu Wechsel zum Basistarif raten MEDIZIN 68 Luftproben in Japan Krankheitserreger fliegen bis zu 2.000 Kilometer weit! 82 Rauchen in der Schwangerschaft Schon 1 bis 2 Zigaretten pro Tag schaden dem ungeborenen Kind GESELLSCHAFT 30 Orales Pad entwickelt „Einmal Zubeißen mit den Zähnen ist wie ein Mausklick“ 42 Studie der Australian National University Rituelle Zahnentfernung im alten Taiwan 50 Studie zur Digitalisierung von wissenschaftlichen Zeitschriften Darum verschwinden Millionen Forschungsarbeiten aus dem Internet 64 Interview mit Dr. Muhammad Shehadeh „Dieses Treffen ist mehr als bloße Wissensvermittlung!“ MARKT 86 Neuheiten RUBRIKEN 10 Ein Bild und seine Geschichte 59 Formular 60 Termine 84 Bekanntmachungen 85 Impressum 102 Zu guter Letzt Titelfoto: Ilhamdh – stock.adobe.com, zm – generiert mit JSmol zm114 Nr. 19, 01.10.2024, (1571) Foto: Butch – stock.adobe.com TITELSTORY 18 Silberdiaminfluorid – der Zauberlack Unbestritten ist die Wirksamkeit von SDF bei der Arretierung von (frühkindlicher) Karies oder als nichtinvasive Alternative zu herkömmlichen restaurativen Behandlungen. Darüber hinaus ist es ebenfalls wertvoll gegen Dentinüberempfindlichkeit bei Senioren.
Im Juli konnte an dieser Stelle über die „Münsteraner Erklärung“ der Bundeszahnärztekammer (BZÄK) berichtet werden. Sie war aus der diesjährigen Vorstandsklausur in Münster heraus entstanden und beschäftigt sich mit den Herausforderungen, die die demografische Entwicklung in Deutschland für die Zahnmedizin bedeutet. Sie baut auf der letztjährigen „Warnemünder Erklärung“ auf. Ein Punkt dabei ist der zunehmende Personalmangel, den jede Praxis kennt, zum anderen der massive Druck auf unsere Sozialsysteme durch die schwindende Zahl der berufstätigen Beitragszahler. Will man Leistungskürzungen vermeiden, kann dies für die Medizin nur bedeuten, dass die Eigenverantwortung der Patienten deutlich steigen muss – unterstützt zum Beispiel durch private Versicherungen. Mit ähnlichem Hintergrund wie die „Münsteraner Erklärung“ der BZÄK hat die Bundesärztekammer nun ein großes Panel von Gesundheitsberufen – natürlich auch die Zahnmedizin – zu einem „Bündnis Gesundheit“ zusammengerufen. Dieses Bündnis repräsentiert immerhin vier Millionen Beschäftigte im Gesundheitswesen. Aus intensiven Diskussionsrunden heraus ist ein Thesenpapier entstanden, das sich als eindringlicher Appell an den Bundeskanzler und die politischen Schlüsselressorts richtet. Am 18. September wurde das Papier der Öffentlichkeit vorgestellt. Den Einstieg bildet die bekannte und dennoch immer wieder bedrückende Prognose, dass Deutschland „auf eine demografische Krise zu[steuert], die bereits in den nächsten drei bis fünf Jahren zu tiefen Einschnitten des Leistungsniveaus führen“ könnte. So werde „der demografische Wandel […] durch einen Anstieg der Krankheitslast und einen dramatischen Verlust an Arbeitskraft zu großen Herausforderungen für die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung führen“. Für die notwendigen finanziellen Mittel könnten „die nachkommenden Generationen nicht allein aufkommen“. Was will das Bündnis Gesundheit nun vom Kanzler? Fünf Kernthemen lassen sich identifizieren: 1. Versorgung: Die ambulante Versorgung muss bei der Politik die gleiche Priorität haben wie die Krankenhäuser. Nur so kann eine wohnortnahe, flächendeckende und qualitativ hochwertige Versorgung mit gleichwertigen Lebensverhältnissen in Stadt und Land gewährleistet werden. Der Vorbeugung von Krankheiten kommt dabei die zentrale Rolle zu. 2. Finanzierung: Leistungsträger bleiben nur im System, wenn sie auskömmlich finanziert sind und nicht regelmäßig am Rand ihrer Belastungsgrenze arbeiten. Das (zahn) ärztliche Engagement darf nicht an Budgetgrenzen scheitern, Steuern auf krankmachende Genussmittel müssen direkt in die Patientenversorgung fließen und versicherungsfremde Leistungen gehören nicht in die Sozialversicherung. 3. Praxischeck: Nur die Gesundheitsberufe können beurteilen, ob neue Ideen in der Realität funktionieren. Deshalb müssen sie in die Entscheidungsgremien des Gesundheitswesens und in die Konzeption von Reformvorhaben eingebunden werden. Projekte der Digitalisierung sind nur sinnvoll, wenn sie patienten- und mitarbeiterorientiert gestaltet werden. Überbordende Bürokratisierung vernichtet Zeit und Motivation. 4. Personal: Kampagnen zur Gewinnung von Auszubildenden und Fachkräften in allen Versorgungsbereichen sind notwendig. Damit allein sind aber die demografischen Herausforderungen nicht zu bewältigen. Dafür braucht es dann auch die Zuwanderung und Integration von ausländischen Mitarbeitenden. 5. Investoren: Die Kommerzialisierung im Gesundheitswesen muss beendet werden. Dazu braucht es klare Regeln für Aktivitäten von PrivateEquity im Gesundheits- und Pflegewesen. Ein hoher Kommerzialisierungsdruck führt überdies zu anhaltender Frustration des Gesundheitspersonals und befördert den Ausstieg aus der Versorgung. Das Bündnis Gesundheit ist eine Allianz, in der sich vier Millionen Beschäftigte (Arbeitgeber und Arbeitnehmer) im Gesundheitswesen mit einer Stimme äußern, wie unser Gesundheitssystem den dramatischen Herausforderungen begegnen muss. Aber nicht an allem ist der Kanzler Schuld: Ohne den Willen zur Niederlassung in der kleinen Struktur kann die demografische Transformation nicht gelingen. Das gilt für den ärztlichen Beruf genauso wie für uns! Prof. Dr. Christoph Benz Präsident der Bundeszahnärztekammer Starkes Signal der Gesundheitsberufe Foto: Georg Johannes Lopata – axentis.de 6 | LEITARTIKEL
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zm114 Nr. 19, 01.10.2024, (1574) Leserforum Jedes Mal, wenn ich die Süßwarenregale eines beliebigen Supermarktes passiere, steigt maßloser Ärger in mir empor. In aufdringlicher Weise sind Erzeugnisse mit der Aufschrift „Kinderschokolade, Kinderbonbons, Milchschnitte“ etc. platziert. Somit wird unbedarften Eltern suggeriert, dass sie für ihre Sprösslinge kindgerechte und diätetisch unbedenkliche Naschereien kaufen können. Tatsächlich enthalten diese Produkte 25 bis 43 Prozent Zucker, was bis zu 14 Stück Würfelzucker pro 100 g-Packung entspricht. Aber was soll man von Eltern erwarten, die ihr Frühstücksbrötchen fingerdick mit Nutella belegen? Sogar Hotels der Oberklasse offerieren zum Frühstück Nutella aus bombastischen Spendern. Dr. Karl-Ingo Steinbach Bonn ZUCKER Maßloser Ärger über vermeintlich kindgerechte Naschereien Zum Beitrag „foodwatch-Marktstudie: 86 Prozent der Kinder-Getränke sind überzuckert“, zm 18/2024, S. 64–65. Die zm-Redaktion ist frei in der Annahme von Leserbriefen und behält sich sinnwahrende Kürzungen vor. Außerdem behalten wir uns vor, Leserbriefe auch in der digitalen Ausgabe der zm und bei www.zm-online.de zu veröffentlichen. Bitte geben Sie immer Ihren vollen Namen und Ihre Adresse an und senden Sie Ihren Leserbrief an leserbriefe@zm-online.de oder an die Redaktion: Zahnärztliche Mitteilungen, Chausseestr. 13, 10115 Berlin. Anonyme Leserbriefe werden nicht veröffentlicht. Foto: ©Federico Rostagno - stock.adobe.com
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EIN BILD UND SEINE GESCHICHTE zm114 Nr. 19, 01.10.2024, (1576) 10 | GESELLSCHAFT Was Panagiotis Gionis – Spitzname „Gio“ – auszeichnet, ist beständige Leistung auf Topniveau. 2024 in Paris nahm der griechische Tischtennisprofi bereits an seinen sechsten (sic!) Olympischen Spielen teil. Auch wenn es nicht zu einer Medaille reichte, kann der 44-Jährige gut von seinem Sport leben. Früher praktizierte der Zahnarzt noch parallel in der Athener Praxis einer Tante, doch damit ist dem Vernehmen nach Schluss. Um das Gelernte nicht ganz zu vergessen, übe er lediglich „ab und zu an Verwandten und Freunden“, scherzte er neulich gegenüber dem griechischen Onlinemedium Kathimerini. Ob „Gio“ künftig vielleicht stundenweise auch in Deutschland an guten Freunden praktiziert, ließ er offen. Denn als Sportler gönnt er sich regelmäßige Stippvisiten. So spielt die ehemalige Nr. 19 der Welt (aktuell 69), die Deutscher Meister mit Borussia Düsseldorf wurde, ab Herbst nicht nur für den griechischen Traditionsverein Panathinaikos Athlitikos Omilos, sondern gleichzeitig auch beim deutschen Regionalligisten TTC Oggersheim. Gionis ist ganz klar ein Ausnahmespieler, und es sei „ein Wahnsinn“, dass er zugesagt hat, kommentiert der Oggersheimer Mannschaftsführer. „Klar, er wird nur selten spielen, da er ja noch im Ausland aktiv ist und an zahlreichen Turnieren weltweit teilnimmt.“ Aber wenn er bei den Heimspielen im größten Ludwigshafener Stadtteil aufschlägt, werde das „ein Highlight für den TTC Oggersheim und alle Zuschauer“. Also los, feuern Sie Ihren Kollegen doch mal an! Gio spielt in der Grundschule „In der Langgewann“ am 12. Oktober ab 18 Uhr gegen Niklashausen und am 13. Oktober um 14 Uhr gegen Illtal. mg Foto: picture alliance / REUTERS, Dennis – stock.adobe.com
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12 | POLITIK zm114 Nr. 19, 01.10.2024, (1578) WORLD DENTAL CONGRESS 2024 IN ISTANBUL Das fordert der Weltzahnärzteverband! Wie steht die Zahnmedizin zum Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI)? Sollten Zahntechnikerinnen und Zahntechniker zahnmedizinische Behandlungen durchführen dürfen? Und wie kann es gelingen, den Zuckerkonsum von Kindern zu senken? Antworten darauf gab der Weltzahnärzteverband FDI auf seinem Jahreskongress 2024 in Istanbul. Insgesamt stimmten die Delegierten der FDI-Generalversammlung in diesem Jahr über acht „Policy Statements“ ab. Alle wurden mit großer Mehrheit angenommen. Dazu gehörte auch eine Stellungnahme, die sich mit den Aufgaben von Zahntechnikerinnen und Zahntechnikern befasst. Zentraler Punkt: Die FDI spricht sich gegen jegliche Art von Diagnose und Behandlung durch Zahntechnikerinnen und Zahntechniker ohne vorherige zahnärztliche Aufforderung aus. „Die medizinische Verantwortung liegt weiterhin beim Zahnarzt, sofern das nationale Recht nichts Anderes vorsieht“, stellt der Weltverband fest. KI-Anwendungen nutzen (und kritisch hinterfragen) Ebenfalls verabschiedet wurde ein umfassendes Policy Statement zur KI in der Zahnmedizin. Patientinnen und Patienten, heißt es in der Beschlussvorlage, könnten durch den Einsatz von KI zukünftig von einer besseren Diagnostik und Planung der Behandlung profitieren. Die Technologie verspricht aus Sicht der FDI zudem Vorteile für das zahnmedizinische Fachpersonal, zum Beispiel durch Effizienzgewinne und eine höhere Diagnose- und Behandlungsqualität. Dafür seien jedoch einige Voraussetzungen zu erfüllen, führt die FDI in ihrer Stellungnahme aus. So sollten dentale KI-Anwendungen auf qualitativ hochwertigen Daten beruhen. „Um Zugriff auf Qualitätsdaten zu erhalten, müssen Datenschutz und Datenverfügbarkeit in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen und die Harmonisierung und Austauschbarkeit der Daten gestärkt werden“, fordert der Weltverband. Außerdem sollten ethische und soziale Aspekte sowie Transparenz stärker in den Mittelpunkt rücken. Um zu verhindern, dass die KI Ungleichheiten verstärkt, müssen aus Sicht der FDI die der KI zugrundeliegenden Trainingsdaten alle – auch unterrepräsentierte – Bevölkerungsgruppen umfassen. Das Policy Statement zum Thema KI ist auch als Appell der FDI an die dentale Fachwelt zu verstehen, sich KI-Grundkenntnisse anzueignen. Entsprechende Tools sollten als Assistenzsysteme ausprobiert werden – unter gleichzeitiger Absicherung gegen ein sogenanntes Automatisierungs-Bias. Das heißt: „Die Verantwortung für jede einzelne Diagnose und Behandlung, die von einem KI-Assistenzsystem vorgeschlagen wird, verbleibt bei den menschlichen Nutzern.“ Artikel 25 der UN-Konvention strikt umsetzen! Weltweit lebten über eine Milliarde Menschen, die „in irgendeiner Form von einer Behinderung betroffensind“, schreibt die FDI in ihrem Policy Statement zur Mundgesundheit und zahnmedizinischen Versorgung von Special-Care-Patienten. Deren Zahl Etwa 200 nationale zahnmedizinische Foto: Alexander - stock.adobe.com
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14 | POLITIK nehme weltweit zu, unter anderem aufgrund der höheren Lebenserwartung von Kindern mit Behinderung sowie der alternden Bevölkerung. Besonders Menschen mit Behinderungen, erinnert der Weltverband, seien stärker von Oralerkrankungen betroffen und deren Leben damit zusätzlich erschwert: „Die FDI fordert daher die strikte Umsetzung des Artikels 25 der Konvention der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und unterstützt die entsprechenden Leitprinzipien und Empfehlungen.“ In diesem Sinne plädiert der Weltverband für eine nationale Mundgesundheitspolitik, die Special-Care-Bedürfnisse berücksichtigt und Zugangsbarrieren beseitigt. So müssten die erforderliche Ausstattung zur Verfügung gestellt und die interprofessionelle Zusammenarbeit mit anderen Gesundheitsfachkräften gefördert werden. Entscheidend seien zudem Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen für Gesundheitsfachkräfte, die Kenntnisse im Bereich der Mundgesundheit vermitteln. Auch im zahnmedizinischen Grundstudium sollten sich entsprechende Inhalte wiederfinden. Außerdem schlägt die FDI in dem in Istanbul verabschiedeten Policy Statement vor: „Menschen mit Behinderungen sollten als Partner bei der Gestaltung und Evaluierung von Gesundheitsdienstleistungen und -informationen beteiligt werden und auf diese Weise sicherstellen, dass diese Leistungen ihren Anforderungen und Bedürfnissen entsprechen.“ Runter mit dem Zuckerkonsum, rauf mit der Prävention Um den Konsum von Zucker zu reduzieren, verabschiedete die FDI-Generalversammlung ein Policy Statement, das die Umsetzung der WHO-Leitlinie für die Verringerung der Zuckeraufnahme von fünf Prozent „durch eine internationale, nationale und lokale Lebensmittelpolitik“ fordert. Jugendliche, Kinder und Säuglinge sollten aus Sicht des Weltverbands sogar deutlich weniger Zucker aufnehmen als die von der WHO vorgeschlagenen 25 Gramm pro Tag. Außerdem ruft die FDI Regierungen auf, die Steuern auf gezuckerte Getränke zu erhöhen, um „Verbraucher auf diese Weise vom Kauf abzuhalten“. Zu diesem Zweck wäre auch der Aufdruck eines Nutri-Score auf Lebensmittelverpackungen wichtig. In einer weiteren Stellungnahme fordert die FDI mehr Engagement gegen frühkindliche Karies (ECC). So sollten Vorsorgeuntersuchungen und Impfprogramme für Säuglinge und Kleinkinder genutzt werden, um Eltern und Betreuungspersonen über Mundgesundheit und ECC zu informieren und präventive Maßnahmen umzusetzen. Eine weitere Voraussetzung wäre, Gesundheitsfachkräfte weltweit noch stärker für das Thema frühkindliche Karies zu sensibilisieren. Die ERO traf sich zur Herbsttagung Auf dem Weltkongress kam auch die „European Regional Organization“ (ERO) der FDI zusammen. Deutschland wird in der ERO unter anderem von Abgesandten der Bundeszahnärztekammer sowie der Zahnärztekammern vertreten. In Istanbul verabschiedeten die europäischen Regionalorganisationen ein Positionspapier zur Telezahnmedizin und Telekonsultation. Es stellt Chancen und Herausforderungen im Zusammenhang mit dieser Behandlungsform vor und legt fest, welche technischen und rechtlichen Rahmenbedingungen erfüllt sein müssen. Besonders betont wird darin die Aufklärung der Patientinnen und Patienten darüber, was im Rahmen einer Telekonsultation möglich ist und welche Limitationen bestehen. sth Alle acht Policy Statements werden auf der FDI-Website fdiworlddental.org und im International Dental Journal veröffentlicht. zm114 Nr. 19, 01.10.2024, (1580) Teile der deutschen Delegation in Istanbul unter der Leitung von Stefanie Tiede (Mitte): Stephan Allroggen, Dr. Ralf Wagner, Dr. Michael Diercks, Dr. Doris Seiz, Konstantin von Laffert, Prof. Dr. Falk Schwendicke, Dr. Michael Sereny und Roxana Dürsch (v.l.n.r.). Foto: KONGO UND DER LIBANON GEHÖREN JETZT ZUR FDI Auch diese Beschlüsse fassten die Delegierten der FDI-Generalversammlung: n Prof. Dr. Falk Schwendicke, Direktor der Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie am LMU Klinikum München, wurde im ersten Wahlgang für das Science Committee für eine zweite Amtszeit bestätigt. Insgesamt besteht das wissenschaftliche Gremium der FDI aus drei Mitgliedern. n Neuer Sprecher der FDI-Generalversammlung ist Dr. Stephen Liew aus Australien. n Die zahnärztlichen Verbände aus der Republik Kongo und dem Libanon wurden als reguläre Mitglieder in die FDI aufgenommen.
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16 | PRAXIS zm114 Nr. 19, 01.10.2024, (1582) LANDESSOZIALGERICHT NORDRHEIN-WESTFALEN PSI-Verfahren ist kein regelhaftes Screening Hinter der Gebührennummer 04 BEMA steht die „Erhebung Parodontaler Screening-Index“ (PSI). Dabei handelt es sich aber nicht um ein „Screening“, das für alle Patienten vorgesehen ist. Ein Fachzahnarzt für Parodontologie darf insbesondere bei Zielüberweisungen den Index nicht abseits des Überweisungsauftrags erheben, stellte das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen in Essen in einem kürzlich veröffentlichten Urteil klar. Es wies damit einen Fachzahnarzt für Parodontologie und für Oralchirurgie aus Westfalen ab. Er war schon mehrfach auf die Gebührennummer 04 geprüft worden. Zuletzt wurden für die Quartale 1/2015 bis 4/2016 Überschreitungen bis zum 14-Fachen der Vergleichsgruppe der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen festgestellt. 50 bis 60 Prozent dieser Gruppe würden diese Gebührennummer gar nicht abrechnen. Der Überweisungsauftrag ist bindend Wegen seiner Spezialisierung auf Parodontologie gestanden die Prüfgremien dem Fachzahnarzt eine Überschreitung zu – die Prüfungsstelle bis zum Vierfachen, der Berufungsausschuss dann bis zum Dreifachen der Vergleichsgruppe. Daraus ergab sich eine Rückforderung von zuletzt gut 7.000 Euro. Mit seiner Klage wandte sich der Fachzahnarzt gegen die Vergleichsgruppe und argumentierte, der hohe Anteil der Kolleginnen und Kollegen, die die Gebührennummer 04 wenig oder gar nicht abrechnen, zeige nur, dass sie das Screening nicht in gebotenem Umfang durchführten. Dadurch werde der Vergleichswert verzerrt. Für Zahnärzte, die das PSI-Verfahren „gewissenhaft“ durchführen, müsse es daher erheblich höhere Toleranzgrenzen geben. Wie schon das Sozialgericht Münster wies nun jedoch auch das LSG Essen die Klage ab. Es betonte zunächst, dass angesichts der Prüfungen bereits für frühere Zeiträume eine „Beratung“ nicht mehr notwendig war. So hätten sich die Parteien bereits für die Quartale 1/2010 bis 4/2011 auf eine Zahlung von 19.000 Euro geeinigt, davon 7.410 Euro für die Gebührennummer. Auch die herangezogene Vergleichsgruppe sei nicht zu beanstanden, und den Praxisbesonderheiten sei ausreichend Rechnung getragen worden. Hier habe der Fachzahnarzt das PSIVerfahren „regelhaft“ eingesetzt, auch bei Patienten, die mit Zielauftrag an die Praxis überwiesen wurden. Solche „Erhebungen des PSI-Codes als ScreeningUntersuchung“ stünden bei diesen Patienten aber „in keinem nachvollziehbaren und wirtschaftlichen Zusammenhang mit den Überweisungen“. An diese Überweisungsaufträge seien Zahnärzte aber gebunden. Anders als im Bundesmantelvertrag für die Ärzte gebe es im BMV-Z zwar keine entsprechende ausdrückliche Regelung. Die Bindung an eine Überweisung ergebe sich aber auch aus der Berufsordnung, hier der Zahnärztekammer WestfalenLippe. Dem Argument, dass es sich bei dem PSI-Verfahren um ein möglichst flächendeckendes Screening handele, folgte das LSG schon daher nicht. Der Kläger habe aber auch nicht dargelegt, warum im jeweiligen Einzelfall ein PSI erforderlich war. Martin Wortmann LSG Nordrhein-Westfalen Az.: L 11 KA 36/20 Urteil vom 10. April 2024 Zur Früherkennung parodontaler Erkrankungen wird der Parodontale Screening-Index (PSI) erhoben. Foto: Christoph Hähnel - stock.adobe.com
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18 | TITEL SILBERDIAMINFLUORID IN DER KINDERZAHNHEILKUNDE Ein vielseitig einsetzbarer „Zauberlack“ Ruth Santamaría, Mhd Said Mourad, Christian Splieth, Nour Al-Aqaileh, Julian Schmoeckel Die Wirksamkeit von Silberdiaminfluorid (SDF) bei verschiedenen Patientengruppen wird durch aktuelle Studien auf internationaler Ebene solide belegt. Besonders wertvoll ist SDF bei der Arretierung von (frühkindlicher) Karies, der Reduktion von Überempfindlichkeiten und auch als nicht-invasive Alternative beziehungsweise Ergänzung zu herkömmlichen restaurativen Behandlungen. Auch bei Erwachsenen, insbesondere Senioren, wird SDF zur Behandlung von Wurzelkaries und bei Dentinüberempfindlichkeit verwendet. Nichtinvasive und minimalinvasive Techniken haben in den vergangenen Jahren dank eines besseren Verständnisses der Kariespathologie und -prävention sowie Fortschritten bei den Dentalmaterialien stark an Bedeutung gewonnen. Diese modernen Ansätze ermöglichen es gerade in der Kinderzahnheilkunde, traditionelle restaurative Verfahren hinauszuzögern oder gar ganz zu vermeiden. Dies ist insbesondere wichtig, wenn man die verhältnismäßig hohen Misserfolgsraten von Füllungen im Milchgebiss in Deutschland berücksichtigt [Pötter et al., 2024]. Einsatzmöglichkeiten von Silberdiaminfluorid Die konventionelle restaurative Behandlung kann bei Kleinkindern, Kindern mit hohem Kariesbefall oder mit besonderen Behandlungsbedürfnissen herausfordernd sein und ist oft nicht erfolgreich [Santamaría et al., 2020; BaniHani et al., 2022; Duggal et al., 2022]. Zur Bewältigung dieser Problematik werden häufig weitergehende Formen des Verhaltensmanagements in Kombination mit Sedierung und/oder sogar die Vollnarkose eingesetzt, welche die Risiken und Kosten für den Patienten und das Gesundheitssystem erheblich erhöhen. Bei älteren beispielsweise pflegebedürftigen Patienten treten häufig ähnliche Probleme auf, da unbehandelte Karies die Lebensqualität stark beeinträchtigen kann und die Schwierigkeiten bei der zahnmedizinischen Versorgung durch Mobilitätseinschränkungen und andere gesundheitFoto: Santamaría zm114 Nr. 19, 01.10.2024, (1584) Abb. 1: a) Großflächig kariöse Milchmolaren eines fünfjährigen Jungen ohne Beschwerden, die auf eine irreversible Pulpitis hindeuten, vor der Applikation von Riva Star®. b) Die okklusale Ansicht der Milchmolaren einen Monat nach SDF-Applikation (rechts) zeigt eine deutliche Inaktivierung der Dentinläsionen. Foto: Mourad a b
TITEL | 19 liche Komorbiditäten noch verstärkt werden [Chan et al., 2022]. Weltweit hat die Anwendung von SDF in der zahnmedizinischen Forschung und in der täglichen klinischen Praxis in den letzten Jahren an Popularität gewonnen. Silber ist in der (Zahn-)Medizin nicht neu; es wird aufgrund seiner starken antimikrobiellen Eigenschaften seit Langem verwendet. „Silbernitratimprägnierung“ von Karies wird einigen (älteren) Lesern vielleicht auch ein Begriff sein. Schon seit den 1960er Jahren haben Studien in Japan gezeigt, dass SDF, das aus 38 Prozent Silber und einer hohen Fluoridkonzentration (44.800 ppm) besteht, vielfältige Anwendungsmöglichkeiten bietet [Hu et al., 2018; Horst, 2018]: Kariesprävention und -behandlung SDF ist besonders wirksam bei der Behandlung von Kariesläsionen (Abbildung 1). Bei der Anwendung auf kariösem Zahnhartgewebe dringen die Silberionen in die bakteriellen Zellwände ein, stören die bakterielle DNA-Synthese und den Stoffwechsel, und führen so zum Zelltod. Zusätzlich stabilisieren die Silberionen die kariösen Läsionen, indem sie die Dentinkanälchen blockieren (Abbildung 2) [Crystal, and Niederman, 2019]. Die Anwendung von SDF hat sich weltweit bewährt [Seifo et al., 2019]. Eine retrospektive Studie untersuchte die Wirksamkeit und Akzeptanz von SDF bei pädiatrischen Patienten an der Poliklinik für Kinderzahnheilkunde, der Universitätsmedizin Greifswald [Abdulrahim et al., 2023]. Daten von 93 Patienten (Durchschnittsalter 5,3 Jahre) mit 455 behandelten Zähnen wurden bis zu 24 Monate nachbeobachtet. SDF wurde hauptsächlich zur Behandlung von Karies (98,2 Prozent) und zur Linderung von Überempfindlichkeiten (1,8 Prozent) eingesetzt. Die Erfolgsrate lag bei 84,2 Prozent. Die Akzeptanz bei den Eltern war hoch; jedoch bemerkten 80 Prozent Verfärbungen, weshalb die Zufriedenheit bei den Seitenzähnen höher war (95,2 Prozent) als bei den Frontzähnen (36,4 Prozent; p< 0.001). Die Zahnärzte waren ebenfalls zufrieden, da 85 Prozent die Anwendung als einfach empfanden. Weitere Studien haben gezeigt, dass SDF nicht nur aktive Kariesläsionen arretiert, sondern auch präventive Effekte hat [Mei et al., 2018]. Die Weltgesundheitsorganisation hat SDF 2021 in die Liste der essenziellen Arzneimittel für die zm114 Nr. 19, 01.10.2024, (1585) Abb. 2: a) Vertikaler Querschnitt des Zahnes 46 unter dem Stereomikroskop mit Digitalkamera bei achtfacher Vergrößerung, der das Eindringen von SDF in die kariöse Läsion zeigt. b) Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme des Eindringens von Silber in das Dentin bei einer 250-fachen Vergrößerung: Die weißen Pfeile zeigen die Silberpartikel an, die sich auf den Dentintubuli abgelagert haben. Foto: Al-Aqaileh/Santamaría Abb. 3: Verfärbung an der Haut durch Kontakt mit der farblosen SDF-Lösung: a) fünf Minuten nach der Anwendung, b) zwei Stunden nach der Anwendung und c) zwei Tage nach der Anwendung. Foto: Mourad a b a c b ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden.
20 | TITEL Behandlung von kariösen Läsionen aufgenommen [World Health Organization, 2021]. So ist im Manual der WHO: „Ending childhood dental caries“ SDF bereits als Therapieverfahren aufgeführt [WHO, 2020]. Es ist zu beachten, dass SDF die (Mundschleim-)Haut und die Gingiva vorübergehend verfärben kann, weshalb der Kontakt mit diesen Geweben während der Anwendung vermieden werden sollte (Abbildung 3). Eine Isolierung, zum Beispiel mit flüssigem Kofferdam, ist eine Option (Abbildung 4). Da die Mitarbeit der Kinder oft gering ist, sollten zumindest die Lippen vorher mit Vaseline eingecremt werden, um unbeabsichtigte extraorale Verfärbungen zu reduzieren. Behandlung von Kindern und Patienten mit besonderen Bedürfnissen Bei der Behandlung von Patienten mit besonderen Bedürfnissen scheint sich der Schwerpunkt der präventiven und restaurativen Strategien zu verlagern, indem minimalinvasive Methoden wie SDF und die Hall-Technik eingesetzt werden (Abbildung 5). Minimalinvasive Therapien haben sich als geeignet und wirksam für die Behandlung von Kariesläsionen sowohl bei Milchzähnen als auch an bleibenden Zähnen erwiesen und reduzieren somit die Notwendigkeit von Eingriffen unter Vollnarkose [Molina et al., 2022]. Einsatz bei älteren Patienten SDF hat sich sowohl bei der Prävention als auch bei der Behandlung von Wurzelkaries bei Senioren als wirksam erwiesen (Abbildung 6). Systematische Übersichtsarbeiten zeigen, dass 38-prozentiges SDF das Auftreten neuer kariöser Läsionen auf freiliegenden Wurzeloberflächen signifikant reduziert und bestehende Läsionen arretiert. Eine jährliche Anwendung von 38-prozentiger SDF-Lösung reduziert das Auftreten neuer Wurzelkaries um 50 bis 68 Prozent und zeigt eine noch größere Effektivität über längere Zeiträume [Chan et al., 2022; Hendre et al., 2017]. Reduktion des Bedarfs an zahnärztlicher Vollnarkose bei Kindern In einer aktuellen Studie der Poliklinik für Kinderzahnheilkunde der Universitätsmedizin Greifswald wurden die Auswirkungen der Applikation von 38-prozentigem SDF auf die Reduktion der Notwendigkeit einer zahnärztlichen Vollnarkose (zVN) bei Kindern untersucht, die zwischen 2019 und 2021 behandelt wurden. Retrospektiv wurden die Daten von 65 Kindern mit hohem Kariesrisiko analysiert (Durchschnittsalter= 4,3±1,6 Jahre; dmft/DMFT= 6±4,2/0,7±1), die keine invasiven Behandlungen am Behandlungsstuhl tolerieren konnten. Bis zur Nachuntersuchung nach zwei Jahren wurde die Mehrheit (58/65) der für eine zVN infrage kommenden Kinder ausschließlich am Behandlungsstuhl ohne Narkose behandelt, was zu einer 89-prozentigen Reduzierung der zVNs führte. Die Studie ergab, dass SDF bei der Behandlung von Karies bei Hochrisikokindern wirksam ist und den Bedarf an zVN erheblich verringert, und wurde wahrscheinlich aufgrund dieser erheblichen klinischen Relevanz von der Weltkariesorganisation ORCA im letzten Jahr prämiert [Abdulrahim et al., 2023a]. zm114 Nr. 19, 01.10.2024, (1586) NUTZEN VON SILBERDIAMINFLUORID SDF reduziert unter anderem Überempfindlichkeiten, verhindert die Entstehung beziehungsweise arretiert bestehende kariöse Läsionen an Milch- und bleibenden Zähnen an allen Flächen inklusive der Wurzeloberfläche. Aufgrund dieser vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten und seiner Wirksamkeit in der Kariestherapie hat SDF weltweit an Interesse gewonnen und ist heute in den meisten Ländern verfügbar. Abb. 5: a) Kariesinaktivierung (Zähne 84, 85) mittels Silberdiaminfluorid und b) restaurative Therapie mit SMART-Techniken: 84 Hall-Technik (SMART-Hall) und 85 kunststoffmodifizierte Glasionomerzement-Füllung (SMART) bei einem dreijährigen Mädchen mit ECC. Foto: Santamaría Abb. 4: Eine Isolation der Gingiva mittels flüssigen Kofferdams ist bei Riva Star® empfehlenswert, um eine Irritation der Mukosa und eine Verfärbung dieser Bereiche zu vermeiden. Bei Riva Star Aqua® ist dies wegen der geringeren Reizung von Weichgewebe nicht mehr vorgesehen. Foto: Mourad a b
TITEL | 21 zm114 Nr. 19, 01.10.2024, (1587) Mehr unter: ohne künstliche Farbpigmente passt sich „automatisch“ der Zahnfarbe an Bis-GMA–freie Formulierung für eine bessere Biokompatibilität nachhaltige Bevorratung nur 1 Farbe bestellen & keine abgelaufenen Sonderfarben Die patentierte Smart Chromatic Technology in OMNICHROMA sorgt für stufenlose Farbanpassung von A1 bis D4 dank struktureller Farbe. Hinzu kommen 3 verschiedene Viskositäten für alle Vorlieben und Anwendungsbereiche. So bietet die OmnichromaFamilie dem Anwender alle erdenklichen Optionen mit einem Minimum an Materialien. OMNICHROMA – mehr braucht es nicht für moderne Füllungstherapie. 3 Viskositäten – unendliche Möglichkeiten Paste Flow FlowBulk Flow Bulk PD Dr. med. dent. habil. Julian Schmoeckel, M.Sc. Oberarzt der Poliklinik für Kinderzahnheilkunde ZZMK Universitätsmedizin Greifswald Walther-Rathenau-Str. 42, 17475 Greifswald Dr. med. dent. Mhd Said Mourad, M.Sc. Poliklinik für Kinderzahnheilkunde Oberarzt der Poliklinik für Kieferorthopädie ZZMK Universitätsmedizin Greifswald Walther-Rathenau-Str. 42, 17475 Greifswald PD Dr. med. dent. habil. Ruth Santamaría, M.Sc. Oberärztin der Poliklinik für Kinderzahnheilkunde ZZMK Universitätsmedizin Greifswald Walther-Rathenau-Str. 42, 17475 Greifswald Nour Al-Aqaileh Poliklinik für Kinderzahnheilkunde ZZMK Universitätsmedizin Greifswald Walther-Rathenau-Str. 42, 17475 Greifswald Prof. Dr. Christian Splieth Leiter der Poliklinik für Kinderzahnheilkunde & komm. Direktor der Poliklinik für Zahnerhaltung, Parodontologie, Endodontologie ZZMK Universitätsmedizin Greifswald Walther-Rathenau-Str. 42, 17475 Greifswald Fotos: privat
22 | TITEL Linderung von Zahnüberempfindlichkeit SDF führt zu einer sofortigen Linderung der Dentinhypersensibilität, da es die Dentintubuli durch die Freisetzung von Silberionen blockiert, eine Schutzbarriere bildet und eine geringe Löslichkeit aufweist, zum Beispiel bei Abrasionskavitäten am Zahnhals [Seifo et al., 2019; Kiesow et al., 2022]. In einer prospektiven, vergleichenden Doppelkohortenstudie unserer Arbeitsgruppe wurde die Wirksamkeit von Silberdiaminfluorid und Kaliumjodid (38-prozentiges SDF+KI; Riva Star®) mit Natriumfluoridlack (5 Prozent NaF; Duraphat®) bei der Behandlung hypersensibler kariöser Läsionen im Milchgebiss verglichen. Die Studie umfasste 30 Kinder im Alter von zwei bis fünf Jahren, die in zwei Gruppen aufgeteilt wurden: Eine Gruppe erhielt fünfprozentiges NaF und die andere 38-prozentiges SDF+KI. Nach drei Monaten zeigte die SDF+KI-Gruppe eine signifikant höhere Kariesarretierungsrate (86,7 Prozent) im Vergleich zur NaF-Gruppe (13,3 Prozent; p<0,05). Beide Behandlungen reduzierten die Karies-bedingte Hypersensibilität wirksam, jedoch war SDF+KI signifikant effektiver bei der Kariesarretierung [Abudrya et al., 2023]. Linderung von Überempfindlichkeit bei MIH Die Applikation von Silberfluorid ist einfach, gut akzeptiert und lindert erfolgreich Überempfindlichkeiten bei MIH, wie Studienergebnisse unserer Arbeitsgruppe zeigen [Ahmed et al., 2023; Ahmed et al., 2024]. Nachteilig ist jedoch die schwer vorhersagbare, aber mögliche dauerhafte Schwarzverfärbung der hypomineralisierten Bereiche. Hier sollte also in Abhängigkeit der Lokalisation und des Schweregrades der Hypersensibilitäten abgewogen werden, ob diese Technik direkt beim Erstbesuch oder gegebenenfalls doch nur bei persistierender Überempfindlichkeit bei einem der Recall-Besuche erfolgen sollte („SMART“ im Recallbesuch) (Abbildung 7). Sofern MIH-Läsionen hauptsächlich approximal liegen oder die MIH-Molaren so stark betroffen sind, dass unabhängig von der Initialbehandlung mittelfristig eine Kronenversorgung (zum Beispiel Stahlkrone) oder sogar eine Extraktion wahrscheinlich ist, wäre die Silberfluoridapplikation aufgrund der schnellen Wirkung eine probate Option - auch als SMART-Technik beim Erstbesuch. Behandlung von approximalen kariösen Läsionen SDF eignet sich auch für die Behandlung von approximalen Läsionen. Besonders interessant wird die Anwendung von Silberfluoriden zur Behandlung von Initialkaries beziehungsweise nicht-kavitierter Karies im kariesaktiven permanenten Gebiss Jugendlicher (Abbildung 8). zm114 Nr. 19, 01.10.2024, (1588) Abb. 7: Ein zuvor hypersensibler MIH-Molar (16) wurde zunächst mittels Glasionomerzement abgedeckt. Aufgrund persistierender Hypersensibilität im Kontrollbesuch wurde eine zusätzliche SDFApplikation durchgeführt. Dadurch konnte jene sofort gelindert werden. Das Bild zeigt den MIH-Molaren mehrere Monate nach der AgF-Applikation und somit auch die schwer vorhersagbare, aber mögliche dauerhafte dunkle Verfärbung einiger hypomineralisierter Bereiche sowie der GIZ-Oberfläche. Foto: Schmoeckel Foto: Splieth Abb. 6: Kariesinaktivierung bei einem 80-jährigen Patienten mit Wurzelkaries: a) Wurzelkaries vor Applikation von Riva Star®, b) Kariesinaktivierung unmittelbar nach Applikation von Silberdiaminfluorid und c) provisorische Füllung mit konventionellem Glasionomerzement. a c b
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24 | TITEL zm114 Nr. 19, 01.10.2024, (1590) Abb. 8: a und b) Die Bissflügelaufnahmen eines 15-jährigen Patienten zeigen den Status vor der Entscheidung, AgF auf die nicht kavitierten Läsionen aufzutragen. Zudem wurden Kompositrestaurationen bei moderaten, kavitierten Läsionen geplant; bei der tiefen Läsion an Zahn 26 erfolgte zuvor eine selektive Kariesentfernung mit Anwendung von Biodentin (Firma Septodont). c) nach dem Einsetzen der kieferorthopädischen Separiergummis approximal, d) direkt nach der Anwendung von AgF (riva star aqua, SDI) im Unterkiefer; am selben Tag wie die Anwendung der KFO-Separatoren für zwei Stunden: Approximal ist eine geringe Reizung und Schwarzfärbung des Zahnfleischs zu sehen, die in der Regel innerhalb weniger Tage abklingt und keine Langzeitwirkung hat, wie die e) Nachuntersuchungsfotos 16 Monate nach der Behandlung zeigen. Die Zähne des nun 17-jährigen Patienten wurden mit einer Plaqueanfärbelösung angefärbt und er wurde danach zum Selbstputzen aufgefordert. Die Verfärbungen der approximalen Initialläsionen sind nicht oder kaum sichtbar und verursachen keine ästhetischen Bedenken. Möglicherweise sollte eine erneute Anwendung von AgF auf die approximalen Läsionen in Betracht gezogen werden. f und g) Die Bissflügelaufnahmen 16 Monate nach der AgF-Anwendung zeigen die Stadien der approximalen Läsionen sowie die Unversehrtheit der restaurativen Verfahren, was auf eine deutliche Verringerung der Kariesaktivität und eine Stabilität der Läsionen hinweist [Ahmed et al., 2023]. a c d b e f g Fotos: Schmoeckel/Kinderzahnheilkunde Greifswald, Ahmed et al., 2023
TITEL | 25 Der verkürzt dargestellte Patientenfall zeigt dieses minimalinvasive, innovative und kostengünstige Behandlungskonzept [Ahmed et al., 2023]. Im Kern werden dazu nach vorheriger Diagnostik orthodontische Separiergummis in die Zahnzwischenräume eingesetzt und für circa ein bis zwei Stunden in situ belassen. Direkt nach der Entfernung der Gummis erfolgt eine zügige, direkte klinische Untersuchung der Approximalkaries und eine Applikation von SDF zur Kariesinaktivierung mittels Microbrush. Der Patientenfall belegt röntgenologisch die hohe Kariesaktivität vor der Behandlung, sowie die deutlich reduzierte Kariesaktivität nach der einmaligen SDF-Applikation in der oben genannten Technik nach knapp eineinhalb Jahren anhand von Bissflügelaufnahmen (Abbildungen 8a bis 8g). Eine retrospektive Pilot-Untersuchung an der Kinderzahnheilkunde in Greifswald gibt deutliche Hinweise auf die Wirksamkeit dieser Technik. Die Ergebnisse wurden beim diesjährigen Weltkarieskongress vorgestellt und diese Studie wurde ebenfalls von ORCA prämiert. Die Ergebnisse dieses Pilotprojekts zeigen für gut 90 Prozent der behandelten E1/ E2/D1-Läsionen über einem Zeitraum von 15 Monaten keine weitere Progression in den Bissflügelaufnahmen [Ahmed et al., 2024]. Interessanterweise wurde bereits vor zehn Jahren ein Studienprotokoll für einen RCT veröffentlicht, das beschreibt, dass für eine einzelne Approximalkaries die Applikation von SDF mit der Kariesinfiltration und einer Kontrollgruppe verglichen werden sollte [Mattos-Silveira et al., 2014]. Diese Ergebnisse sind unseres Wissens leider bislang noch nicht veröffentlicht. Jedoch zeigt eine andere retrospektive Studie aus den USA, in der jeweils nur eine Läsion pro Patient behandelt zm114 Nr. 19, 01.10.2024, (1591) Ich wünsche mir einen verlässlichen Ansprechpartner, der mich bei allen Herausforderungen unterstützt – ein Rundum-sorglos-Paket aus einer Hand. Und das bekomme ich bei CGM Z1.PRO.“ ZAHNARZTSOFTWARE CGM Z1.PRO – Meine Zukunft. MeinWeg. cgm-dentalsysteme.de CGMCOM-25116_DEN_1223_RRH SDF-KARIESTHERAPIE IST OFF-LABELBEHANDLUNG Die in Europa verfügbaren Silberdiaminfluoridprodukte sind als Medizinprodukt offiziell für die Behandlung von Überempfindlichkeit zugelassen (Riva Star® und Riva Star Aqua®, SDI Limited). Dennoch werden sie im Rahmen der Off-Label-Behandlung von Karies aufgrund der enormen Vorteile und der großen wissenschaftlichen Evidenz vielfach eingesetzt: Zahnärzte können SDF „offlabel“ auf der Grundlage ihrer klinischen Beurteilung und der Bedürfnisse der Patienten verwenden, sofern sie die informierte Zustimmung der Patienten oder ihrer Erziehungsberechtigten einholen [Gao et al., 2021; Crystal, and Niederman, 2016]. Beispielsweise stellt die British Society of Paediatric Dentistry zusätzliche Informationen und Ressourcen für die Verwendung von SDF in diesem Zusammenhang zur Verfügung (https://www. bspd.co.uk/Professionals/Resources). Die Kosten für die Kariesbehandlung mit SDF werden allerdings nicht von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen.
26 | TITEL zm114 Nr. 19, 01.10.2024, (1592) VORTEILE UND EINSCHRÄNKUNGEN DER ANWENDUNG VON SILBERDIAMINFLUORID (SDF) Vorteile Einfache, sichere und schnelle Anwendung SDF ist eine antimikrobielle Substanz mit breitem Wirkungsspektrum, hoher Biokompatibilität und geringer Toxizität für den Menschen. SDF lässt sich unkompliziert und zügig auftragen [Chibinski et al., 2017; Gao et al., 2021]. Kostengünstig SDF kostet im Vergleich zu anderen verfügbaren Optionen weniger, während es dennoch eine effektive zahnmedizinische Therapieoption bietet. Vielseitige Anwendbarkeit Bei allen Kariesstadien und allen Zahnflächen inklusive der Wurzeloberfläche anwendbar, auch für die Linderung von Zahnüberempfindlichkeit bei Abrasionskavitäten am Zahnhals und bei MIH-Molaren [Ahmed et al., 2023; Abudrya et al., 2023] Minimaler Ausrüstungsbedarf Keine umfangreiche Ausrüstung erforderlich, daher auch außerhalb von Zahnarztpraxen, beispielsweise in Schulen, Kindergärten und Pflegeeinrichtungen einsetzbar Wirkung wissenschaftlich bewiesen SDF eignet sich besonders für die Behandlung von Schmelz- und Dentinkaries bei Kindern, die invasive Verfahren aufgrund mangelnder Kooperation, geringen Alters oder aus medizinischen Gründen nicht tolerieren können. Es gibt auch solide Evidenz für seine Wirksamkeit bei der Arretierung von Schmelz- und Dentinkaries an bleibenden Zähnen und bei Wurzelkaries [Seifo et al., 2019]. Reduzierung der Notwendigkeit von Narkosebehandlung (zVN) bei Kindern mit hohem Kariesrisiko und begrenzter Kooperation SDF kann die Notwendigkeit einer Vollnarkose bei pädiatrischen Zahnbehandlungen erheblich verringern [Abdulrahim et al., 2023a], da es eine wirksame, nicht-invasive Methode zur Behandlung kariöser Läsionen darstellt. Dies ist besonders vorteilhaft für kleine Kinder und Kinder mit besonderen Bedürfnissen, die Schwierigkeiten mit herkömmlichen zahnärztlichen Maßnahmen haben. Einschränkungen Ästhetische Bedenken Kariesläsionen verfärben sich dunkel und zum Teil schwarz, was ästhetisch nicht immer ansprechend ist. Somit spielt die Lokalisation der Läsion in der Entscheidungsfindung eine Rolle Kostenübernahme Die Kosten für die Kariesinaktivierung werden nicht von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Off-Label-Use In Europa ist das verfügbare Produkt ist nicht für die Kariesbehandlung zugelassen, in anderen Ländern jedoch teilweise schon. Elternakzeptanz Die Akzeptanz der Eltern hängt von der Zahnregion und der Kooperation des Kindes ab [Abdulrahim et al., 2023b]: Bei Backenzähnen und zur Narkosevermeidung besonders gut akzeptiert. Keine Wiederherstellung der Zahnform Mit SDF wird die ursprüngliche Zahnform nicht wiederhergestellt. Allerdings kann nach der SDF-Applikation eine restaurative Versorgung mittels der sogenannten SMART-Techniken mit Glasionomerzementen oder Stahlkronen durchgeführt werden (Abbildung 5). Die restaurative Versorgung nach der SDF-Anwendung stellt nicht nur die Zahnform wieder her, sondern kann auch eine mögliche Fraktur der verbleibenden Zahnhartsubstanz verhindern, einen Platzverlust vermeiden und gleichzeitig die ästhetischen Bedürfnisse der Eltern erfüllen. wurde, einen deutlichen positiven Nutzen von SDF mit dem Produkt Advantage Arrest (Elevate Oral Care, West Palm Beach, Fla., USA): „nur“ 23,6 Prozent Progression im Vergleich zu 38,1 Prozent in der Kontrollgruppe [Polacek et al., 2021]. Aus der Studie geht auch hervor, dass eine Inaktivierung der Läsion noch effektiver zu sein scheint, wenn SDF mittels Microbrush appliziert wird, anstatt mit Superfloss. Es erfolgte jedoch keine vorherige Zahnseparation, die möglicherweise Vorteile für die Benetzung der Läsion durch SDF hat. Schlussfolgerung Silberdiaminfluorid hat sich als eine wertvolle Ergänzung in der modernen Zahnmedizin bewährt. Es bietet eine flexible, kostengünstige und effektive Lösung für eine Vielzahl von zahnmedizinischen Herausforderungen, von der Kinderzahnheilkunde bis zum Kariesmanagement älterer Menschen, beispielsweise Pflegebedürftige. Die vielseitigen Anwendungsmöglichkeiten machen Silberdiaminfluorid zu einem unverzichtbaren Werkzeug im Behandlungsspektrum der Zahnärzte weltweit. n
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