Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 19

GESELLSCHAFT | 43 te Index den oberen Zahn und seine Position bezeichnet. Die Skelettreste belegen, dass Zahnablationen bei beiden Geschlechtern gleichermaßen durchgeführt wurden. Von ihren Ursprüngen an der Küste aus breiteten sich die Zahnablation, die Bestattung und der Ackerbau in den umliegenden asiatisch-pazifischen Regionen aus. Die Methode und das Alter, in dem die Zahnentfernung durchgeführt wurde, variierten. Generell wurde in den nördlichen Regionen Taiwans das Herausschlagen der Zähne mit einem Metall-, Holz- oder Steinwerkzeug bevorzugt. In den südlichen Regionen wurden die Zähne dagegen meist gezogen, was üblicherweise durch ein oder zwei Holz- oder Bambusstäbe erleichtert wurde, die an einem Faden befestigt waren, der eng um den Zahn gewickelt war. Aufgrund der traumatischen Natur eines solchen Ereignisses wurde die Zeremonie normalerweise im Winter geplant, um das Infektionsrisiko zu minimieren. Die extrahierten Zähne wurden dann begraben. Nach dem Eingriff wurde die Wunde mit Salz oder der Asche einer Miscanthus-floridulus-Pflanze gefüllt, um die Blutung zu stoppen und einer Entzündung vorzubeugen. Diese Extraktionen ohne Betäubung mussten nicht nur junge Erwachsene, sondern bereits sechs- bis achtjährige Kinder über sich ergehen lassen. Mäusezähne galten damals als attraktiv Warum aber diese schmerzhafte Prozedur? Zhang und ihre Kollegen kommen zu dem Schluss, dass es – je nach Gruppe – unterschiedliche Gründe für die Zahnablation gab: So deuten die Funde darauf hin, dass die Zähne vor allem entfernt wurden, um attraktiver auszusehen. Ein animalischer Gesichtsausdruck mit vorstehenden Zähnen oder Lippen wie bei Hunden, Affen oder Schweinen galt als unästhetisch. Bewundert wurde dagegen das Gebiss von Mäusen. Offenbar spielten aber auch praktische Überlegungen eine Rolle: Man wollte überzählige oder kariöse Zähne verhindern, Schmerzen beim Tätowieren vorbeugen, eine bessere Aussprache ermöglichen und die Verabreichung von Medikamenten oder Nahrung im Fall eines Wundstarrkrampfs gewährleisten. Die Zahnentfernung könnte zudem auch eine Mutprobe gewesen sein, ein Ritus für den Übergang ins Erwachsenenalter oder ein Merkmal zur zm114 Nr. 19, 01.10.2024, (1609) Schädel von Song Keplek 5 (Java, Indonesien) mit 2I 2 C 1 Zahnablation, durch Pfeile gekennzeichnet. Foto: Noerwidi, 2012, mit freundlicher Genehmigung von Sofwan Noerwidi. Das Szenario einer Zahnentfernung beim Volk der Atayal veranschaulicht den Vorgang des Schlagens auf den Zahn mit einem Hammer (links) oder einer Hacke (rechts). Foto: Pfandrecht, 2003, fotografiert von Wissenschaftlern während der japanischen Herrschaft „Zähne sind mehr als nur anatomische Bestandteile, sie können als Leinwand für eine reiche kulturelle Symbolik dienen.“ Yue Zhang

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