Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 20

34 | POLITIK von versicherungsfremden Leistungen zu entlasten. Über die Frage, ob diese Gelder im Bundeshaushalt zur Verfügung gestellt werden sollen, besteht in der Bundesregierung jedoch kein Konsens. Auch bei der ersten Lesung des BMG-Etats im Bundestag im September zeigte sich, dass die Meinungen innerhalb der Bundesregierung auseinandergehen. Während sich niemand aus der FDP positiv dahingehend äußerte, kündigten sowohl Abgeordnete der Grünen als auch der SPD an, sich im Rahmen der Haushaltsverhandlung für eine Erhöhung der Steuermittel für den Gesundheitsfonds einzusetzen. Obwohl dies die Beitragszahlerinnen und -zahler kurzfristig entlasten würde, reicht dieser Schritt allein für eine nachhaltige Reformierung der GKV nicht aus. An Ideen mangelt es nicht Immerhin: Es gibt Vorschläge, wie die GKV in Schuss gebracht werden kann. Eine im Mai 2023 veröffentlichte „Inventur der Reformvorschläge zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung“ des gesundheitsökomischen Beratungsunternehmens „Vandage“ zählt 413 in den vergangenen 20 Jahren publizierte Vorschläge zur Stabilisierung der GKV. Nach Bereinigung von Mehrfachnennungen blieben 93 Ideen übrig. Zu einem Drittel nehmen sie einnahmenseitige und zu zwei Dritteln ausgabenseitige Stabilisierungsmaßnahmen in den Fokus. Auf Einnahmenseite reichen die Ideen von umfassenden Systemreformen wie der Einführung einer Bürgerversicherung bis hin zu konkreten Einzelmaßnahmen wie der Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze oder der Berücksichtigung weiterer Einkommensarten bei der Beitragsbemessung. Ausgabenseitige Reformvorschläge zielen hingegen vor allem auf eine effizientere Steuerung von Gesundheitsleistungen ab, gefolgt von Leistungseinschränkungen und einer stärkeren Regulierung von Preisen und Rabatten. Dr. Daniel Gensorowsky von Vandage hat maßgeblich an der Inventur mitgearbeitet. Angesichts der Ergebnisse zieht er dieses Fazit: „Viele Reformvorschläge werden schon seit 20 Jahren auf breiter Front diskutiert und ihre Sinnhaftigkeit scheint auch Konsens zu sein. Im Team stellten wir uns deshalb am Ende die Frage: Worauf wartet die Politik eigentlich noch?!“ Die Antwort liefert der Gesundheitsökonom gleich nach. Zurzeit stünden einer GKV-Reform neben der angespannten Haushaltslage auch die schwächelnde Konjunktur und internationale Konflikte im Wege. Dabei werde die Finanzierungskrise der GKV durch die aktuell vom BMG angestoßenen Initiativen mitunter sogar noch verschärft: „Bei der Förderung der Digitalisierung oder der Krankenhausreform handelt es sich zumindest in der kurzen Frist nicht, wie vom BMG bisweilen suggeriert, um Maßnahmen zur Finanzstabilisierung, sondern um langfristige Investitionen in effizientere Versorgungsstrukturen. Kurzfristig ist von diesen Maßnahmen eher eine zusätzliche Belastung der GKV-Finanzen zu erwarten.“ Aus Sicht des Vandage-Experten hätte man eine tiefgreifende GKV-Reform in wirtschaftlich guten Zeiten angehen müssen: „Jetzt widmen wir uns teuren Megaprojekten bei schlechten zm114 Nr. 20, 16.10.2024, (1700) Dr. Jochen Pimpertz ist Leiter des Clusters Staat, Steuern und Soziale Sicherung beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Foto: Uta Wagner „Die Beitragsfinanzierung sollte durch eine kapitalgedeckte Vorsorge ergänzt werden!“ Dr. Pimpertz, warum befindet sich die GKV in einer finanziellen Schieflage? Dr. Jochen Pimpertz: Seit über zwanzig Jahren steigen die GKV-Ausgaben überproportional stark, während sich die beitragspflichtigen Einkommen im Gleichschritt mit der Wirtschaftsleistung entwickelt haben. Die Gründe: Die Versichertengemeinschaft altert, der medizinische Fortschritt kostet, vor allem aber werden Versicherung und Versorgung marktfern gesteuert. Ein Preiswettbewerb, der anderenorts für Effizienz sorgt, findet weder zwischen den Kassen noch in der Versorgung statt. Welche Reformschritte sind aus Ihrer Sicht nötig, um die GKV zukunftsfest zu finanzieren? Notwendig ist dreierlei: finanzielle Eigenverantwortung der Versicherten, Preiswettbewerb zwischen den Kassen und nicht zuletzt auch zwischen den Versorgern. Denn die rechnen bislang zu einheitlichen Entgelten ab, selbst wenn die Betriebskosten der eigenen Praxis höher sind als die der Mitbewerber. Neue Beitragsquellen lösen dieses Steuerungsproblem nicht. Denn auch wenn sich die Beitragslast damit anders verteilen ließe, am Ende steigt sie doch. Welche Rolle würden Sie der PKV bei einer Reformierung der Finanzierung des Gesundheitssystems zukommen lassen? In der PKV sorgen Versicherte eigenverantwortlich für höhere Ausgaben im Alter vor. In der GKV müssen dagegen alle Mitglieder zusätzliche Beiträge schultern, sobald mehr ältere Menschen zu versorgen sind. Das belastet vor allem jüngere Mitglieder und stellt das Solidaritätsprinzip auf die Probe. Deshalb hilft die Bürgerversicherung nicht weiter. Stattdessen sollte die Beitragsfinanzierung begrenzt und durch eine kapitalgedeckte Vorsorge ergänzt werden.

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