Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 20

36 | POLITIK Rahmenbedingungen. Das ist ungünstig, aber ohne Frage notwendig. Sonst laufen wir weiter in eine Beitragssteigerungsspirale hinein, die ihresgleichen sucht.“ Aber kaum ein Vorschlag basiert auf Daten Im Zuge der Inventur wies Vandage auf ein weiteres gravierendes Problem hin: Die erfassten Reformvorschläge seien äußerst selten „mit einer belastbaren Abschätzung ihrer erwartbaren fiskalischen und versorgungspolitischen Implikationen verbunden“. Das heißt: Kaum ein Vorschlag argumentiert auf Basis einer ausreichenden Datenlage. Ein entscheidendes Manko, wie Gensorowsky betont: „Eine nachhaltige Generalüberholung des Gesundheitswesens kann nur gelingen, wenn sie daten- und evidenzbasiert erfolgt.“ Vandage griff daher im Nachgang zur Inventur selbst einige Reformvorschläge heraus, um deren Einsparpotenzial zu überprüfen. Gensorowsky: „Damit wollten wir den Diskurs objektivieren.“ Unter anderem simulierte das Unternehmen verschiedene Szenarien rund um versicherungsfremde Leistungen. Das Ergebnis: Eine konsequente Auslagerung könnte den Beitragssatz im Zeitraum von 2024 bis 2028 um bis zu 4,6 Beitragssatzpunkte entlasten. Dies würde jedoch solche Ausgabenpositionen umfassen, deren Klassifizierung als „versicherungsfremd“ durchaus umstritten ist. „Dazu gehören etwa die weitreichenden Regelungen zur beitragsfreien Familienmitversicherung“, hält Gensorowsky fest. Angesichts der Unschärfen in der Definition versicherungsfremder Leistungen und der angespannten Haushaltslage erscheine es naheliegender, dass man sich auf einzelne, konsensfähige Bereiche wie etwa die Beiträge im Bereich Bürgergeld beschränke. Ein weiterer Reformvorschlag, den Vandage betrachtete, war die Absenkung der Umsatzsteuer auf Arzneiund Hilfsmittel auf sieben Prozent. Diese Maßnahme könnte der GKV eine durchschnittliche jährliche Entlastung in Höhe von etwa 6,2 Milliarden Euro bringen und den Beitragssatz um 0,37 Prozentpunkte senken. Auch die Einführung ergänzender Kapitaldeckungselemente in der GKV wurde durchgerechnet. Der Aufbau eines „Demografiefonds“ hätte nach Ansicht von Vandage das Potenzial, „den Beitragssatz über die nächsten fast 40 Jahre auf einem Niveau zu stabilisieren, das bis zu 2,4 Beitragssatzpunkte unter dem für das Jahr 2060 prognostizierten Wert liegt.“ Aber: Der Aufbau eines Kapitalstocks sei zunächst mit erheblichen Zusatzkosten verbunden und die politische Umsetzbarkeit daher „eher unwahrscheinlich“. Das Timing ist schlecht, aber es naht nicht der Untergang Ökonom Gensorowsky betrachtet die aktuelle Lage der GKV mit gemischten Gefühlen. Auf der einen Seite ist da der Ärger, dass zu lange nicht gehandelt wurde und die nun laufenden Reformen zu einem schlechten Zeitpunkt kommen. Auf der anderen Seite steht aber auch die Überzeugung, dass die GKV nicht kurz vor dem Untergang steht. Dennoch ist Gensorowsky überzeugt, dass eine nachhaltige Reform des Gesundheitssystems nur gelingen kann, wenn sie gleichzeitig mit kurzfristig zm114 Nr. 20, 16.10.2024, (1702) vention. Menschen müssen gesund alt werden, damit wir nicht unendlich viel Geld fürs Gesundwerden ausgeben. Aktuell wird das nicht gefördert. Welche Kasse hat denn Lust, ihren Zusatzbeitrag zu erhöhen, um den Bereich Prävention massiv auszubauen? Die gesunden Kundinnen und Kunden würden dann zu einem billigeren Anbieter wechseln. Was würde die Prävention stattdessen voranbringen? Ich bin bekanntlich ein großer Verfechter von Wahltarifen und Selbstbehalten, die die Versicherten mit ihrer Krankenkasse vereinbaren. Das wäre ein Anreiz, sich um seine Gesundheit zu kümmern. Und ich lege noch einen drauf: Wie wäre es, wenn wir – um die GKV in diese Richtung umzubauen – nur noch den Arbeitgeberbeitrag in den Gesundheitsfonds einzahlen und den der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer den jeweiligen Krankenkassen zur Verfügung stellen? Würde so ein System kranke Menschen nicht massiv benachteiligen? Ich will nicht den Kahlschlag organisieren. Ich denke, man kann die Menschen mehr in die Verantwortung nehmen und gleichzeitig diejenigen versorgen, die krank sind. Wichtig ist, dass beides parallel passiert. Sie haben in der Vergangenheit vorgeschlagen, die Zahnmedizin aus der GKV zu streichen. Dabei ist gerade sie stark beim Thema Prävention. Ich gebe zu, dass ich mit diesem Vorschlag provozieren wollte. Gerade, weil die Zahnmedizin ein gutes Beispiel dafür ist, wie viel man für die GKV durch Prävention erreichen kann. Die Zahnmedizin eignet sich aus meiner Sicht auch, um den wettbewerblichen Ansatz zu veranschaulichen. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass die bewährten zahnmedizinischen Präventivleistungen in der GKV-Welt bleiben sollten. Aber es lohnt sich, die Frage durchzuspielen, welche Leistungen man gegebenenfalls herausnehmen kann und zu welchen Bedingungen. Unsere Gesellschaft altert, die Zahl der Kranken wird steigen und mit ihnen die Versorgungskosten. Wie geht das mit Ihrem Vorschlag zusammen? Im Alter sind die Morbiditäten in der Zahnmedizin und in der Humanmedizin nicht direkt vergleichbar. Zwar steigt mit zunehmendem Alter auch der Behandlungsbedarf an den Zähnen, dem kann aber auch in dieser Lebensphase durch professionelle Vorsorge entgegengewirkt werden. Unsere Wahltarife entfalten eine Steuerungswirkung in Richtung einer intensivierten zahnmedizinischen Prävention, indem sie diese in den Fokus rücken und auch gesundheitspolitisch dazu beitragen, Eigeninitiative zu fördern und letztlich ein bezahlbares Gesundheitswesen in Deutschland zu erhalten.

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