Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 20

POLITIK | 37 zm114 Nr. 20, 16.10.2024, (1703) wirksamen Maßnahmen zur Stabilisierung der GKV-Finanzen flankiert wird. „Nächstes Jahr könnten die Zusatzbeiträge um 0,6 Prozent steigen – das geht richtig ins Geld für die Versicherten und ihre Arbeitgeber“, gibt er zu bedenken. „In dieser Situation zu sagen: Wir machen langfristig was, aber in der akuten Notsituation nichts, fördert nicht die Akzeptanz für Reformen und die GKV im Allgemeinen.“ sth Hannes Ullrich ist beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) stellvertretender Leiter der Abteilung Unternehmen und Märkte. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Digitalisierung, Gesundheitsökonomik und Wettbewerb. Foto: DIW „Wir brauchen bessere Daten und mehr Wettbewerb“ Herr Ullrich, wo besteht Ihrer Ansicht nach Reformbedarf in der GKV? Hannes Ullrich: Die Krankenversorgung in Deutschland gilt im internationalen Vergleich als ausgezeichnet, sie ist aber teuer und stößt an ihre Leistungsgrenzen. Zu den Gründen dafür gehört, dass das deutsche Gesundheitssystem an Ineffizienz und mangelndem Wettbewerb leidet. Wirtschaftsdenken wird im Zusammenhang mit der Gesundheitsversorgung eher als Gefahr für die Versorgungsqualität abgelehnt. Ich meine damit aber schlicht das Setzen ökonomischer Anreize, von denen die Gemeinschaft der Versicherten profitiert. Können Sie ein Beispiel geben? Schauen wir uns die Krankenhausreform an. Der ihr zugrundeliegende Gedanke ist grundsätzlich sinnvoll: Kliniken, die miteinander konkurrieren, bieten bessereVersorgungsqualität.Gäbeeshingegen bloß ein Krankenhaus für eine bestimmte Behandlung, wäre es ausschließlich ethisch verpflichtet, exzellent zu arbeiten. Es ist also gut, in Richtung Spezialisierung größerer Krankenhäuser zu denken, aber eben auch Konkurrenz zu fördern, indem Patient*innen Wahlmöglichkeiten behalten. Ein weiterer Weg, die Versorgungsqualität durch den Wettbewerbsgedanken zu fördern, wäre beispielsweise, Arztpraxen, die über längere Zeit gute Behandlungsergebnisse erzielen, mit einer Sondervergütung zu prämieren. Gesundheit ist aber nicht wie andere Dienstleistungen. Da stimme ich absolut zu. Es geht auf Gesundheitssystemebene um das Gemeinwohl und nicht um Profitmaximierung. Aber mehr sinnvoll geleitete Wettbewerbsmechanismen im System täten derEffizienz und damit der Versorgungsqualität gut. Entscheidend in diesem Zusammenhang ist diese Frage: Wie können wir erkennen, welche Anreize dazu führen, dass die Leistungsfähigkeit ohne größere finanzielle Mehrbelastungen erhöht wird? Allgemein sehe ich hier aber für Deutschland ein weiteres Manko, an dem die GKV – und eigentlich noch mehr die PKV – krankt: Es fehlt schlicht an Daten und empirischer Evidenz, um diese wichtige Frage in vielen Bereichen der Gesundheitsversorgung zu beantworten. Wie ließe sich das ändern? Das geplante Forschungsdatengesetz könnte solche Analysen in Deutschland ermöglichen. Hierbei ist die Verknüpfbarkeit von Informationen aus verschiedenen Quellen, zum Beispiel aus dem Gesundheitsbereich, dem Arbeitsmarkt oder dem Bildungsbereich, auf der Ebene von Einzelpersonen wichtig. Denn viele, auch nicht rein medizinische Faktoren spielen für die optimale Ausgestaltung, Organisation und Regulierung des Gesundheitssystem eine Rolle. Diese Möglichkeit ist für die Forschung in anderen EU-Ländern bereits Standard, jedoch in Deutschland bisher nicht gegeben. Welche Reformschritte sind also aus Ihrer Sicht nötig? Effizienz heißt: Wie können wir mit einem gegebenen Budget die beste Leistung erreichen? Die Berufstätigen im Gesundheitswesen leisten bereits jetzt extrem viel, aber es gibt in vielen Bereichen Anreize, die explizit oder implizit dazu führen, dass Ressourcen nicht optimal eingesetzt werden. So gibt es Fälle, in welchen die Existenz der PKV neben der GKV zu deutlicher Überversorgung führt, zum Beispiel bei der Verwendung von teuren MRT-Bildern für Diagnosezwecke. Diese sind in der Orthopädie häufig nicht notwendig, wo günstigere Röntgenaufnahmen ausreichen, werden aber überflüssigerweise angefertigt, weil sie lukrativ sind. Die Folge: Die Maschine ist besetzt, Personal ist gebunden, andere warten mit einer höheren Dringlichkeit länger auf einen Termin. Oder Hautärzte bieten Verfahren für das HautkrebsScreening für Selbstzahler an, die noch Gegenstand der Forschung sind, wenn auch vielversprechend, während für das von der GKV bezahlte Screening keine Termine bleiben. Diese Anreize müssen berücksichtigt werden, um eine Balance zwischen dem Zugang zur Grundversorgung und der Förderung von Innovationenzufinden. Und wie sieht es in der GKV aus? Auch hier gibt es Fehlanreize, zum Beispiel, wenn Versicherte zu oft wegen Kleinigkeiten zu verschiedenen Ärztinnen und Ärzten oder in die Notaufnahme gehen. Hier zeigt sich, dass der Zugang zur Versorgung in Deutschland sehr ungesteuert ist. Das könnte man durch ein Pre-Screening, zum Beispiel in Form einer telefonischen Beratung, ändern. Sie könnte die Patientinnen und Patienten an die richtige Stelle lotsen. Die GKV geht mit Telemedizin-Angeboten auch bereits in diese Richtung. Zur Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems muss aber auch ein stärkerer Fokus auf Früherkennung und Prävention schwerwiegender Krankheiten beitragen. Denn das rettet Leben und spart Ressourcen. Insbesondere für die Früherkennung gibt es einige neue Erkenntnisse, die man durch eine bessere Gesundheitsdatennutzung in die Praxis umsetzen könnte. Hier besteht in Deutschland einige Luft nach oben.

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