Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 21

20 | PRAXIS INTERVIEW MIT DR. DAVINDER RAJU, PREISTRÄGER DES „SUSTAINABILITY AWARD“ DER FDI „So nachhaltig wie vernünftig möglich“ Umweltschutz auch in der Praxis zu leben, ist dem englischen Zahnarzt Dr. Davinder Raju aus Sussex wichtig. Er hat dafür ein webbasiertes Konzept entwickelt und ist für seine Nachhaltigkeitsbemühungen mit dem Sustainability Award der FDI ausgezeichnet worden. Selbst wenn die Zahnmedizin nie zu 100 Prozent umweltschonend sein wird, zählt für ihn jeder Schritt in die (richtige) Richtung. Herr Dr. Raju, was macht für Sie nachhaltige Zahnmedizin aus? Dr. Davinder Raju: Für mich ist das ein ganzheitlicher Ansatz – die Verflechtung von Umweltbewusstsein mit einer maßgeschneiderten Patientenversorgung, einem motivierten Team und natürlich der Rentabilität der Zahnarztpraxis. Eine umfassend nachhaltige Ausrichtung ist zwar nicht möglich, aber mit kleinen Strategien kann jeder einiges positiv bewirken. Das Ganze sehe ich auch nicht als Trend, sondern als eine Bewegung, die das gesamte zahnmedizinische Ökosystem aus Zahnärzten, Herstellern, Lieferanten, Gemeinden und Patienten mitnimmt. Wie setzen Sie Nachhaltigkeit in Ihrer Praxis konkret um? Bei den Patienten setzen wir voll und ganz auf Prävention, Früherkennung und Therapien mit möglichst minimalen Eingriffen. Es ist logisch, dass fast alle Zahn- und Parodontalerkrankungen geringe Umweltkosten verursachen, wenn sie durch präventive Maßnahmen verhindert oder abgemildert werden können. Der ethisch und moralisch Imperativ heißt also: Verhindern, was vermeidbar ist! Prävention spart Ressourcen. Darüber hinaus betonen wir den Zusammenhang zwischen der Mundgesundheit und der systemischen Gesundheit. Wir erzeugen Strom vor Ort mit Solarzellen auf dem Dach der Praxis. Jede zusätzliche Energie beziehen wir von Anbietern erneuerbarer Energien. Wir heizeneffizient. Effektiv ist es auch, Patiententermine – wann immer möglich – zu bündeln, zum Beispiel die PZR mit der Kontrolle oder der Behandlung zu verbinden. Oder Familienangehörige gemeinsam in die Praxis zu bestellen, um Anfahrtswege zu sparen. Wie bringen Sie Ihre Mitarbeiter dazu, sich zu engagieren? Wir versuchen, ein positives und unterstützendes Arbeitsumfeld zu schaffen. Damit wollen wir unsere Mitarbeiter binden und dazu motivieren, unsere Philosophie der Nachhaltigkeit intrinsisch mitzutragen. Dafür bieten wir zum Beispiel eine Menstruationspolitik und Coachings an. Vor allem nehmen wir uns regelmäßig Zeit, um Ideen auszutauschen und das Verantwortungsbewusstsein zu fördern. Wir schreiben Umweltbewusstsein auch direkt in die Stellenbeschreibungen, so dass von Anfang an klar ist, dass Nachhaltigkeit ein zentraler Bestandteil der Rolle und der täglichen Aufgaben eines jeden ist – und nicht nur ein schöner Gedanke bleibt. Um dem Ganzen auch ein Gesicht zu geben, haben wir „Nachhaltigkeitsbeauftragte“ ernannt. Sie leiten die neuen Initiativen an und sind erste Ansprechpartner. Das alles folgt der Überzeugung, dass Unternehmen, die ein hohes Maß an ökologischer und sozialer Verantwortung zeigen, in der Regel auch engagiertere Mitarbeiter haben. Gerade Jüngeren ist das wichtig bei der Jobsuche. Ein hohes Engagement führt zu höherer Produktivität und niedrigeren Fluktuationsraten. Auch das ist letztendlich nachhaltig. Was raten Sie Ihren Kollegen, wo fängt man am besten an? Ich weiß, die Praxisleitung ist bereits ein Vollzeitjob. Deshalb macht das mit den „Nachhaltigkeitsbeauftragten“ Sinn. Suchen Sie nach jemandem, der sich für das Thema begeistert und im besten Fall das Team mitreißen kann. Mit seiner Hilfe können Maßnahmen und Projekte angegangen werden, ohne den Praxisinhaber oder andere Teammitglieder zu überfordern. Konkret kann diese Person dann die aktuelle Umweltbelastung der Praxis bewerten, umweltfreundliche Alternativen recherchieren und einen Plan zur schrittweisen Einführung nachhaltigerer Praktiken entwickeln. Ich rate dazu, erst einmal kleine Schritte zu gehen und lieber eine Dynamik aufzubauen, die dazu beiträgt, eine Kultur der Nachhaltigkeit am Arbeitsplatz zu fördern. Schauen Sie, was direkt machbar ist und was langfristiger geplant werden muss, dann aber einen spürbaren Effekthat. Für mehr Klarheit hilft das Konzept im Sinne „so nachhaltig wie vernünftig möglich“. Dieser Ansatz erkennt an, dass eine perfekte Nachhaltigkeit in der Zahnmedizin aufgrund der wesentlichen Sicherheitspraktiken derzeit nicht erreichbar ist, dass aber in vielen anderen Bereichen erhebliche Verbesserungen möglich sind. Er ermutigt Zahnärzte, Nachhaltigkeit als eine Reise und nicht als ein Ziel zu betrachten und Veränderungen schrittweise umzusetzen, wo dies sicher und machbar ist. zm114 Nr. 21, 01.11.2024, (1782) Dr. Davinder Raju Foto: Dr Raju

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