Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 21

zm114 Nr. 21, 01.11.2024, (1802) 40 | TITEL FORTBILDUNG PARODONTALCHIRURGIE Gingivale Rezessionen – nicht nur ein ästhetisches Problem Liebe Kolleginnen und Kollegen, gingivale Rezessionen können auf den ersten Blick als rein ästhetisches Problem wahrgenommen werden. Für unsere Patientinnen und Patienten bedeuten gingivale Rezessionen zu Beginn oftmals lediglich eine Veränderung des bislang harmonischen Erscheinungsbildes, sie können mitunter aber zu einer deutlichen Beeinträchtigung der mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität führen. Denn mit der Zeit kann sich das klinische Bild deutlich verändern. Freiliegende Dentinoberflächen können Ursache für Dentinhypersensibilitäten sein – und dann fällt auf, dass sich etwas verändert hat und möglicherweise „etwas nicht stimmt“. Dentinhypersensibilitäten treten jedoch – je nach Ätiologie der Rezession – meist erst im späteren Verlauf auf und sind nicht permanent spürbar. So wird in den weitaus meisten Fällen erst einmal abgewartet und beobachtet. Dennoch verbleibt aus der Sicht des Therapeuten oft das Gefühl, dass dem Patienten möglichst früh eine Intervention angeboten werden sollte – nicht nur aus ästhetischen Gründen, sondern vor allem präventiv hinsichtlich möglicher Risiken, die progredierende Rezessionen mit sich bringen können, wie beispielsweise dem Ausbilden von Wurzelkaries sowie der Progression sogenannter nicht-kariöser zervikaler Läsionen mit allen daraus folgenden Konsequenzen. Die aktuelle Klassifikation parodontaler Erkrankungen und Zustände (2018) erlaubt mit einer detaillierten Systematik nicht nur die optimale Einschätzung der Weich- und Hartgewebe, sondern ist mit der Einteilung in die Rezessionstypen (RT 1–3) gleichzeitig ein prognostischer Indikator, wenn es um die Therapie gingivaler Rezessionen geht. Im vorangegangenen zm-Fortbildungsteil „simple, advanced, complex“ (zm 15-16/2024) wurde von Karin und Søren Jepsen ein ausführlicher Überblick zu den Rezessionstypen, den therapeutischen Konsequenzen und den damit verbundenen Schwierigkeitsgraden gegeben. In der wissenschaftlichen Literatur konnte überzeugend gezeigt werden, dass gingivale Rezessionen des Typs RT1 vorhersagbar und sicher erfolgreich behandelt werden können. Je nach Weich- und Hartgewebstyp und Niveau des approximalen Knochens kann die Therapie gingivaler Rezessionen vorhersagbar leicht oder aber mit einem erhöhten Schwierigkeitsgrad verbunden sein, was dann in der Regel in die Hände fortgeschrittener Spezialistinnen und Spezialisten gehören sollte. Für gingivale Rezessionen gilt daher wie für die meisten Erkrankungen das zentrale Präventionsparadigma: je früher, desto besser. Die Behandlung gingivaler Rezessionen ist also keineswegs nur als ästhetische Korrektur von Weichgewebsdefiziten bedeutsam, sondern vor allem im Hinblick auf die Prävention möglicher Folgerisiken. Es gibt eine ganze Reihe parodontalchirurgischer Techniken, die für die Behandlung gingivaler Rezessionen entwickelt worden sind. Jede dieser Techniken hat spezifische Indikationen, Stärken und auch Schwächen – und nicht zuletzt stellt jede Technik unterschiedliche Anforderungen an das Behandlungsteam. In den Beiträgen dieses Fortbildungsteils werden diese Techniken detailliert vorgestellt und es wird auf deren Schwierigkeitsgrad eingegangen. Die Rezessionsdeckung ist noch heute häufig eine Domäne der Spezialistinnen und Spezialisten – das muss allerdings nicht so bleiben, denn je nach Klassifikation der Rezession kann die Therapie gingivaler Rezessionen nach anderweitigem chirurgischem Training vorhersagbar gelingen. Die plastische Parodontalchirurgie ist eine spannende Disziplin innerhalb der Zahnheilkunde, die – auch im Hinblick auf andere Therapien – zunehmend an Bedeutung gewinnt. Ich wünsche Ihnen eine inspirierende und erkenntnisreiche Lektüre. Herzlichst, Ihr Prof. Dr. Henrik Dommisch Präsident der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie e.V. (DG PARO) Foto: Gesine Born

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