TITEL | 55 Der Anteil vollständiger Wurzeldeckungen ist bei koronalen Verschiebelappen deutlich höher, da hier eine Überdeckung der Schmelz-ZementGrenze von mehr als 2 mm in der Regel relativ problemlos möglich ist [Pini Prato et al., 2005; Chambrone et al., 2012; Chambrone und Tatakis, 2015; Pini-Prato et al., 2015]. In den ursprünglichen Beschreibungen der KVL wurden aber meist Entlastungsinzisionen durchgeführt, um die Mobilisation der Gingiva zu gewährleisten [Restrepo, 1973]. Diese führten zu einer ästhetisch weniger ansprechenden Narbenbildung und zudem zu einem Versatz der mukogingivalen Grenze. Diese Problematik wurde erstmalig von Zucchelli & De Sanctis gelöst, indem bei koronalen Verschiebelappen durch eine horizontale Erweiterung der Inzisionslinien auf sichtbare Schnitte und damit die konsekutive Narbenbildung verzichtet wurde [Zucchelli und De Sanctis, 2000]. Tunkel et al. versuchten die Vorteile von Zucchellis Koronalem Verschiebelappen und Sculeans Lateral Geschlossenem Tunnel in einer Technik zu vereinen: dem Lateral Geschlossenen Koronalen Verschiebelappen (LCAF) [Tunkel et al., 2024] (Abbildung 3). Bei dieser Methode, mit der vor allem tiefe singuläre parodontale Rezessionen behandelt werden, wird die Koronalverschiebung ohne Entlastungsinzisionen kombiniert mit dem lateralen Verschluss der tiefen parodontalen Rezession. Das Vorgehen ist hier wie folgt: Zunächst wird im Bereich der tiefen Rezession der Gingivarand geringfügig exzidiert, um ein Zusammenwachsen der geschlossenen Lappenanteile zu ermöglichen. Anschließend wird der Schnitt in horizontaler Richtung durch leicht bogenförmige Schnittführungen auf Höhe der Schmelz-ZementGrenze erweitert, um mindestens zwei Zähne rechts und links von der Rezession (Abbildung 3b). Im UnterkieferFrontzahnbereich, wo die Rezessionen heutzutage am häufigsten vorkommen, sollte der Lappen mindestens von Eckzahn zu Eckzahn gebildet werden, um ein harmonisches Ergebnis nach Abheilung zu erreichen. Auf vertikale Entlastungsinzisionen kann komplett verzichtet werden. Anschließend erfolgt die Lappenpräparation nach dem bereits für koronale Verschiebelappen gängigen Prinzip teilschichtig-vollschichtig-teilschichtig. Die Papillenbereiche werden mit dem Skalpell scharf vom Periost abgelöst. Dann wird das Periost durchtrennt und bis zur mukogingivalen Grenze ein vollschichtiger Lappen gebildet. Nach Überschreiten dieser wird wieder zweischichtig präpariert. Hierdurch wird eine gute Mobilisation des Lappens erreicht, die eine ausreichende Koronalverschiebung ermöglicht. Entgegen dem in früheren Jahren propagierten komplett teilschichtigen Vorgehen, kann durch dieses Verfahren die Gefahr von Lappenperforationen signifikant gesenkt werden, da diese insbesondere im Bereich der mukogingivalen Grenze auftreten. Nachdem die Lappenareale mesial und distal der Rezession gelöst sind, können diese durch zwei bis drei feine monofile Nähte miteinander verbunden werden (Abbildung 3c). Sobald durch diese Naht ein zusammenhängender koronaler Verschiebelappen entstanden ist, werden die Papillenbereiche koronal des gebildeten Lappens entepithelialisiert. Nach Entnahme eines Bindegewebstransplantats oder entepithelialisierten freien Schleimhauttransplantats (siehe auch Beitrag von Dr. Fischer in diesem Fortbildungsteil) wird die Wurzeloberfläche mit EDTAGel konditioniert und anschließend werden Schmelz-Matrix-Proteine aufgetragen (Abbildung 3d). Diese bewirken die Bildung eines new attachment und fördern zudem die Wundheilung, was gerade bei den delikaten lateralen Verschiebelappen von Vorteil sein sollte [McGuire und Cochran, 2003; Almqvist et al., 2011; Thoma et al., 2011; McGuire et al., 2016]. Anschließend wird das Transplantat durch Nähte ausgehend vom oralen Papillenbereich fixiert (Abbildung 3e). Zuletzt wird der Lappen mit sogenannten doppelten Umschlingungsnähten im Bereich der Papille durch Zug nach koronal und oral fixiert, was eine perfekte Positionierung ermöglicht [Zuhr et al., 2009] (Abbildung 3f). Hierbei muss darauf geachtet werden, dass der Lappen die Schmelz-Zement-Grenze um mindestens 2 mm überdeckt, um eine hundertprozentige Wurzeldeckung erwartbar zu machen [Pini Prato et al., 2005]. Der Lateral Geschlossene Koronal Verschobene Lappen ermöglicht eine annähernd narbenfreie Deckung singulärer parodontaler Rezessionen durch Verzicht auf vertikale Entlastungsinzisionen (Abbildung 3g). Das Lösen der Papillen im Rahmen der Verschiebung ermöglicht eine deutliche Anhebung des Lappens und somit durch großzügige Überdeckung das Erreichen vollständiger Wurzeldeckungen. Durch den lateralen Verschluss im Rahmen der tiefen, über die mukogingivale Grenze hinausgehenden Rezession kann keratinisierte Gingiva im Bereich dieser hergestellt und eine übermäßige Mobilisation und damit Einschränkung des Vestibulums verhindert werden. Beim lateralen Verschluss der tiefen Rezession im Rahmen der LCAT- oder LCAF-Technik ist immer mit dem Auftreten von Spannungen zu rechnen, insbesondere wenn die Rezession eine deutliche Breite aufweist. Nicht möglich ist dieses entlastungsinzisionsfreie Vorgehen, wenn mehrere tiefe Rezessionen direkt oder unmittelbar benachbart sind, da dann das Gewebe in die entgegengesetzte Richtung lateral mobilisiert werden müsste. Für diese Patienten haben Tunkel et al. eine Methode entwickelt, die grundsätzlich die Prinzipien der Koronalverschiebung nach Zucchelli, die Nelson-Technik und die LCAF-Technik verbindet und versucht, deren Vorteile zu kombinieren und deren Nachteile zu kompensieren: den „Mehrfach Gestielten Koronal Verschobenen Lappen“ (MPCAF) [Tunkel et al., 2021; Tunkel et al., 2022] (Abbildung 4). Gleichzeitig ist es damit möglich, mehrere auch direkt nebeneinander liegende Rezessionen zudecken. Dabei wird zunächst – wie bei der LCAF-Technik – die Gingiva der tiefen Rezessionsareale exzidiert und die Inzision in gleicher Weise horizontal zm114 Nr. 21, 01.11.2024, (1817) ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden.
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