Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 21

90 | GESELLSCHAFT zm114 Nr. 21, 01.11.2024, (1852) Kanada (ab Januar 2026) – und auch in Bolivien und Ecuador gibt es verbindliche Regularien, auch wenn diese noch nicht komplett umgesetzt sind. In Chile waren die Maßnahmen mit einer signifikanten Abnahme der Gesamtkalorien (-3,5 Prozent) wie auch mit einem reduzierten Konsum von Zucker (-10,2 Prozent), Salz (-4,7 Prozent) und gesättigten Fettsäuren (-3,9 Prozent) verbunden, zeigt eine Studie [Taillie et al., 2021]. Gleichzeitig hatten die Warnhinweise keine negativen Auswirkungen auf die Lebensmittelwirtschaft [Paraje et al., 2021], obwohl die Grenzwerte in Chile viel schärfer sind, als die USA sie plant. Laut Washington Post würde eine Vielzahl von Snacks, die in Chile zum Beispiel Warnhinweise wie „zu viel Salz“ tragen, beim FDA-Label gut wegkommen. Sanders zufolge müsse der Kongress dem Druck der USIndustrie standhalten, ähnlich wie vor Jahrzehnten gegen die Tabakunternehmen, als er Warnhinweise auf Zigarettenschachteln vorschrieb. Der Senator wünscht sich plakative schwarze Hinweise in Stoppschild-Form wie in Südamerika, die aber noch über die dort geltenden Regeln hinaus vor UPF und Süßstoffenwarnen. Doch im März 2024 forderte erst der Kongress die FDA auf, eine Erklärung ihrer rechtlichen Befugnis vorzulegen, um Etiketten auf der Vorderseite von Lebensmittelverpackungen zu verlangen. Bundesbeamte beriefen sich auf das Ernährungskennzeichnungs- und Bildungsgesetz von 1990, das der Behörde damals die verbindliche Einführung von Nährwertangaben erlaubte (siehe Kasten). Nur vier Monate später sorgte eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs für eine Quasi-Entmachtung vieler US-Bundesbehörden, auch der FDA. Das Urteil ist eine Abkehr von der seit 1984 geltenden, sogenannten Chevron-Doktrin. Damals ging es um die Auslegung eines Gesetzes über Schadstoffemissionen. Die Verfassungsrichter hatten entschieden, es liege im Ermessen der mit der Umsetzung betrauten Regierungsbehörden, und nicht von Gerichten, unklare, mehrdeutige oder lückenhafte Formulierungen in Gesetzen auszulegen – solange diese Interpretation „vernünftig“ und „zulässig“ ist. Der Supreme Court entmachtete die Behörden 40 Jahre später ist es nun bedeutend leichter für Industrieunternehmen, jede behördliche Entscheidung anzufechten, berichten US-Medien. Im Fall der FDA könnten dies zukünftige – womöglich sogar auch zurückliegende – Regelungen sein, etwa wenn es um festgelegte Grenzwerte geht, um Medikamentenzulassungen, aber auch um Tabakverbote oder Lebensmittelkennzeichnungen. Als „extrem besorgniserregend“ bewertet Dr. Neena Prasad, Leiterin des Food Policy Program der Hilfsorganisation Bloomberg Philanthropies die Situation. „Die Beweise sind so klar. Und es gibt Beispiele aus der ganzen Welt, die zeigen, was die Werkzeuge in unserer Toolbox sind und was effektiv ist“, sagte die Ärztin der Washington Post. „Man kann nur schlussfolgern, dass die Interessen der Hersteller dieser Produkte eine höhere Priorität haben als die öffentliche Gesundheit.“ mg JEDE ÄNDERUNG DAUERT JAHRE Die 1990 eingeführte Nährwertkennzeichnung auf verpackten Lebensmitteln wurde zuletzt 2016 aktualisiert, „um den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen Rechnung zu tragen“, wie es heißt. Seitdem weisen die meist an der Seite oder auf der Rückseite angebrachten Angaben auf die empfohlene Portionsgröße, auf die Kalorien pro Portionsgröße sowie auf die Mengen an ungesättigten Fettsäuren und zugesetzten Zuckern hin. Bis zur verbindlichen Einführung blieb den Herstellern – abhängig vom Jahresumsatz und vom Produktbereich – bis Juli 2021 Zeit. 2018 kündigte die FDA dann eine „Nutrition Innovation Strategy“ an, die eine Verringerung vermeidbarer Todesfälle und Krankheiten im Zusammenhang mit schlechter Ernährung zum Ziel hatte. Verbraucheraufklärung – etwa durch Lebensmittelkennzeichnungen – sei „ein Schlüsselelement der laufenden Bemühungen“, informierte die Behörde. BRITISCHE KLEINKINDER NEHMEN ZU FAST 50 PROZENT HOCHVERARBEITETE LEBENSMITTEL ZU SICH Britische Kleinkinder beziehen 47 Prozent ihrer Kalorien aus hochverarbeiteten Lebensmitteln (UPFs), bei den Siebenjährigen steigt der Anteil auf 59 Prozent. Forschende vom University College London untersuchten für ihre Studie die Daten von 2.591 Kindern im Alter von 21 Monaten, die in den Jahren 2007 und 2008 in Großbritannien geboren sind. Die Eltern zeichneten drei Tage lang auf, was ihre Töchter und Söhne aßen und tranken. Die häufigsten UPFs, die die Kids zu sich nahmen, waren aromatisierte Joghurts und Vollkorn-Frühstückscerealien, also Produkte, die als gesund gelten. Im Alter von sieben Jahren waren die häufigsten UPFs süße Cerealien, Weißbrot und Pudding. UPFs werden industriell hergestellt und enthalten Zutaten, die in der Hausmannskost nicht oder nur sehr selten verwendet werden, wie Emulgatoren, Farbstoffe und Süßstoffe. Bei allen Kleinkindern überstieg der Konsum von freiem Zucker das von der britischen Regierung empfohlene Maximum von 5 Prozent der täglichen Kalorienaufnahme. Die Studie: Conway, R.E., Heuchan, G.N., Heggie, L. et al. Ultraprocessed food intake in toddlerhood and mid-childhood in the UK: cross sectional and longitudinal perspectives. Eur J Nutr (2024).

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