36 | TITEL INTERVIEW MIT DÄB-PRÄSIDENTIN DR. CHRISTIANE GROẞ „An vielen Stellen fehlt immer noch der weibliche Blick!“ Die Mehrheit der Ärzte und Zahnärzte sind heute Frauen, aber in den Chefetagen sitzen immer noch die Männer. Wie weit ist die Gleichberechtigung in der Medizin und Zahnmedizin? Ein Gespräch mit der Verbandspräsidentin Dr. Christiane Groß über die Rolle von Ärztinnen und Zahnärztinnen damals und heute. Frau Dr. Groß, Sie haben am 25. Oktober den 100. Gründungstag des Deutschen Ärztinnenbundes (DÄB) gefeiert. Wofür steht der Verband heute? Dr. Christiane Groß: Wir unterstützen Ärztinnen und Zahnärztinnen durch politische und direkte Arbeit sowohl in ihrer Karriere als auch bei der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Frauen hatten es vor hundert Jahren und haben es auch heute noch schwerer, sich im ärztlichen und zahnärztlichen Beruf zu etablieren als Männer – insbesondere, wenn es darum geht, in Spitzenpositionen zu kommen. Frauen haben oft größere Probleme, um etwa die Finanzierung für die eigene Praxis aufzustellen und Kredite zu erhalten. Und sie trauen sich vielleicht auch nicht so wie die männlichen Kollegen. Viele Probleme von Frauen in der Medizin sind zwar im Laufe der Zeit gelöst worden, aber viele existieren heute noch. Frauengesundheit ist zum Beispiel ein Aspekt, der damals und heute noch relevant ist. Welche Bedeutung haben Ärztinnen in der modernen Medizin? An vielen Stellen fehlt der weibliche Blick. Wir Ärztinnen und Zahnärztinnen bringen diesen mit in die gesellschaftliche Debatte. Mit Fragen wie: Wie problematisch ist die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben? Wie problematisch ist es, in Spitzenpositionen zu kommen? Wie problematisch ist es, Eltern oder Angehörige zu pflegen? Diese Punkte haben Männer oft nicht im Fokus, weil sie sich damit nicht direkt angesprochen fühlen. Hinzu kommen Aspekte der geschlechtsspezifischen Medizin. Hier haben Ärztinnen und Zahnärztinnen als erste den Finger in die Wunde gelegt. Mit welchen Zielen ist der Bund Deutscher Ärztinnen als Vorläufer des DÄB damals gegründet worden? Es galt, Frauen im Beruf zu unterstützen. Es gab damals sehr wenige, die überhaupt studieren konnten. Noch weniger konnten sich niederlassen. Und in der Wissenschaft Spitzenpositionen zu erlangen, war ganz selten. Frauen in Führungspositionen und in die Wissenschaft zu bekommen, war auch schon damals unser Anliegen. Und wo stehen wir bei der Gleichberechtigung heute? Wir könnten weiter sein. In den Universitätskliniken zählten wir 2022 nur 13 Prozent Frauen auf den Lehrstühlen, und das bei 50 Prozent Ärztinnen im Beruf. Bei den Ärzte- und Zahnärztekammern gibt es nur wenige Präsidentinnen. Was sich zum Positiven geändert hat, sind die Zahlen bei den stellvertretenden Positionen. Im klinischen Bereich sind es die oberärztlichen Stellen, in den Kammern und KVen/KZVen sind es die Vizepräsidentinnen und stellvertretenden Positionen. Für die gesetzlichen Vorgaben im Zweiten Führungspositionengesetz, dass Frauen in den KVen und KZVen in den Führungspositionen zu berücksichtigen sind, hat auch der Deutsche Ärztinnenbund seinerzeit mitgekämpft. Welchen Stellenwert hat für den DÄB die Verzahnung mit dem Weltärztinnenbund? Der Weltärztinnenbund ist 1919 gegründet worden, also fünf Jahre vor dem Bund Deutscher Ärztinnen. Dessen Gründung in Deutschland ist von der internationalen Organisation gefördert worden. Die internationalen Kolleginnen haben auch jüdische Ärztinnen und Zahnärztinnen in der NS-Zeit stark unterstützt. Auch bei der Neugründung des Deutschen Ärztinnenbundes ab 1950 haben sie mitgewirkt. Aktuell ist es so, dass jedes Mitglied im Ärztinnenbund auch im Weltärztinnenbund Mitglied ist. Außerdem gibt es besonders gute Kontakte zu den Verbänden in Österreich und in der Schweiz. Wie hat sich rückschauend die Rolle der Ärztin in der Gesellschaft geändert und welche Themen sind geblieben? Wir haben frühzeitig darauf hingewiesen, dass beispielsweise die Grundlagenforschung in der Wissenschaft hauptsächlich von Männern bestimmt wird und dass geschlechterspezifische Aspekte auch bei Forschungsprojekten kaum eine Rolle spielen. Wir haben als Ärztinnen zusätzlich die Menschen im Blick, die die Verantwortung in der Care-Arbeit tragen. Geändert hat sich Dr. Christiane Groß, M.A. Foto: Jochen Rolfes photographer zm114 Nr. 22, 16.11.2024, (1906)
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