Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 23

52 | ZAHNMEDIZIN Schmelz-Inseln sind offenbar deutlich seltener und erschienen in diesem Untersuchungsgut an fünf von 14 Zähnen, das sind 36 Prozent. Sie betreffen junge Prämolaren, die aus kieferorthopädischer Indikation extrahiert worden waren, aber auch einen Caninus eines 58-Jährigen. Wie häufig sie an Zähnen Erwachsener oder gar an Zähnen älterer Menschen ausgebildet waren, wissen wir nicht, da sie dort im Verlauf der Zeit durch Abrasion bereits verschwunden sein könnten. Schmelz-Halbinseln und -Inseln stellen möglicherweise ein erhöhtes Abrasionsrisiko dar und können klinisch zusätzliche Plaque-Akkumulationsorte sein. Die quantitative Auswertung ergab einen Volumenverlust von Zement und Dentin zwischen 34 nl und 87 nl als Mittelwerte, wobei die Ausdehnung von 100 bis 1.500 μm apikal der Schmelz-Zement-Verbindung reichte. Verlängert man diesen Volumenverlust aus drei Jahren mit dem Faktor 10 linear auf 30 Jahre Zähneputzen, erscheinen die Verluste von 340 nl und 870 nl durch Mikro-Abrasion moderat. Weiche Bürsten mit gering abrasiver Zahnpasta und flexiblem Bürstenhals wiesen deutlich weniger Volumenverlust als Bürsten mit rigidem Hals auf. Das legt nahe, die Ursachen für tiefe Abrasionsdefekte im Milliliter-Bereich, wie sie klinisch nicht selten zu sehen sind, bei einer falschen Putztechnik und der Verwendung abrasiver Zahnpasten zu verorten. Zusammenfassung Die Untersuchung hat zahlreiche, nicht nur für die Grundlagenforschung, sondern auch für die Praxis der Prävention interessante Ergebnisse hervorgebracht: „ Es wurden acht verschiedene durch Zähneputzen entstandene Abrasionsmuster identifiziert und neu kodifiziert. zm114 Nr. 23-24, 01.12.2024, (2022) EINLADUNG ZUM DISPUT Sowohl aus der dreijährigen Roboter-Zahnputzsimulation an menschlichen Zähnen unterschiedlicher Funktionszeit mit klinisch validierten Putzprogrammen in einer artifiziellen Mundhöhle als auch aus zahllosen ORMED-Tests der Plaque-Kontrolle mit manuellen Zahnbürsten aus weltweiter Produktion werden Schlussfolgerungen für die Mundhygiene, ihre weitere wissenschaftliche Bearbeitung und die tägliche Umsetzung abgeleitet, die den Anstoß zu einer Debatte zu zwei Fragen auslösen können: „ Ist es nicht an der Zeit, die Bestimmung des Abrasionspotenzials von Zahnpasten von der RDA(Radioactive Dentin Abrasion)-Technologie auf ein besseres Verfahren umzustellen – beispielsweise auf die in der Studie vorgestellte elektronenmikroskopische Messung der Volumenverluste? Die Bestimmung des RDA-Werts ist eine relative und umstrittene Methode zur Ermittlung der Abrasivität (Makro-Abrasion) von Zahnpasten. Kritikwürdig ist vor allem, dass das standardisierte Protokoll des Verfahrens alle putzspezifischen Einwirkungen der Bürsten auf Schmelz, Zement und auch Dentin vernachlässigt. Aus einer genormten Laborsituation heraus wird ein letztlich nur auf die Umgebung des Protokolls zutreffender Abrasionswert bestimmt, der dann – aus unserer Sicht unzulässigerweise – auf jede der in der Realität individuell höchst unterschiedlichen Kombinationen von Zahnbürsten, -pasten und Putztechniken übertragen wird. Der RDA-Wert trägt deshalb nicht zum Schutz des Konsumenten bei und sollte unserer Meinung nach durch die in der Studie vorgestellte Methodenkombination ersetzt werden. „ Die Plaqueentfernung hat unter anderem das Ziel, präventiv Zahnsubstanzverluste durch kariöse Prozesse zu vermeiden. Doch bei der Mundhygiene selbst entstehen ganz direkt Zahnsubstanzverluste, die im Einzelfall ein erhebliches Ausmaß annehmen können. Ist es nicht an der Zeit, die Reduktion von Abrasionen durch Mundhygiene ebenso als Erfolgsfaktor anzusehen wie die effiziente Plaqueentfernung? Weil die Plaque-Kontrolle der wichtigste Faktor für die Prävention von entzündlichen Parodontalerkrankungen ist, hat Renate Deinzer mit ihrer Autorengruppe aus Gießen und Kiel im Juli 2024 eine bedeutende Übersichtsarbeit vorgelegt und den Effekt der Plaque-Kontrolle mit Selbst-Anwendung von manuellen Zahnbürsten in allen Altersgruppen verglichen. Ergebnis: Es gibt nur eine limitierte Evidenz zum Effekt des Zähneputzens auf Plaque-Kontrolle und Gingivitis-Verhütung. Für uns ist keine manuelle Zahnputztechnik, die auf zeitlichen Vorgaben fußt oder die Bauart der Bürsten und Filamente unberücksichtigt lässt, einer anderen gegenüber effektiver. Es zählen nur die Takte pro Zahnoberfläche (Strokes), nicht die Zeit; nur weiche Borsten, die biophysikalisch optimal putzen können, keine harten, die schlechter putzen und ein erhöhtes Abrasionspotenzial haben. Besser als runde sind strukturierte Filamente mit spiralförmigen, gefederten, und geometrischen Formen. Schließlich sind nur lockere Filamentanordnungen, keine dichten, die sich gegenseitig maskieren, effektiv. Nur abrasionsarme, keine abrasiven Zahnpasten; nur geringe Krafteinwirkungen, keine Putzkräfte über 3,5 N (3,5 Newtonkräfte entsprechen etwa einem „Druck“ von 360 g) sind empfehlenswert. Es gibt also genügend wissenschaftliche Evidenz, um eine schonende Mundhygiene aus der Sicht der Morphologie und der Biologie eines Zahnes zu erfassen. Heute gilt die Mundhygiene als erfolgreich, wenn die Plaque-Kontrolle gelingt. Schäden durch Abrasion werden als weithin unvermeidlicher Begleiteffekt in Kauf genommen. Aber ist es nicht Zeit für einen Paradigmenwechsel in der Erfolgsbetrachtung von Mundhygiene: weg vom alleinigen Erfolgsfaktor Plaqueentfernung hin zu einem optimalen Gesamtpaket aus Plaqueentfernung UND Schonung der Zahnsubstanz? Deinzer R, Weik U, Eidenhardt Z, Leufkens D, Sälzer S (2024): Manual toothbrushing techniques for plaque removal and the prevention of gingivitia – A systematic review with network meta-analysis.PloS ONE19(7) e0306302 doi. org/10.1371/journal.pone0306302

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