84 | POLITIK BUNDESHAUPTVERSAMMLUNG DES VIRCHOWBUNDES Plädoyer für eine bessere Patientensteuerung Die flächendeckende Gesundheitsversorgung ist in Gefahr, warnt der Virchowbund. Lösungen sieht er in einer gezielteren Patientensteuerung, mehr Eigenverantwortung und der Stärkung der Freiberuflichkeit. Freiberuflichkeit ist Patientenschutz, betonte Dr. Dirk Heinrich, Bundesvorsitzender des Virchowbundes auf der Bundeshauptversammlung seines Verbands am 8. und 9. November in Berlin. Gesundheit sei keine Ware, ärztliche Leistung sei kein Kostentreiber und eine schlechte Gesundheitsversorgung sei Demokratiegefährdend. Er forderte deshalb eine bessere Steuerung der Patienten im Gesundheitswesen. Schluss mit der VollkaskoMentalität! Es gelte, Selbstbestimmung und Eigenverantwortung zu stärken und die Vollkasko-Mentalität in der Bevölkerung zu bekämpfen. Weg von der freien Arztwahl müsse es zu einer effektiven Lenkung der Patientenströme kommen, dazu zähle etwa ein Wahltarif „freie Haus- und Facharztwahl“ bei den Krankenkassen. Auch mehr Transparenz und eine Kostenbeteiligung bei den Leistungen gehörten dazu, sagte Heinrich. Dazu müsse der Grundsatz gelten: ambulant vor stationär. Entscheidend seien die Entbudgetierung von ärztlichen Leistungen sowie die Niederlassungsfreiheit. Zum Platzen der Ampelkoalition sagte Heinrich, er erhoffe sich von der nächsten Regierung ein klares Bekenntnis zur Freiberuflichkeit. Die jetzige Regierung habe die Ärzteschaft drangsaliert und mit Bürokratie überlastet. Mit einer flammenden Rede unterstützte der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), Prof. Josef Hecken, die Forderung nach einer Patientensteuerung. „Behandeln wir immer die Richtigen? Nein!“, sagte er vor der Versammlung. Rund 20 bis 30 Prozent der Leistungen, die im Krankenhaus erbracht werden, seien nicht indiziert. Und viele aufsuchende ArztPatienten-Kontakte seien nicht notwendig und blockierten Termine für andere Patienten, die wirklich Hilfe benötigen. „Wir müssen wegkommen vom Anspruchsdenken“, erklärte er. Es sei an der Zeit, über eine Praxisgebühr in veränderter Form nachzudenken – und zwar in sozialverträglicher Form, die aber nicht direkt auf Null gesetzt werden dürfe. „Solidargemeinschaft verlangt Eigenverantwortung“, so der G-BA-Vorsitzende. Die Höhe der Eigenbeteiligung müsse mindestens den „Gegenwert einer Schachtel Marlboro“ ausmachen. Hecken hatte vor Kurzem zusammen mit Jochen Pimpertz, Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) ein Impulspapier für die Konrad-Adenauer-Stiftung veröffentlicht und Reformvorschläge für das Gesundheitswesen formuliert. Die flächendeckende Versorgung durch niedergelassene freiberufliche Ärztinnen und Ärzte ist für Hecken das Rückgrat des Gesundheitswesens. Er habe jedoch feststellen müssen, dass in den vergangenen drei Jahren unter der Ampelkoalition eine flächendeckende Diskriminierung der Ärzte stattgefunden habe. „Wir brauchen eine Grundbesinnung auf das, was der Bereich der Niederlassung leistet“, sagte er. Kritisch bilanzierte er die letzten Gesetzgebungsinitiativen im Gesundheitswesen, von denen viele an der Realität der Versorgungspraxis vorbeigingen. Und er kritisierte den darin Dr. Dirk Heinrich ist für eine bessere Steuerung der Patienten im Gesundheitswesen. zm114 Nr. 23-24, 01.12.2024, (2054) „VERSORGUNG 2040“ Auf der Bundesversammlung hat der Virchowbund das Grundsatzprogramm „Versorgung 2040“ beschlossen. Zentral darin ist der Ruf nach effektiver Patientensteuerung. So schlägt der Virchowbund eine neue Rollen- und Aufgabenverteilung zwischen Haus- und Fachärzten vor, in deren Zentrum ein „Facharzt für Betreuung, Koordination, Information und Kommunikation“ steht. Dies soll in der Regel der Hausarzt sein, in einigen definierten Situationen auch ein „grundversorgender Facharzt“. Patienten sollen die Möglichkeit haben, sich gegen diese Art der Steuerung und für eine freie Arztwahl ohne Koordinierung der Inanspruchnahme zu entscheiden, wenn sie bereit sind, dafür höhere Eigenbeteiligungen zu akzeptieren. Wichtig sei zudem, den Patienten transparenten Einblick in die Kosten der Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen zu geben, um die Eigenverantwortung zu stärken, heißt es in dem Papier.
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